Die Weltkonzerne Adidas, Puma und Schaeffler sind in Herzogenaurach zu Hause. Was macht die fränkische Kleinstadt so attraktiv? Eine Spurensuche. Von Annika Kintscher

Ottilie Sachs trägt nur ihre kleine Adidas-Umhängetasche. "Ich achte bei meinen Führungen schon darauf, mich neutral zu kleiden, denn ich möchte den Leuten ja nicht zeigen, welche Marke ich persönlich bevorzuge." Seit drei Jahren arbeitet die 70-Jährige als Führerin in Herzogenaurach und zeigt Touristen die mittelfränkische Kleinstadt. Ein Ort mit gut 24 000 Einwohnern zwischen den Großstädten Erlangen und Nürnberg, den eigentlich niemand auf dem Schirm hat. Dabei kennen alle die Konzerne, die dort seit mehr als 70 Jahren für "Ruhm und Reichtum" sorgen. Denn "Herzo", wie die Einheimischen ihre Stadt liebevoll nennen, ist das Zuhause von Adidas und Puma. Hier wurden die beiden Sportartikelhersteller gegründet. Bis heute haben beide hier ihren Hauptsitz.

Fast nicht zu übersehen liegt im Süden von Herzogenaurach, keine 100 Meter vom Marktplatz entfernt, das Gelände des Automobilzulieferers Schaeffler. Kaum einer weiß, dass der weltweit agierende Konzern seit Ende des Zweiten Weltkriegs hier seine Wurzeln geschlagen hat. Doch was hat Herzogenaurach davon und was tut die Stadt, um die Firmen zu halten? Warum sind die Konzerne eigentlich überhaupt noch da?

Stadt der Schlappenschuster. Wer verstehen will, warum Herzogenaurach die Stadt der Schuhe ist, muss die Geschichte der Mittelfranken kennen. Dann ist es gar nicht mehr so erstaunlich, dass Adidas und Puma hier entstanden und immer geblieben sind. Urkundlich taucht Herzogenaurach erstmals 1002 in den Geschichtsbüchern als Königshof auf: Kaiser Heinrich II. verschenkte den Hof an das von ihm neu gegründete Bistum Bamberg. Im 13. Jahrhundert blühte das Tuchmachergewerbe. Fünf Jahrhunderte lang lebte die Hälfte der 1400 Einwohner davon. Doch dann kam der Umbruch, der Druck, preislich und qualitativ mitzuhalten, wurde immer größer. Ende des 19. Jahrhunderts konnte noch gut ein Fünftel der Bevölkerung von der Tuchmacherei leben, viele waren arbeitslos. Da hatte Georg Denkler 1857 eine Idee: Warum nicht die Kenntnisse aus der Tuchmacherei nutzen und aus Filz "Schlappen" fertigen. Das war die Grundlage der ­Herzogenauracher Schuhindustrie. Und so nennt man "Herzo" noch heute "die Stadt der Schlappenschuster".

Die größte Fabrik damals war die Schuhfabrik B. Berneis, die der Fürther Kaufmann Louis Berneis gründete. Hier arbeite auch der Vater von Adolf und Rudolf Dassler. Er fand als Tuchmacher keine Beschäftigung mehr und arbeitete von da an bei Berneis. Damit legte Christoph Dassler ganz unbewusst den Grundstein für die Karriere seiner Söhne. Wo diese Geschichte begann, zeigt Ottilie Sachs auf ihren Stadtführungen. Am Hirtengraben 12 steht noch heute das Geburtshaus der Brüder Rudolf und Adolf Dassler. Schön renoviert, mit frisch gestrichenen roten Fensterläden, der Garten gepflegt. Das Haus sei im Privatbesitz, die Dassler-Nachkommen hätten es privat versteigert, ohne der Stadt Bescheid zu geben - "eine Tragödie für den Ort". Ottilie Sachs erzählt die Geschichte der Dassler-Brüder auf einer Bank gegenüber des Geburtshauses. Denn die Besitzer würden es nicht mögen, wenn sie zu lang ­davor stehen bliebe, erklärt sie.

Alles begann 1920 nach dem Ersten Weltkrieg in der Waschküche der Mutter Pauline. Adolf funktionierte sie zu einer Werkstatt um und begann dort Schuhe zu entwickeln. Drei Jahre später stieß Adis älterer Bruder Rudolf dazu, und die beiden gründeten die "Gebrüder Dassler Schuhfabrik". Die Geschwister ­ergänzten sich perfekt: Adi war der Techniker und Erfinder, Rudolf der Macher, der gut mit den Kunden konnte. Zugleich hätten sie nicht unterschiedlicher sein können.

