Stürmisch ist es am Hamburger Fisch­markt. Gegenüber, hinter den grauen Hafenkais der Elbe, drehen sich Windräder. Das passt zum regenerativen Energiespe­zialisten Encavis, der hier in einem verglasten Bürohaus seinen Sitz hat. Auch wenn die Windkraft vom Vorstandszimmer im siebten Stock exzellent zu sehen ist: Das Hauptaugenmerk von Encavis-Vorstandschef Dierk Paskert liegt auf der Sonne. Dass die Photovoltaik die ­Gewinne auch künftig sprießen lassen wird, macht er im Gespräch deutlich.

€uro am Sonntag: Herr Paskert, Wind und Solar sind das Kerngeschäft von Encavis. Im Klimapaket der Bundesregierung wird dem Ausbau des grünen Stroms aber wenig Bedeutung beigemessen. Sind das für Sie düstere Perspektiven?
Dierk Paskert: In der Tat ist das Klimapaket kein großer Wurf. Es gibt sehr viele Kompromisse, die kaum zueinanderpassen. Aber für uns ist das kein großes Thema, weil wir versuchen, uns von der Politik unabhängig zu machen.

Betroffen sind Sie aber doch, weil das Klimapaket den Ausbau der Windkraft zum Erliegen bringen kann.
Wenn man die vorgeschriebenen Abstände der Windkraftanlagen erhöht, so wie im Klimapaket vorgesehen, werden in Deutschland keine neuen Anlagen mehr gebaut. Wir sind bereits seit drei Jahren nur noch selektiv im deutschen Markt aktiv, kaufen da und dort eine Anlage, wenn wir sie günstig finden. Ansonsten konzentrieren wir uns auf den Bestand und unser Wachstum im Ausland. Die nordischen Märkte sind für Wind weiter interessant, etwa Schweden und Dänemark.

Aber auch bei der Photovoltaik herrscht nicht eitel Sonnenschein.
Klar ist: Die Maßnahmen, die jetzt beschlossen wurden, lassen nicht den Zubau zu, der nötig wäre, um die Klimaziele 2030 zu erreichen, also 65 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien. Wir würden uns freuen, wenn die Rahmenbedingungen so wären, dass wir hier mehr Geschäft machen könnten. Das hängt aber nicht nur von der Bundes­politik ab, sondern auch von regionalen und lokalen Genehmigungsbehörden.

Wie reagieren Sie darauf?
Wir konzentrieren uns auf Anlagen, bei denen wir nur noch bilaterale Verträge machen außerhalb der regulierten Tarife.

Sie sprechen Abnahmeverträge mit Großverbrauchern an, sogenannte Power Purchase Agreements (PPA). Lohnt sich das überhaupt bei niedrigen Strompreisen?
Die Frage ist immer: Wie günstig können Sie den regenerativen Strom erzeugen im Vergleich zum Großhandels- oder Börsenpreis. Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Besonders attraktiv ist das derzeit in Spanien. Dort können wir Solarstrom rund 25 Prozent günstiger produzieren als Börsenstrom kostet. Und darin ist die Marge schon inkludiert. Das ist für Abnehmer sehr attraktiv. Wir verkaufen Solarstrom für 3,5 bis vier Cent je Kilowattstunde.

Setzen Sie den kompletten Strom an einen einzigen Kunden ab?
Nein. Wir haben jetzt rund 75 Prozent daraus für zehn Jahre verkauft. Das sind insgesamt 4,5 Milliarden Kilowattstunden. Die übrigen 25 Prozent, die wir produzieren, können wir am Markt absetzen, und zwar zu einem höheren Preis. Das ist sehr interessant, zumal die Finanzierung über den Langfristvertrag gedeckt ist. Und nach zehn Jahren ist der Kapitaldienst getätigt, der den Großteil der Kosten ausmacht.

Und was passiert danach?
Dann wird es spannend, denn die laufenden Kosten sind für den abbezahlten Park sehr niedrig. Die Sonne scheint umsonst. Die Pflege macht wenige Euro pro Megawatt aus. Hinzu kommen die Pacht für die Grundstücke und Abschreibungen auf die Anlagen.

Ähnliches passiert auch in Deutschland, wenn die Anlagen nach 20 Jahren Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus der Vergütung fallen. Dann werden sie komplett abgeschrieben sein, aber noch produzieren. Sitzen Sie auf enormen stillen Reserven?
Wir nennen dies das goldene Ende. Wir profitieren davon, dass der Schuldendienst, also Zins und Tilgung, nicht mehr anfällt und wir ohne Rohstoffkosten praktisch zu null Kosten Strom produzieren. Etwas Ähnliches gab es auch im klassischen Energiemarkt. Ich war ja Anfang des Jahrtausends für die Eon- Strategie zuständig. Damals war es so, dass die laufenden Atomkraftwerke komplett abgeschrieben waren und zu geringsten Kosten produzierten. So haben die Konzerne viel Geld verdient. Der Effekt ist bei der Photovoltaik ganz ähnlich, wenn auch der Hebel ein anderer sein wird.

