"Die schwächeren Wirtschaftsdaten weisen auf eine beträchtliche Verlangsamung des wirtschaftlichen Aufschwungs hin", sagte EZB-Präsident Mario Draghi. Die Euro-Wächter wollen ihre rekordtiefen Leitzinsen jetzt noch bis mindestens zum Jahresende nicht erhöhen. Bislang hatten sie dies nur bis über den Sommer hinweg in Aussicht gestellt.

Die starken Molltöne Draghis zur Konjunktur verunsicherten die Märkte. Der Dax büßte zeitweise bis zu 0,9 Prozent ein. Der EuroStoxx50 verlor 0,7 Prozent. Besonders Finanztitel standen auf den Verkaufslisten, Deutsche Bank-Aktien verloren 5,5 Prozent. Der Euro verbilligte sich zeitweise um 0,3 Prozent auf ein Drei-Wochen-Tief von 1,1266 Dollar. Die Rendite der zehnjährigen Italien-Bonds sank unterdessen zeitweise auf 2,52 Prozent - der tiefste Stand seit Juli 2018.

Mit den jetzigen Beschlüssen wird Draghi wohl der bislang erste EZB-Präsident werden, der in seiner Amtszeit kein einziges Mal die Zinsen erhöht hat. Der Italiener scheidet Ende Oktober aus dem Amt. Ihren Leitzins beließ die EZB auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Dort liegt er bereits seit März 2016. Draghi zufolge fielen die Entscheidungen im EZB-Rat einstimmig. Damit dürften sie auch von der Bundesbank mitgetragen worden sein, die in der Vergangenheit manchen Schritten wie den Anleihenkäufen sehr kritisch gegenüber stand.

"MIT EINEM SCHLAG ALL IHR PULVER VERSCHOSSEN"

"Der Zeitpunkt - nicht der Inhalt - der Ankündigung kommt doch überraschend und hat etwas von Panik", kommentierte Carsten Brzeski, Chefökonom von ING-Deutschland. "Allerdings hat die EZB auch mit einem Schlag all ihr Pulver verschossen für den Fall, dass die Konjunktur der Euro-Zone in den kommenden Monaten in eine Rezession abrutscht." Ähnlich äußerte sich Alexander Krüger, Chefökonom des Bankhauses Lampe: "Dadurch verschiebt sich die Zinswende wohl auf den Sankt Nimmerleinstag." DIW-Chef Marcel Fratzscher erklärte: "Ich sehe einen Zinsanstieg frühestens Ende 2020."

Von deutschen Wirtschaftsvertretern kamen eher Kritik. "In den konjunkturell guten Jahren hat die Europäische Zentralbank es versäumt, die monetären Zügel zu straffen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben. Nun sei sie in "einer beginnenden konjunkturellen Flaute" gezwungen, mit Langfristkrediten für Banken gegenzusteuern.

Die neuen Geldspritzen für Banken - in der Fachwelt "TLTRO" genannt - sollen eine Laufzeit von zwei Jahren haben und vierteljährlich ab September 2019 bis März 2021 ausgegeben werden. Ihr Zinssatz ist an den Leitzins gekoppelt. Eine erste Serie solcher Langfristdarlehen hatte die Notenbank im Juni 2014 beschlossen, eine zweite im März 2016. Banken in Italien, Spanien und Frankreich griffen verstärkt zu: Auf italienische Geldhäuser entfielen zuletzt noch ausstehende Langfristkredite in Höhe von annähernd 240 Milliarden Euro. EZB-Chefvolkswirt Peter Praet hatte zuletzt befürchtet, Institute könnten ihre Kreditvergabe wegen der Wachstumsverlangsamung drosseln - was die Wirtschaft zusätzlich bremsen würde.

Die neuen Kredite könnten Banken auch über eine regulatorische Klippe hinweghelfen, die ab Mitte des Jahres droht. Denn dann fällt die Restlaufzeit bestimmter älterer TLTRO-Darlehen unter ein Jahr. Institute können die Gelder dann nicht mehr zur Berechnung bestimmter Finanzpolster (NSFR) heranziehen.

REZESSION NICHT IN SICHT



Die jüngsten Wirtschaftsdaten waren hinter den Erwartungen der EZB zurückgeblieben. Zudem trüben die Handelskonflikte der USA und der nahende Brexit die Wirtschaftsperspektiven ein. Die EZB senkte deshalb ihre Wachstumsprognose für die Euro-Zone kräftig. Ihre Volkswirte erwarten 2019 jetzt nur noch einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,1 Prozent. Noch im Dezember wurde mit plus 1,7 Prozent gerechnet. Hauptgrund sei die Abschwächung im Welthandel, sagte Draghi. Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession sei aber sehr gering. Die EZB-Volkswirte kappten zudem für das laufende Jahr ihre Inflationsprognose auf 1,2 von bisher 1,6 Prozent. Die Euro-Wächter streben mittelfristig knapp zwei Prozent als Idealwert für die Wirtschaft an.

Die EZB will zudem auch nach einer Zinswende noch für längere Zeit fällig werdende Anleihen aus ihrem Bestand ersetzen. Die Euro-Wächter bleiben damit ein großer Akteur am Anleihenmarkt. Ihre auf mehr als 2,6 Billionen Euro angeschwollenen Wertpapierkäufe hatten sie im Dezember eingestellt. Die Transaktionen waren in den vergangenen Jahren ihr zentrales Instrument gegen eine aus ihrer Sicht zu geringe Inflation gewesen.

rtr