"Die EZB-Sitzung in der kommenden Woche dürfte wichtiger werden als vor kurzem noch allgemein erwartet", meint etwa Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Es werden schwierige Diskussionen erwartet. Denn bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Aussichten bei der Erholung von der Corona-Krise und der Frage, wie umfangreich weitere Konjunkturhilfen über Anleihekäufe ausfallen sollten, gehen die Ansichten im EZB-Rat auseinander.

Die EZB strebt gemäß ihrer neuen Strategie mittelfristig eine Inflationsrate von zwei Prozent an. Bislang wurden knapp unter zwei Prozent anvisiert. Wenn die Zinsen in der Wirtschaft schon extrem niedrig liegen, wie es aktuell der Fall ist, und die Notenbank besonders kräftig oder beharrlich reagieren muss, will sie auch vorübergehend ein leichtes Übertreffen des Inflationsziels hinnehmen. Wie dies in konkrete Aussagen zu den Anleihekäufen des Corona-Notfall-Programms PEPP, zur Zukunft des älteren APP-Programms und zur Entwicklung der Leitzinsen gegossen werden kann, wird die Diskussionen auf der Sitzung bestimmen. In der Fachwelt wird hier zumeist von "Forward Guidance" gesprochen. "Aus unserer Sicht gibt es wenig zu verändern bei der Forward Guidance zu den Zinsen", meint etwa Carsten Brzeski, Chefvolkswirt bei der Bank ING. Der EZB-Rat könne allerdings das ältere Kaufprogramm APP enger an das Inflationsziel binden. Dies würde aus seiner Sicht dann die Tür öffnen für geringere Käufe im Rahmen des Notfall-Programms PEPP und eine gleichzeitige Erhöhung der APP-Käufe. Dazu müsse die Zentralbank auch klären, wann aus ihrer Sicht die Corona-Krise vorbei ist. "Alle dies macht die EZB-Sitzung nächste Woche zu einer spannenden Sitzung, und wir erwarten eine sehr hitzige Debatte hinter den Kulissen," so der Experte.

Im bisherigen EZB-Ausblick heißt es zu dem auf 1,85 Billionen Euro angelegten Notfall-Programm PEPP, die Anleihenkäufe würden bis mindestens Ende März 2022 fortgesetzt und in jedem Fall so lange, bis die Coronavirus-Krise überstanden ist. Zu den APP-Käufen sagt die Notenbank bislang, diese würden beendet, kurz bevor die Notenbank mit der Erhöhung ihrer Leitzinsen beginnt. Aktuell fallen die APP-Käufe mit rund 20 Milliarden Euro im Monat deutlich geringer aus als die Käufe im Rahmen des Pandemie-Programms PEPP, die zuletzt bei monatlich 80 Milliarden Euro lagen.

UNTERSCHIEDLICHE AUFFASSUNGEN


Wie unterschiedlich die Ansichten im EZB-Rat zu den wirtschaftlichen Aussichten sind, verdeutlichten jüngste Äußerungen. So hat sich EZB-Direktorin Isabel Schnabel kürzlich in einer Diskussionsrunde optimistisch gezeigt, dass die Notenbank vielleicht früher als manche derzeit erwarten ihr Inflationsziel erreichen könnte. Und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hatte dargelegt, er halte nichts von der Idee, die Teuerung eine Zeit lang über der Zielmarke zu belassen, um vergangene Zeiten auszugleichen, in denen die Notenbank das Ziel verfehlt hat. Andere Währungshüter wie Portugals Notenbank-Chef Mario Centeno oder der Gouverneur der Banca d'Italia, Ingnazio Visco, deren Länder unter hohen Schuldenbergen ächzen, wollen dagegen die aktuelle ultralockere Linie möglichst lange beibehalten.

Schon auf der Juni-Sitzung wurden die unterschiedlichen Positionen deutlich. Dort wurde bereit für eine mögliche Senkung des Tempos der PEPP-Käufe argumentiert. Zur Begründung wurde auf verbesserte Wachstums- und Inflationsperspektiven verwiesen. Andere Währunhshüter sind vor dem Hintergrund der Gefahr neuer Virus-Varianten eher vorsichtig. Nach Einschätzung vieler Analysten muss die EZB spätestens im Herbst einen Hinweis geben, ob die PEPP-Käufe planmäßig nur noch bis Ende März weiterlaufen sollen und was danach passiert.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat schon einmal klar gemacht, dass vorerst dazu keine Eile geboten ist. Eine verfrühte Straffung der Geldpolitik müsse vermieden werden. EZB-Experte Frederik Ducrozet vom Schweizer Bankhaus Pictet geht davon aus, dass die EZB die kniffligsten Entscheidungen erst im September wenn nicht sogar erst im Dezember fällen wird.

rtr