Erste internationale Erfolge feierten die Brüder 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin. Sie statteten nicht nur die deutsche Mannschaft mit innovativen Schuhen aus, sondern auch den amerikanischen Athleten Jesse Owens. Die Sprint-Schuhe des vierfachen Gold-Gewinners waren mit speziell angeordneten Dornen versehen. Was wiederum ein Dorn im Auge des NS-Regimes war: ein deutsches Unternehmen, das einen schwarzen Spitzensportler ausstattete. Der Zweite Weltkrieg bremste den wirtschaftlichen Aufstieg der Dasslers - die Brüder mussten in den Krieg.

Familie Dassler zerbricht. Adi, der als Funker eingesetzt war, kam bald zurück. Die Dassler Schuhfabrik produzierte während Kriegszeiten monatlich 10 500 Paar Schuhe, später Panzerabwehrwaffen. Rudolf dagegen war bis 1945 in polnischer Gefangenschaft, konnte fliehen und wurde später von den Amerikanern ein Jahr lang interniert. Nachdem Rudolf zurückkam, traten die Differenzen der Brüder immer deutlicher zutage. Schließlich trennten sie sich. Bei einer Betriebsversammlung konnten die 60 Mitarbeiter entscheiden, zu wem sie gehen wollten: 47 gingen zu Adi, nur 13 zu Rudolf.

Noch im selben Jahr gründete Rudolf Puma, ein Jahr später Adi Adidas. So entstanden zwei der größten Sportartikelhersteller der Welt nur wenige Hundert Meter voneinander entfernt. Die Brüder sprachen nach der Trennung auch privat nie mehr miteinander, sie waren Feinde geworden.

Eine geteilte Stadt. Diese Feindschaft erlebten auch die Herzogenauracher: Bis vor 20 Jahren war sie überall in der Stadt spürbar. Es war unvorstellbar, sowohl Adidas als auch Puma zu tragen. Seit die Inhaber gestorben sind und die Konzerne von Externen geleitet werden, änderte sich das. Heute richten die Unternehmen sogar gemeinsam Sportveranstaltungen aus.

Dass Adidas und Puma in Herzogenaurach blieben, hat sicher etwas mit der Heimatverbundenheit der beiden Brüder zu tun, ist sich Bürgermeister German Hacker sicher. "Die gemeinsame ­Geschichte und diese Konkurrenzsituation - das ist ein Alleinstellungsmerkmal und nicht einholbar für andere." Niemand würde die Geschichten von anderen Sportartikelherstellern kennen, aber diese ist den meisten bekannt. So stünden Adidas und Puma für Herzogen­aurach wie Daimler für Stuttgart.

Nike, die weltweite Nummer 1 der Sportartikelhersteller (Adidas ist gemessen am Umsatz auf Platz 2, Puma rangiert auf Rang 4), pflegt in Herzogen­aurach ein Nischendasein. "Dass Nike Weltmarktführer in der Sportartikelindustrie ist, interessiert die meisten Bürger Herzogenaurachs nicht. Wir sind stolz auf unsere beiden Firmen Adidas und ­Puma", sagt Sachs lachend. Man muss lange suchen, um ein Nike-Produkt zu finden. Das ist verständlich: Arbeiten doch rund 5800 Mitarbeiter am Standort Herzo­genaurach für Adidas, 1400 für Puma.

Von allen in Herzogenaurach ansässigen Unternehmen ist Schaeffler jedoch der größte Arbeitgeber: 10 000 Mitarbeiter sind in der Kleinstadt tätig, 90 000 arbeiten weltweit für den Automobilzu­lieferer. "Trotz unserer globalen Aufstellung ist die regionale Bindung für uns wichtig", so Axel Lüdeke, Sprecher von Schaeffler. Viele Mitarbeiter würden ihr gesamtes Arbeitsleben bei ihnen bleiben.

Schaeffler kam erst 1946 nach Herzogenaurach. Das war auch ein bisschen Zufall, gibt Bürgermeister Hacker zu. Der in Schlesien gegründete Familienkonzern suchte damals ein Gelände mit Bahngleis, wo er nach dem Zweiten Weltkrieg seine Industrie wieder aufbauen konnten. Der damalige Bürgermeister Hans Maier hätte die Zeichen der Zeit mit den Schaefflers richtig erkannt.

