Ökonomen-Barometer: Deutschlands Top-Volkswirte erneut zuversichtlicher. Doch warnende Stimmen melden sich, etwa vom Versicherungsriesen Allianz.

Die Zeichen mehren sich, dass die deutsche Wirtschaft einigermaßen gut durch den Winter kommt. Zwar gehen Volkswirte davon aus, dass es im Winterhalbjahr (Oktober bis März) zu einer milden Rezession kommen könnte. In der aktuellen Ökonomen-Barometer-Umfrage von €uro am Sonntag für Februar halten 54 Prozent der Teilnehmer ein solches Szenario für wahrscheinlich. Für das Gesamtjahr 2023 rechnen 88 Prozent aber wieder mit Wachstum. Zwei Drittel erwarten dabei null bis 0,5 Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Ein knappes Fünftel geht von über 0,5 Prozent aus. Mit einer Rezession rechnen nur sieben Prozent.

Dabei hat sich das Barometer in der Februar-Umfrage weiter verbessert. Der Barometerwert, also die aktuelle Einschätzung der Wirtschaftslage in Deutschland, legte um fünf Prozent auf 40,2 Punkte zu. Die Prognose für die kommenden zwölf Monate kletterte um 21 Prozent auf 41,3 Punkte.Probleme wie gestörte Lieferketten lösen sich allmählich auf, auch die Gasmangellage -erscheint vorerst abgewendet, was zu der verbesserten Stimmung beiträgt. „Dennoch ist ein leichtes Minus im ersten Quartal 2023 wahrscheinlich“, erläutert ZEW-Experte Friedrich Heinemann. „Denn trotz der Beruhigung der Lage bremsen die Kaufkraftverluste der Konsumenten, und das Umfeld für die deutsche Industrie bleibt schwierig.“

So ist das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2022 überraschend um 0,2 Prozent gesunken, nachdem es im Sommerquartal noch um 0,5 Prozent zugelegt hatte. Kommt es im ersten Quartal 2023 zu einem zweiten Minus in Folge, sprechen Volkswirte von einer technischen Rezession. Für 2023 rechnet das Bundeswirtschaftsministerium mit 0,2 (Vorjahr: 1,1) Prozent Wachstum.

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Positive DAX-Berichtssaison

Dabei kommt die deutsche Wirtschaft immer noch erstaunlich gut mit den Rahmenbedingungen zurecht. Das schlägt sich auch in der laufenden DAX--Berichtssaison nieder, die laut Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer bislang „besser als erwartet“ verläuft und die Börsen stützt. „Bei den DAX- und MDAX-Unternehmen liegt bis jetzt der Anteil der positiven Überraschungen klar über dem langfristigen Durchschnitt.“ Das zeigte sich etwa beim Tech-Riesen Siemens, der nach einem „fulminanten“ Start ins erste Geschäftsquartal (Oktober bis Dezember 2022) seine Jahresumsatz- und Gewinnprognosen angehoben hat und von der starken Nachfrage nach Digitalisierung und Automatisierung profitiert.

Gefährliche Zinseffekte

Gleichwohl gibt es warnende Stimmen, etwa vom Chefvolkswirt des Versicherungsriesen Allianz, Ludovic Subran. Obwohl sich gegen Ende 2022 Handel und Produktion widerstandsfähiger als erwartet erwiesen hätten, sei Deutschland noch weit von wirtschaftlicher Erholung entfernt. „Wir stehen am Scheideweg. Unsere Wachstumsprognose für die Wirtschaft ist verhalten“, erläutert Subran in der Ökonomen-Barometer-Umfrage. „Wir rechnen 2023 wegen hoher Energiepreise, steigender Zinsen und anhaltender geopolitischer Unsicherheiten mit einer milden Rezession.“ Er erwarte auch -steigende Zahlungsausfälle und 15 Prozent mehr Pleiten.

Subrans Skepsis teilen auch andere renommierte Ökonomen, etwa Ifo-Präsident Clemens Fuest, der die deutsche Wirtschaft an der Grenze zur Rezession sieht, wie er beim Leibniz-Wirtschaftsgipfel sagte. Sorgen bereiten Fuest die Zinserhöhungen der Notenbanken mit der Gefahr einer „Übersteuerung“. Das Szenario einer Rezession im Jahr 2024 sei deshalb nicht gebannt.

Apollo-Chefvolkswirt: US-Leitzins könnte auf über sechs Prozent steigen

Subrans Skepsis teilen auch andere renommierte Ökonomen, etwa Ifo-Präsident Clemens Fuest, der die deutsche Wirtschaft an der Grenze zur Rezession sieht, wie er beim Leibniz-Wirtschaftsgipfel sagte. Sorgen bereiten Fuest die Zinserhöhungen der Notenbanken mit der Gefahr einer „Übersteuerung“. Das Szenario einer Rezession im Jahr 2024 sei deshalb nicht gebannt.Einige US-Ökonomen gehen inzwischen sogar davon aus, dass die Fed die Anleger auf eine neue Phase der Inflationsbekämpfung vorbereiten könnte. Demnach könnten die Leitzinsen noch höher und schneller steigen als bislang angenommen - von "mindestens sechs Prozent" ist dabei die Rede. Grund seien die zuletzt starken Arbeitsmarktdaten und die noch immer hohen Inflationsraten. Dies könnte die Fed zu noch energischeren Zinsschritten veranlassen. Bislang waren die Fed-Vertreter von einem Niveau von rund fünf Prozent bis Jahresende ausgegangen. Nun könnten es über sechs Prozent werden, sagte Torsten Slok, Chefökonom des Finanzinvestors Apollo, gegenüber dem "Handelsblatt". Derzeit liegt der Zins in einer Spanne von 4,5 bis 4,75 Prozent. Der beschleunigte Zinskurs könnte dann eine neue Phase der Unsicherheit an den Märkten einläuten, so die Befürchtung.