Es ist ein Paukenschlag und gleichzeitig eine abgestandene Melodie: Moody’s, die letzte der drei großen Ratingagenturen, hat den USA ihre Spitzenbonität „Aaa“ entzogen. Doch was früher Panik auslöste, läuft heute wie ein Nebensatz durch die Nachrichtenticker. Und mittendrin ein US-Finanzminister Scott Bessent, der die Herabstufung mit der Lässigkeit eines Hedgefonds-Veteranen kommentiert: „Ich schenke der Herabstufung durch Moody’s nicht viel Glauben.“ Und meint damit nicht nur den Einfluss der Agentur – sondern spricht eine tiefere Wahrheit aus: Der Markt für US-Staatsanleihen funktioniert längst unabhängig von Rating-Urteilen.
Der wahre Richter heißt Kapitalmarkt
Die USA sind mit über 36 Billionen Dollar verschuldet. Die Refinanzierung dieser Summe erfolgt täglich, im Takt der Auktionen, über Treasury Bills, Notes und Bonds. Doch was passiert, wenn die „Sichersten der Welt“ plötzlich ein Bonitätsproblem haben?
Antwort: nicht viel.
Zwar steigen die Renditen – die zehnjährige US-Staatsanleihe liegt wieder nahe der 4,5 %-Marke –, aber der Markt zeigt keine Panik, sondern Preisanpassung. Das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der USA ist weniger eine Frage des Ratings – sondern eine Frage der institutionellen Notwendigkeit:
Versicherungen, Pensionsfonds, Banken, Zentralbanken weltweit – sie alle müssen US-Staatsanleihen halten.
Der Dollar ist Weltleitwährung, die Fed ist Anker der globalen Liquidität.
US-Treasuries sind der Kollateral-Standard der globalen Finanzarchitektur.
Moody’s kann warnen – aber die Realität des globalen Kapitalverkehrs diktiert: Solange der Dollar die dominante Reservewährung bleibt, werden Treasuries gekauft.
China reduziert – London übernimmt
Ein anderes Signal kommt aus dem US-Treasury-TIC-Report (Stand März 2025):Der jüngste TIC-Report des US-Finanzministeriums offenbart eine stille, aber strategische Verschiebung:
China hat im März 2025 seine Bestände an US-Staatsanleihen auf 765 Milliarden Dollar reduziert, der niedrigste Stand seit 2009. Zum ersten Mal seit über zwei Jahrzehnten fällt China auf Platz 3 der größten ausländischen Gläubiger – hinter Japan und nun auch Großbritannien.
Das ist kein Zufall.
China verkauft seit Jahren schrittweise US-Schuldtitel. Stattdessen stockt es seine Goldreserven auf – zuletzt sechs Monate in Folge, wie die Staatsverwaltung für Devisenreserven meldete. Die Botschaft ist klar: Diversifizierung, geopolitische Autonomie, Schutz vor Sanktionen.
Die Nummer 2 im Gläubiger-Ranking, das Vereinigte Königreich, gewinnt nicht durch politische Absicht, sondern durch Funktion:
London ist Drehscheibe für globale Finanzakteure, darunter Banken, Hedgefonds und Versicherer, die über sogenannte Basis-Trades Arbitrage betreiben. Diese Käufe sind technisch, nicht vertrauensbasiert – und damit volatil.
Japans mahnende Worte: „Schlimmer als Griechenland“
Die kritischste Stimme aber kommt ausgerechnet von einem engen US-Verbündeten:
Japans Premierminister Shigeru Ishiba sagte vergangene Woche in einer Rede:
„Die finanzielle Lage Japans ist schlimm – aber die der USA ist schlimmer. Schlechter als Griechenlands.“
Ein Satz, der sitzt. Und der verdeutlicht, dass selbst treue Gläubiger zunehmend Zweifel hegen. Zwar stockte Japan seine US-Bestände im März erneut auf (auf 1,1308 Billionen Dollar) – doch Ishibas Worte markieren einen Paradigmenwechsel in der öffentlichen Kommunikation asiatischer Gläubigerstaaten.
Warum Bessent (nicht) falsch liegt
Bessents Argument lautet: Die Steuersenkungen (die erneut durch den Kongress müssen) würden Wachstum fördern, was zu einer besseren Schuldenquote führe. Das BIP wachse schneller als die Schulden.
Moody’s widerspricht:
„Aufeinanderfolgende US-Regierungen und der Kongress haben es nicht geschafft, den Trend hoher Defizite und steigender Zinskosten zu stoppen.“
Tatsächlich erwartet Moody’s eine Verschlechterung der fiskalischen Kennzahlen bis 2035 – auf eine Schuldenquote von 134 % des BIP. Das ist alarmierend, aber nicht neu. Der entscheidende Punkt ist:
Der Markt weiß das längst. Die Preisbildung hat das eingepreist.
Und: Die USA zahlen ihre Schulden in eigener Währung – der Dollar ist kein Fremdwährungsrisiko.
Solange die Fed Liquidität sicherstellt und der Kongress nicht absichtlich gegen die Wand fährt, bleibt der US-Bondmarkt die letzte Instanz für Sicherheit – auch ohne AAA.
Zins, Risiko, Vertrauen – und die politische Unruhe
Trotz aller Souveränität bleibt ein Risiko:
Die Märkte werden zunehmend sensibler für politische Unsicherheiten. Die Debatte um die Schuldenobergrenze (Stichwort: August) könnte zu einem Showdown führen, wie zuletzt 2011. Ein Zahlungsausfall – auch nur technisch – wäre ein fatales Signal.
Zudem steht im Raum: Wer übernimmt den marginalen Kaufdruck?
Die Fed? Aktuell restriktiv.
Ausländische Zentralbanken? Zunehmend vorsichtig.
Private Anleger? Nur bei attraktiven Zinsen.
Es braucht Verlässlichkeit und Planbarkeit, nicht nur monetär, sondern auch fiskalisch. Hier liegt Bessents größte Herausforderung.
Die zentrale Frage: Wenn keiner mehr kaufen will – muss es die Fed tun?
Die Herabstufung durch Moody’s ist ein politisches Signal – kein finanzielles Urteil. Die USA können sich finanzieren – auch ohne Triple-A.
Aber: Der Preis steigt. Die Renditen klettern, der Schuldendienst wird teurer. Bessent setzt auf Wachstum. Moody’s warnt vor struktureller Taubheit.
Der Markt aber fragt nüchtern: Wer kauft – und warum?
Ein Bericht der Economic Times of India verweist auf Hinweise aus Bond- und Repo-Märkten, wonach die Fed über verdeckte Kanäle und Sonderfazilitäten angeblich wieder massiv Liquidität ins System bringt – ohne dies im Stil der alten QE-Programme offen zu kommunizieren.
Zwischen Glaubensfrage und Fundamentaldaten
Die Diskussion um geheime Fed-Käufe steht exemplarisch für das neue Dilemma der Märkte:
Ist das System selbsttragend – oder wird es im Hintergrund gestützt?
Für Anleger bedeutet das:
Gold und Bitcoin als Absicherung gehören wieder ins Portfolio. Der US-Anleihemarkt bleibt taktisch nutzbar – aber nicht mehr vertrauensbasiert.
Die Fed ist – ob sie will oder nicht – zurück im Spiel. Und Scott Bessent? Der spricht von Wachstum.
Doch die Märkte hören zwischen den Zeilen:
„Wenn niemand mehr kaufen will, muss es am Ende doch wieder die Fed tun.“
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