Stark erhöhte Preise etwa für Stahl, exorbitant gestiegene Logistikaufwendungen - die Inflation bei den Inputkosten bereitete Nordex-Chef Jose Luis Blanco in den zurückliegenden Monaten so einiges Kopfzerbrechen. Die Gewinnmargen des Windkraftanlagenbauers litten unter hohen Lasten. Die Hamburger sind nicht allein, der ganzen Branche macht der Kostendruck Sorgen. Schrumpfende Margen bei Nordex, bei Spaniens Siemens Gamesa wegen zusätzlicher hausgemachter Baustellen sogar hohe Verluste - die Aktienkurse kannten zuletzt nur eine Richtung: abwärts.

Neuerdings aber zeigt die Branche an der Börse ein völlig anderes Gesicht. Wie beflügelt drehen die Aktien der Turbinenbauer auf, neben Nordex oder Gamesa zog auch etwa die dänische Vestas stark an. Gleiches bei Solarausrüstern wie SMA Solar - Unternehmen aus dem Bereich erneuerbare Energien stehen bei Anlegern plötzlich hoch im Kurs. Der Grund: Seit Russland die Ukraine überfallen hat und der Westen mit Sanktionen antwortet, stellen sich Europäer existenzielle Fragen. Wie wird der Kontinent unabhängiger von russischer Energie, wie will Deutschland, das extrem stark am russischen Gas hängt, künftig seinen Energiebedarf decken?

Die Antwort gab der deutsche Finanzminister Christian Lindner: "Ich gehe davon aus, dass wir bis 2026 etwa 200 Milliarden Euro für Klimaschutz, Ladeinfrastruktur, Wasserstoff-Technologie, die Modernisierung der Industrie, auch die Abschaffung der EEG-Umlage, um die Menschen zu entlasten, vorsehen werden", so Lindner in einem TV-Interview. Eine gewaltige Summe, wobei Kritiker wie etwa der Naturschutzbund einwarfen, über die bisherigen Pläne hinaus solle hier der Energie- und Klimafonds des Bundes lediglich um 30 Milliarden Euro aufgestockt werden.

Tatsächlich machte sich Wirtschaftsminister Robert Habeck, als Grüner per Parteibuch öko-affin, schon vor der Ukraine-Krise für Erneuerbare stark. Jetzt drückt Habeck umso heftiger aufs Gas. Bis 2035 soll der Stromsektor klimaneutral werden, zuvor sollte dieses Ziel vor 2050 erreicht werden. Dafür plant der Wirtschaftsminister eine drastische Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Bislang ist das in der Praxis die größte Hürde für den Ausbau der Erneuerbaren. Regelmäßig bremst der Widerstand von Kommunen oder Bürgerinitiativen Pläne etwa zum Ausbau von Windkraftanlagen oder Solarparks. Um die Bremse zu lösen, will Habeck in den Genehmigungsverfahren den Grundsatz verankern, dass der Ausbau der Regenerativen im öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient. Klagen gegen neue Anlagen würden damit erheblich erschwert und der Ausbau der grünen Energiequellen hierzulande de facto deutlich beschleunigt.

Europa denkt neu

Auch die europäische Politik denkt um. EU-Vertreter trafen sich am Donnerstag in Versailles zu Gesprächen über die künftige Energiepolitik der Gemeinschaft. Bis Redaktionsschluss dieser Zeitung wurden konkrete Ergebnisse noch nicht bekannt. Klar ist aber, dass auch die EU-Staaten die Abhängigkeit von russischen Energieimporten abbauen wollen.

Damit haben sich die Perspektiven für Anbieter aus dem Bereich Erneuerbare spürbar aufgehellt. Beispiel Windkraft: In den nächsten acht Jahren soll allein in Deutschland mit rund 40 Gigawatt die gleiche Windkraftkapazität aufgebaut werden wie in den vergangenen 30 Jahren - da sind Lindners zusätzliche Milliarden noch nicht inbegriffen.

Nordex steht vorn in der Reihe der potenziellen Profiteure. Soeben legten die Hamburger vorläufige Zahlen für 2021 vor. Demnach lag der Umsatz über der Prognosespanne, die operative Marge jedoch halbierte sich. Der Auftragseingang stieg dabei jedoch um rund ein Drittel auf acht Gigawatt Kapazität. "Kurzfristig wird das Umfeld herausfordernd bleiben, während die mittel- bis langfristigen Perspektiven sehr positiv bleiben", so Chef Blanco. Niedrige Produktvarianz sowie höhere Stückzahlen sprechen dafür, dass das Unternehmen seine Profitabilität gegenüber 2021 womöglich im laufenden Jahr wieder deutlich steigern kann. Denn die neue Turbinengeneration macht allein über vier Fünftel der Aufträge aus.

