"Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln" werde seine EZB die Teuerung in den Euro-Ländern anzuheizen versuchen, um eine aus Sicht nicht weniger Ökonomen drohende neue Wirtschaftskrise zu verhindern. Bemerkenswert an Draghis Rede ist zunächst ihre Entstehung. Die entscheidende Passage wurde von Draghi erst kurz vor seinem Auftritt hineingeschrieben. Was ihn dazu letztlich bewogen hat, ist unklar. Fest steht, dass zuvor Ungewöhnliches passiert war. James Bullard, Chef des regionalen Fed-Ablegers von St. Louis, hatte von Draghi massiv weitere Schritte der EZB gegen eine drohende Krise verlangt, obwohl der erst im Juni die Zinsen auf das Rekordtief von 0,15 Prozent gesenkt hatte und mit neuen Milliarden den Kreditfluss ankurbeln will. Ein Affront in der Welt der Hochfinanz, in der gegenseitige Empfehlungen oder gar öffentliche Aufforderungen noch nie gut ankamen. War Draghi verärgert? Oder lieferte Bullard nur den höchst willkommenen Anlass für eine klare Ansage des Italieners?

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IM FREIEN FALL

Wie dem auch sei: Draghi reagierte schnell und machte aus Sicht mancher Ökonomen einen weiteren verbalen Schritt Richtung massiver Wertpapierkäufe der EZB - im Fachjargon "Quantitative Easing" genannt, auf deutsch "Geldpolitik mit der Notenpresse". Vor allem der jüngst massive Rückgang der Inflationserwartungen beunruhigt Draghi - abzulesen an Zinssätzen für fiktive fünf Jahre laufende Kredite, die in fünf Jahren begeben und in zehn Jahren fällig werden. Diese "Fünf-Jahres-Forwards" schaut sich die EZB an, wenn sie möglichst genau messen will, wie die Erwartungen für die künftige Entwicklung der Teuerung am Finanzmarkt aussehen. Die Diagnose ist erschütternd.

Seit Wochen kennen die Inflationserwartungen nur noch eine Richtung: abwärts. Das muss die EZB auf den Plan rufen, denn es geht dabei um nicht weniger als das Vertrauen von Konsumenten, Investoren, Häuslebauern und Industriellen in die Fähigkeit der Notenbank, die Teuerung stabil zu halten. Draghi kommt langsam also nicht mehr umhin, sich etwas tatsächlich Wirksames einfallen zu lassen, wenn die nachlassende Teuerung nicht die Wirtschaft mit nach unten reißen soll. Christian Schulz, Ökonom bei der Berenberg-Bank hält "Quantitative Easing" für eine solche Option. "Ich denke aber, dass es dafür eines echten Notfalls bedarf." Diesen gebe es noch nicht. Aber der Rückgang vieler Wirtschaftsindikatoren und dass inzwischen auch das lange als Musterschüler geltende Deutschland schwächele, zeigten, dass die Lage ernster werde.

Auf Seite 3: Der Druck steigt

DER DRUCK STEIGT

Dass Draghi seine Duftmarke offenbar ohne Abstimmung mit dem für die Geldpolitik entscheidenden EZB-Rat setzte, erhöht in dieser angespannten Lage den Druck auf die notorisch kritische Bundesbank. Bei der nächsten Ratssitzung am 4. September in Frankfurt werden deren Chef Jens Weidmann und Draghi erstmals nach der Sommerpause aufeinandertreffen. Die Stimmung Weidmanns dürfte wohl alles andere als gut sein. Schließlich steht der Deutsche an der Spitze jener, die erst abwarten wollen, ob es nicht doch noch gelingt, den stockenden Kreditfluss in den 18 Euro-Ländern anzukurbeln. Zwei zusammen gut 400 Milliarden Euro schwere Geldspritzen wollen die Notenbanker der schwächelnden Wirtschaft in diesem Jahr noch setzen, um ihr auf die Beine helfen. Die erste Injektion ist Mitte September geplant.

Bislang galt es als Konsens im Euro-Tower, dass erst deren Wirkung abgewartet werden soll, bevor neue Arzneimittel ins Spiel kommen. Das sieht auch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer so und glaubt nicht an schnelle Entscheidungen. Aber: "Die Wahrscheinlichkeit für breit eingelegte Anleihekäufe ist gestiegen." Andere Experten glauben indes, dass die EZB noch Luft bei ihren konventionellen Waffen hat, den Zinsen: So etwa die Ökonomen der japanischen Großbank Nomura. Sie halten es nun für möglich, dass die ohnehin schon extrem niedrigen Zinsen in der Euro-Zone vielleicht schon im September nochmals sinken - auf dann kaum noch spürbare 0,05 Prozent.

Reuters