Die Belastung im Geschäft und die Herausforderung durch die Auswirkungen der Pandemie sind bei Estée Lauder gewaltig. Der 1946 von der gleichnamigen Unternehmerin in New York gegründete Hersteller von Kosmetik und Hautpflegeprodukte im Luxussegment erzielte 2019 rund 40 Prozent seiner Erlöse von 14,9 Milliarden Dollar in Boutiquen und Kaufhäusern - hier oft in sogenannten Shop-in-Shop-Systemen. Filialen an internationalen Airports und Bahnhöfen brachten weitere 23 Prozent der Erlöse.

Damit treffen vorübergehende Geschäftsschließungen sowie die weltweit deutlich eingeschränkte Reisetätigkeit im Zuge der Corona-Pandemie den Kosmetikriesen erheblich.

Überraschend stark

Dennoch hat die Aktie die starken Verluste während des breiten Ausverkaufs an den Börsen im März inzwischen nahezu ausgeglichen. Anleger honorieren offensichtlich die Strategie des Vorstands, mit der er die Auswirkungen der Pandemie begrenzen will. Der New Yorker Kosmetikkonzern will den Anteil der Online-Umsätze am Gesamterlös von zuletzt 15 Prozent noch zügiger ausbauen als vor Corona geplant.

Rund drei Viertel des Budgets für Werbung werden bereits in Onlinereklame investiert. Neu ist, dass im wichtigen Amerika-Geschäft, das rund 29 Prozent der Erlöse liefert, nun geschulte Mitarbeiter und professionelle Kosmetikberater aus den Filialen mit Video-Tutorials online auf Sendung gehen. Sie sollen den Kunden die Vorzüge und die Anwendung der teuren Kosmetik- und Pflegeprodukte per Chat erläutern und sie anschließend bei ihren Onlinekäufen begleiten, erläutert die Finanzchefin von Estée Lauder, Tracy Travis. Sie ist überzeugt, dass es deshalb im Amerika-Geschäft des Unternehmens während der nächsten Jahre eine "deutliche Verlagerung der Umsätze ins Web geben wird".

Bei einem Sortiment mit Cremes, die auch schon mal 400 Dollar pro Tiegel kosten können, bleibt die zahlungskräftige Kundschaft weitgehend zuverlässig und ordert gern online, wenn das dank eines entsprechenden Services einfach und bequem möglich ist. Bei den Bestsellermarken des Konzerns wie Clinique, Bobbi Brown oder La Mer liegt der Anteil der Kunden, die diese Produkte regelmäßig bestellen, bei über 50 Prozent. "Das ist deutlich mehr als bei vielen Konkurrenten, auch weil der Konzern das Verhalten seiner Kunden detailliert auswertet und neue Produkte deutlich schneller auf den Markt bringt als viele Konkurrenten", sagt Brian Yacktman, Chef und Gründer des US-Vermögensverwalters YCG Investments. Ein Jahr brauche der Konzern in der Regel für die Entwicklung und das Marktdebüt eines neuen Produkts, andere Unternehmen brauchten doppelt so lang, sagt Yacktman.

Finanziell ist Estée Lauder gut gerüstet, um schwierige Zeiten zu meistern. Ende März verfügten die New Yorker über knapp fünf Milliarden Dollar Cash in der Bilanz. Die 6,2 Milliarden Dollar Schulden könnte der Konzern mit seinen Reserven und mit dem operativen Gewinn theoretisch innerhalb eines Jahres begleichen.

Schutz für Image und Marge

Verschenkt wird nichts. Um die hohen Margen und das Image der Produkte zu schützen, werden die Bestände der ausgelieferten Waren in den Filialen genau beobachtet, um sofort zu reagieren, sollte ein Händler in Schwierigkeiten geraten. Dann wird entweder die Lieferung zurückgefordert oder Estée Lauder handelt einen Rückkaufspreis für den Bestand aus, um das Verramschen der Produkte zu verhindern.

Wirtschaftliche Abschwungphasen meistert der Konzern in der Regel überraschend gut und legt anschließend stark zu. Als die Auswirkungen der globalen Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 überwunden waren, verdoppelten sich die Erlöse anschließend relativ zügig.

Bei Estée Lauder beträgt der Anteil an deutlich günstigeren Produkten zwischen zwei und vier Prozent des Sortiments, das ist deutlich weniger als bei vielen Konkurrenten. Das stärkt bei Investoren das Vertrauen in die Marke. So gesehen verwundert es denn auch kaum, dass die Börse recht gelassen reagierte, als der Konzern wegen Corona jüngst die vierteljährliche Dividende gestrichen hat.

Robust: Die Verluste aus der Verkaufswelle im März sind bald ausgeglichen. Kursschwächen zum Kauf nutzen.