Netzausbau notwendig

Auch Siemens Energy (SE) dürfte zu den Gewinnern zählen. Die Windkrafttochter Siemens Gamesa, an der SE rund zwei Drittel der Anteile hält, ist der weltweit führende Turbinenbauer für den technologisch anspruchsvollen Offshore-Bereich. Zudem profitiert SE als Ausrüster vom notwendigen Ausbau der Netzinfrastruktur. Der ist für die stärkere Nutzung der dezentralen Öko-Energien unabdingbar. Die Münchner stellen etwa Offshore-Anbindungstechnik, Verteilstationen oder Umspannwerke her. Auch die Digitalisierung treibt das Geschäft, denn die Netze werden immer komplexer, nicht zuletzt durch die wachsende Elektromobilität.

Shortseller auf falschem Fuß

Von der Beschleunigung der Genehmigungsverfahren durch die Politik profitieren auch Projektierer. Der Bremer Energiekontor etwa dürften die Berliner Pläne besonderen Auftrieb bringen. Die Norddeutschen sind einer der größten Entwickler und Errichter von Wind- und Solarparks der Republik. Das Unternehmen wird dabei immer mehr zum Betreiber, im Jahresverlauf 2021 stockten die Bremer ihre Stromerzeugungskapazitäten deutlich auf.

Die Aktie von Energiekontor zählt zu den Papieren mit auffällig hohem Kursplus seit Ausbruch des Kriegs. Das gilt auch für SMA Solar, wobei das Papier eine extreme Achterbahnfahrt hinter sich hat. Noch vor wenigen Wochen gab der Herstellers von Solarausrüstung eine markante Gewinnwarnung ab. Umso heftiger fiel die jüngste Trendumkehr aus. Ein Grund: Viele Hedgefonds hatten bei SMA nach der Hiobsbotschaft auf weiter fallende Kurse gesetzt. Jetzt jedoch mussten, ähnlich wie bei Nordex, zahlreiche Shortwetten aufgelöst werden - es folgten Deckungskäufe und eine umso fulminantere Kursrally.
 


INVESTOR-INFO

Energiekontor

Fokus auf Deutschland

An Kapital für Investitionen in grüne Energieprojekte mangelte es bisher schon kaum. Beschleunigen sich die Genehmigungsverfahren, dann entfällt eines der größten Wachstumshemmnisse für den Projektierer. Gut die Hälfte der Projektpipeline aus Wind- und Solarparks liegt in Deutschland. Die Norddeutschen wollen auch in Frankreich und den USA wachsen. Das Plus beim Nettogewinn wird im laufenden Jahr auf über 50 Prozent geschätzt. Die Aktie ist relativ günstig.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 95,00 Euro
Stoppkurs: 51,00 Euro

Nordex

Margen im Aufwind

Die Aktie des Windkraftanlagenbauers war zuletzt stark gefallen, notierte im Tief über 50 Prozent unter dem Zwölfmonatshoch. Hauptbelastungsfaktor sind hohe Material- und Logistikkosten, das operative Ergebnis (Ebitda) blieb 2021 leicht unter Erwartung. Die Ertragslage verbessert sich indes, das Orderbuch ist gut gefüllt. Mit steigender Auslastung sollte die Profitabilität anziehen. Analysten rechnen für 2022 annähernd mit einer Verdreifachung des operativen Gewinns.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 22,00 Euro
Stoppkurs: 13,00 Euro

Siemens Energy

Turnaround steht an

Das Geschäft mit Ausrüstungen für fossile Energieerzeugung (Kohle- und Gaskraftwerke) läuft ordentlich, hier verdienen die Münchner vor allem an Serviceverträgen. Die hauseigene Stromnetztechnik profitiert vom Öko-Ausbau. Drei Gewinnwarnungen in Folge bei der Windkrafttochter Siemens Gamesa haben der Aktie stark zugesetzt. Ein ausgewiesener Sanierer geht interne Probleme an. Der Turnaround bei Gamesa kann sich trotz guter Marktposition bei Offshore-Turbinen hinziehen. DAX-Abstieg bremst den Kurs.

Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 22,00 Euro
Stoppkurs: 16,50 Euro