Erdgas hat sich in den vergangenen Monaten drastisch verteuert. An der Börse erreichte der fossile Rohstoff Kurse von über vier Dollar pro Tausend Mbtu. Noch Anfang des Jahres wurde Erdgas für rund 2,50 Dollar gehandelt. Hintergrund der Preisrally ist eine weltweit anziehende Nachfrage, die auf ein knappes Angebot trifft.

Was Erdgas so attraktiv macht: Es gilt im Vergleich zu Erdöl als weniger klimaschädlich. Fehlt es an Strom aus erneuerbaren Energien, wird auf Erdgas zurückgegriffen. Im ersten Halbjahr wurden in Deutschland 16 Prozent mehr Erdgas für die Strom- und Wärmeerzeugung genutzt als im Vorjahreszeitraum. Dazu kommt, dass die Füllstände der Gaslager insgesamt in Europa deutlich unter dem für die Jahreszeit üblichen Level liegen. Zuletzt meldete Österreich historisch niedrige Niveaus. Ein Gasspeicher in der Nähe von Salzburg ist mit knapp sechs Prozent praktisch leer. Und in wenigen Wochen beginnt die Heizperiode. Der Speicher gehört dem russischen Energiekonzern Gazprom. Russland ist der wichtigste Lieferant für Europa. Es sieht ganz danach aus, als ob Gazprom bewusst am Hahn dreht.

Gezielte Angebotssteuerung

Pressemeldungen zufolge wird aus einigen europäischen Speichern Erdgas abgezogen, um die geringeren Lieferungen über die Jamal-Europa-Pipeline durch Belarus und Polen auszugleichen. Die Interessenvertretung Gas Infrastructure Europe bestätigt, dass seit Anfang des Monats Gas aus den unterirdischen Gazprom-Speichern in Rehden in Deutschland entnommen wird. Die Menge, die von der Jamal-Pipeline aus Russland an der Verdichterstation in Brandenburg ankommt, wird dagegen von Tag zu Tag geringer. Und das passiert alles zeitgleich mit der Verlegung der letzten Meter von Nord Stream 2 in der Ostsee. Geht es Gazprom gezielt um eine Verknappung, um den Preis in die Höhe zu treiben? Wohl eher nicht. Vielmehr wird Druck aufgebaut. Nach der Fertigstellung der Gasleitung geht es um die Zertifizierung und die Versicherung. Doch bisher haben alle anerkannten westlichen Firmen und Versicherungen wegen der drohenden US-Sanktionen abgelehnt. Ohne Versicherung und Zertifizierung wird die Pipeline nicht in Betrieb gehen. Bis eine Lösung gefunden wird, kann es dauern. Die Rohstoffexperten der Commerzbank gehen davon aus, dass Europa mit niedrigen Gasreserven in die Wintersaison gehen wird. Sollte es dann richtig kalt werden, könnte das zu Engpässen und deutlich steigenden Preisen führen. Die gewagte Wette eignet sich nur für erfahrene Anleger.