Wie lang werden die alten Solaranlagen noch laufen?
Auf jeden Fall länger als 20 Jahre. Wir können nicht feststellen, dass die technische Leistungsfähigkeit so abnimmt, dass sie nach Ablauf des EEG keinen Strom mehr produzieren. Wir pflegen unsere Anlagen, ersetzen Module, Wechselrichter, sodass alle Parks voll funktionsfähig sind. Nach 20 Jahren ist der Kapitaldienst geleistet. Die Rendite hängt dann vom Strompreisniveau ab.

Und wann ist es für Sie so weit?
Im Durchschnitt erhalten unsere Solarparks noch für 13 Jahre EEG-Vergütungen. Es dauert noch bis 2023/24, bis die erste Anlage aus unserem Portfolio diesen Punkt erreicht.

Am Markt für regenerative Kraftwerke ist eine hohe Nachfrage von institutionellen Anlegern zu beobachten. Drückt dies nicht die Rendite der Parks?
Das kommt weniger von der hohen Nachfrage als von den niedrigen Zinsen und dem billigen Kapital, das in den Markt drängt. So geben sich Investoren mit immer weniger Rendite zufrieden.

Sie auch?
Das ist von Land zu Land unterschiedlich und bewegt sich zwischen fünf Prozent in Deutschland und acht Prozent in Spanien. Man muss aber heute mehr tun, um diese Margen zu erwirtschaften. Sie brauchen ein aktives Management. Die Anlagen müssen optimal laufen und der Strom aktiv vermarktet werden. Früher wurden diese Renditen aus den üppigen Einspeisevergütungen allein erzielt. Das geht heute nicht mehr.

Sie profitieren vom Preisverfall für ­Solaranlagen. Hält der an?
Die Preise sind in den letzten zehn Jahren um 80 Prozent gefallen. Wir rechnen mit weiter fallenden Kosten. Dazu kommt ein zweiter Effekt: Die Effizienz der Solarmodule nimmt zu. Weil der Rohstoff Silizium so günstig ist, werden wir immer mehr Module sehen, die beidseitig Strom erzeugen können - sogenannte bifaziale Module. Dazu kommt die Möglichkeit, großteiliger einzukaufen.

Wo sehen Sie angesichts stärkerer ­Konkurrenz die Zukunft?
Im Moment gibt es in Europa noch viele gute Projekte, ohne dass wir unsere Renditeansprüche zurückfahren müssten. Das ist insbesondere in Italien der Fall. Dazu kommen Dänemark, Großbritannien - unabhängig vom Brexit -, Irland - getrieben durch Datenzentren - und Frankreich, das sein Energiesystem zum Teil von Kernkraft auf Wind- und Solarenergie umstellt. Mittel- bis langfristig werden wir uns aus Europa ­herausbewegen. Das ist aber kein Pro­blem. Die regenerative Stromerzeugung wird ein globales Geschäft.

Müssen Sie nicht auch kurzfristig schon in Deutschland mit der Knappheit von Freiflächen rechnen?
In dicht besiedelten Räumen ja. Aber es gibt zum Beispiel in Brandenburg noch viele Flächen, die sich nutzen lassen, auch Konversionsflächen zum Beispiel. Aber in der Tat ist die Auswahl an Frei­flächen limitiert. Langfristig werden wir auf die Dächer müssen.

Sie steigen in das kleinteilige Geschäft mit Aufdach-Solaranlagen ein?
Das ist kein Hexenwerk. Wir müssen dieses Geschäft standardisieren und ­automatisieren, können nicht jede Woche einen Monteur rausschicken. Da ist gutes Management gefragt. Das ist ein großer und attraktiver Wachstumsmarkt. Wir würden weniger private Dächer nutzen wollen, sondern zum Beispiel Industriedächer, Logistikhallen oder Shoppingmalls. Da gibt es sehr viel Potenzial.

Wann geht es los?
Das ist noch nicht terminiert. Irgendwann wird man den Sprung wagen. Wir werden das eher über den Aufkauf eines Portfolios beginnen. Und bauen das Geschäft dann aus. Der Ursprung muss dabei nicht in Deutschland liegen.

Über eine Übernahme also?
Das wäre ein möglicher Weg. Jemand, der Expertise hat, einen Anlagenbestand und eine Servicemannschaft dafür.