Der Standort sei vor allem von Vorteil, um an qualifizierte Mitarbeiter zu ge­langen. "Durch die angesiedelten Unis, Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben wir Zugang zu gut ausgebildeten Fachkräften und gewinnen Top-Studenten als Mitarbeiter", erklärt Lüdeke. Zudem würde eng mit der Stadt zusammengearbeitet und mit hoher Transparenz an geplante Vorhaben herangegangen. Neue Mitarbeiter zu finden scheint ein Leichtes zu sein: Ab diesem Jahr gehören die Fabrikgebäude, die die Dassler-Brüder kauften, als die Waschküche der Mutter zu klein geworden war, zu Schaeffler. Die Firma benötigte mehr Platz. Das sei damals auch Bedingung von Maier gewesen. "Schaeffler sollte im ersten Jahr 100 Arbeitsplätze schaffen, es wurden dann fast 200 ­daraus. Ein völliger Glücksfall für die Stadt", so Hacker.

Die Stadtoberen von Herzogenaurach stehen dem Unternehmen noch immer sehr positiv gegenüber. Hatten die Schaeff­lers doch mit der Continental-Übernahme 2008 großen Aufruhr in die sonst ruhige Kleinstadt gebracht. Die 23 Milliarden Euro Schulden, die der Konzern nach dem Kauf hatte, bedeuteten für die Stadt ein dickes Minus bei der Gewerbesteuer.

Zehn Jahre nach der Übernahme läuft es dem Bürgermeister zufolge "sagenhaft". Ab Anfang 2010 sei es bei Schaeffler mit Volldampf weitergegangen. Das bedeutet: Der Stadt Herzogenaurach geht es finanziell überdurchschnittlich gut, obwohl sie gut 60 Prozent der Gewerbesteuer an den Landkreis Erlangen-Höchstadt abtreten muss. "Der Landkreis finanziert sich ganz erheblich durch die Kreisumlage von Herzo", so Hacker. Denn die Kommune sei mit Abstand die größte im Landkreis, in Sachen Wirtschaftskraft sowieso.

Die übrigen 40 Prozent der Gewerbesteuereinnahmen, die in der Stadt verbleiben, sind immer noch sehr viel Geld. Das kann man einfach ausrechnen. Der Zehn-Jahres-Durchschnitt liegt bei rund 30 Millionen Euro, davon bleiben den Mittelfranken zwölf Millionen Euro in der Haushaltskasse. Damit kann man den Bürgern einiges bieten: So besitzt die 24 000-Einwohner-Stadt sowohl ein Freibad als auch ein Erlebnisbad mit meh­reren Rutschen, Kinder-Abenteuerland und Wellenbecken. Jeder, der einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte braucht, bekommt einen. Alle weiterführenden Schulen sind vor Ort. "Das sind Standortfaktoren, die wir hochhalten", sagt Hacker stolz.

Auch ins Stadtbild selbst wird viel investiert: Die Innenstadt hübsch renoviert - natürlich alles im mittelfränkischen Fachwerkstil. Das Amtsschloss wird saniert, daneben wird das neue Rathaus gebaut - das alte beherbergt mittlerweile eine Bar. Sogar die Gullideckel sind kleine Kunstwerke: Auf jedem prangt der Bamberger Löwe - aus alter Verbundenheit zu Bamberg. "Wenn sich eine Stadt solche Gullideckel leisten kann, lässt das schon vermuten, dass hier nicht gespart werden muss", sagt Fremdenführerin Ottilie Sachs grinsend.

Nach Zahlen eine Großstadt. Die Pendlerzahlen Herzogenaurachs sind vergleichbar mit denen von Großstädten wie Nürnberg oder Erlangen: Gut 20 000 Menschen pendeln jeden Tag in die Kleinstadt, raus nur 5500. "Typischerweise ist es so, dass Menschen aus der Kleinstadt in den Ballungsraum pendeln. Bei uns ist es eben andersherum", so der Bürgermeister. Von der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeitet am Ende doch nur rund ein Viertel, das sind 3000 Menschen, bei Adidas, Puma oder Schaeffler. Die übrigen verteilen sich unter anderem auf den Spezialsaatzuchtbetrieb Breun oder Proleit, Weltmarktführer für Steuersoftware für Abfüllanlagen.