Kommen sonst Käufe in Betracht?
Ja, wenn es attraktiv ist. Die Chorus-­Übernahme vor drei Jahren war er­folgreich. Wenn so etwas wieder möglich ist und Portfolios unterbewertet sind, dann greifen wir zu.

Aus anderer Richtung könnte auch was kommen, zum Beispiel ein Übernahmeangebot durch Finanzinvestoren.
Wenn jemand kommt, dann sprechen wir mit dem. Aktuell ist das aber nicht der Fall. Es mag strategische Investoren geben. Wir sind einer der wenigen großen Player im Solarstrommarkt. Natürlich wird der eine oder andere überlegen. Das macht uns aber nicht nervös.

Wie sehen Sie denn Ihre Rolle?
Nicht als Übernahmekandidat, sondern als Konsolidierer. Institutionelles Kapital findet vielfältige Möglichkeiten, mit uns zu arbeiten. Unsere Tochter für das Asset-Management erwirbt Parks für Finanzinvestoren. Ansonsten gibt es unsere Aktien oder Anleihen. Ob wir bei steigendem Kurs ein attraktiver Übernahmekandidat sind, sei dahingestellt.

Kapital ist billig.
Ein Übernahmeangebot müsste mindestens eine Prämie von 30 bis 50 Prozent auf den aktuellen Aktienkurs beinhalten. Sonst würde das wohl keinen unserer Ankeraktionäre interessieren. Dazu kommen Schulden von 1,7 Milliarden Euro. Wir reden also immerhin von 3,5 Milliarden Euro Übernahmevolumen. Das wäre auch in diesen Zeiten eine gewaltige Summe. Darüber hinaus stellt sich doch die Frage: Was kann der potenzielle Käufer besser machen?

Bleiben Sie der Stromproduzent oder planen Sie einen Einstieg etwa in Speicher und solaren Wasserstoff?
Batteriespeicher werden wichtig, um Kunden kontinuierlich Strom anbieten zu können. Alle unsere neuen Parks planen wir entsprechend und holen Genehmigungen ein. Das ist auch wirtschaftlich interessant. Wasserstoff aus Solar oder Wind ist technisch sehr spannend, aber noch von der Wirtschaftlichkeit entfernt. Wir beobachten das.

Wie sehen Ihre Wachstumspläne für die kommenden Jahre aus?
Wir haben in der Vergangenheit 300 bis 400 Megawatt an neuen Parks pro Jahr erworben. Diese Zahl wird auf bis zu 500 Megawatt pro Jahr steigen bis 2021.

Wie lief das dritte Quartal 2019?
Wir befinden uns in einem guten operativen Jahr. Solar und Wind laufen gut, und das Asset-Management verzeichnet einen ordentlichen Zulauf. Mengenmäßig war das dritte Quartal aufgrund des Zubaus besser als das Vorjahresquartal. 2018 und 2019 sind insgesamt sehr gute Jahre für Encavis. Wir profitieren von einem immer breiteren Portfolio, in dem sich gute und weniger gute Wettereinflüsse ausgleichen.

Der Kurs zog zuletzt stark an, kann das so weitergehen?
Ja, durchaus, auch wenn die Kapitalmärkte unvorhersehbar sind. Erneuerbare Energien haben eine andere Qualität bekommen, sind gesellschaftlich ganz anders akzeptiert. Und für Encavis gilt: Das Beste kommt erst noch.

Vita
Schalker Jung
Dierk Paskert kennt sich aus mit Energie. Er war viele Jahre im Management von Eon aktiv, zudem bei zahlreichen Industriefirmen an Rhein und Ruhr. Seit 2017 sitzt er auf dem Chefposten von Encavis und pendelt zwischen Düsseldorf und Hamburg. Privat treibt der promovierte Ökonom gern Sport. Täglich laufe er mit seiner Frau um die Alster, erzählt der 58-Jährige. Auch das Ruhrgebiet lässt den gebürtigen Gelsenkirchener nicht los. "Dort lernt man Demut", sagt er - und die Treue zum Fußball. Das heißt für Paskert: Schalke 04.

Die Aktie
Es läuft einfach rund
Der Betreiber von Wind- und Solarparks bestätigte die bereits zweimal erhöhte Jahrespro­gnose: Encavis erwartet einen Umsatz von über 270 (Vorjahr: 248,8) Millionen Euro sowie ein Ebit von über 132 (Vorjahr: 113,7) Millionen Euro. Der operative Cashflow soll ebenfalls deutlich ansteigen. Der Kursverkauf der Aktie spiegelt die fundamentale Entwicklung wider, das Papier läuft im kontinuierlichen Aufwärtstrend. Um das Unternehmen kursieren immer wieder Übernahmegerüchte. Weiter attraktiv.