Es ergeben sich aber auch Pflichten für Herzogenaurach: "Es versteht sich von selbst, dass die Firmen Verkehrsanbindungen und Flächen brauchen", erklärt Hacker. Man würde sich gut ab­stimmen, denn man hätte ja dieselben Interessen. So auch beim Grundstück des sogenannten Stadtteils "Herzo Base" im Nordosten der Stadt. Auf dem Grund befand sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Kaserne der US-Amerikaner. Nachdem diese die Stadt 1991 verlassen hatten, bot Herzogenaurach das Grundstück Adidas zum Kauf an. Eine Win-win-Situation könnte man sagen: Adidas konnte neben dem Outlet die "World of Sports" errichten - zwei futuristische Gebäude -, und die Stadt sicherte sich ab, dass der Sportartikelhersteller in Franken bleibt.

Denn die Outlets von Adidas und Puma sind für die Stadt wichtig. Jährlich kommen zum Shoppen bis zu zwei Millionen Besucher - manche fahren dann auch noch in die Stadtmitte, um bei ­Ottilie Sachs eine Stadtführung mitzumachen. Spätestens seit dem Film über die Dassler-Brüder und ihren Streit sei ­Interesse an der Stadt da.

Die Führungen enden dann ganz passend am Dassler-Geburtshaus. So auch heute, wo Ottilie Sachs dann noch ein Geheimnis verrät: "Ich bin Joggerin und trage Puma-Schuhe. Aber in meinem Kleiderschrank finden sich auch genügend Klamotten von Adidas."



Bürgermeister German Hacker im Interview: "Wir haben die Notbremse gezogen"


German Hacker (SPD) ist seit zwölf Jahren Bürgermeister der Stadt ­Herzogenaurach.


€uro: Adidas, Puma, Schaeffler. Spüren Sie den Neid Ihrer Kollegen aus Nürnberg oder Erlangen?
German Hacker: Nicht nur wir profitieren, sondern die ganze Region: Wir haben viele Arbeitsplätze und überdurchschnittliche Steuereinnahmen. Wir sind eine kreisangehörige Kommune, was bedeutet: Wir behalten rund 40 Prozent, der Rest geht an den Landkreis Erlangen-Höchstadt oder in andere Umlagen.

Sie sind aber auch eng mit dem ­Erfolg der drei Unternehmen verbunden, wie zeigt sich das bei den Gewerbesteuereinnahmen?
In den vergangenen zehn Jahren ­waren es mal 57 Millionen Euro, dann wieder nur 17 Millionen. Im Zehn-Jahres-Mittel liegen wir bei 30 Millionen Euro.

Wie ist Ihr Draht zu den Firmen?
Schaeffler, Adidas und Puma halten über 16 000 Arbeitsplätze bereit. Ich bin nur einen Telefonhörer von den Unternehmen entfernt, es besteht ­eine wahnsinnig direkte und enge Zusammenarbeit.

Gibt es einen besonderen Draht zu Schaeffler, dem mit Abstand größten der drei Arbeitgeber in ­Ihrer Stadt?
Man könnte sagen zwischen Herzogenaurach und Schaeffler passt kein Blatt Papier. Es ist ein überaus inno­vatives Unternehmen: Platz 2 bei der Zahl der Patentanmeldungen in Deutschland. Die Innovationskraft hat auch durch die Finanzkrise nicht gelitten, im Gegenteil.

Mitten in der Finanzkrise übernahm Schaeffler Continental. Hat Ihnen das schlaflose Nächte bereitet?
Die gesamte Stadt stand hinter der Familie und dem Unternehmen Schaeffler. Es hat niemand bezweifelt, dass diese strategische Zusammenarbeit richtig ist. Es war ein ­reines Finanzkrisen-Problem und kein inhaltlich-technisches.

Dennoch hat die Stadt die Probleme zu spüren bekommen.
Ja, zunächst hat es uns scheinbar den Boden unter den Füßen weg­gezogen. Etwa ein Jahr später wussten wir, dass es bei Weitem nicht so dramatisch sein würde.

Wie ist man damit umgegangen?
Wir mussten Ende 2008 einen Haushalt aufstellen, der sofort mit relativ harten Konsolidierungsmaßnahmen einhergegangen ist.

Das bedeutet?
Wir haben die Notbremse gezogen: Eine Budgetkürzung von 20 Prozent, Investitionen wurden zurückgestellt und vieles mehr. Rückblickend war das nur eine Delle.

Was macht man heute, um sich ­gegen so etwas abzusichern?
Wir haben fast zehn sehr gute Jahre hinter uns. Dadurch konnten wir Schuldenfreiheit und eine hohe Rücklage von rund 70 Millionen Euro erreichen. Damit würden wir selbst in einer konjunkturell schwächeren Phase gut klarkommen.