Die Spannung war groß vor der Bilanzvorlage von Fresenius. Chef Stephan Sturm hatte angekündigt, zu diesem Termin die neue Strategie der Bad Homburger vorzustellen. Im Vorfeld schossen die Spekulationen ins Kraut: Spaltet Sturm den Konzern auf? Hebt er Werte, kommen Teile an die Börse?

"Mir gefällt die Struktur des Gesundheitskonzerns so, wie sie ist", sagte der Chef dann - und enttäuschte den Kapitalmarkt damit erneut. Der Kurs des DAX-Werts ist unter Sturm von in der Spitze über 80 Euro auf unter 34 Euro abgestürzt. Auch an diesem Tag fiel das Papier bei Börsianern durch - zwischenzeitlich notierte die Aktie über neun Prozent im Minus.

Das lag auch am getrübten Ausblick des Gesundheitskonzerns. Die Bad Homburger, die Aktionäre einst mit regelmäßigen Kurssteigerungen verwöhnten, werden demnach 2022 wegen der anhaltenden Folgen der Pandemie nur im mittleren einstelligen Prozentbereich wachsen. Das Konzernergebnis soll sogar bloß im niedrigen einstelligen Prozentbereich zulegen. Zum Vergleich: 2021 wuchs der Umsatz um fünf Prozent auf 7,6 Milliarden, der Konzerngewinn stieg noch um vier Prozent auf 1,9 Milliarden Euro. Auch bei den Mittelfristzielen blieb die Prognose am unteren Rand der Spannen, die von 2020 bis 2023 im Schnitt ein jährliches Umsatzplus von vier bis sieben, beim Konzerngewinn von fünf bis neun Prozent vorsehen.

Sturm hält sich zugleich eine ganze Reihe von Optionen offen. Grundsätzlich kann sich der Chef bei seinen Töchtern weitere Beteiligungen durch Dritte vorstellen, beim Krankenhausdienstleister Vamed etwa. An der mit rund sechs Prozent Konzernumsatz kleinsten Sparte halten Externe wie die Republik Österreich heute 23 Prozent der Anteile. Man suche hier, wie auch bei der Dialysesparte Fresenius Medical Care (FMC) oder dem Krankenhausbetreiber Helios, "neue Kapitalquellen" - auch, um wieder größere Zukäufe stemmen zu können.

Besonders fraglich scheint die Zukunft der größten Tochter, FMC. Der weltgrößte Dialysekonzern, selbst im DAX gelistet, steuerte 2021 fast die Hälfte des Konzernumsatzes von 36,7 Milliarden Euro bei. Die Mutter hält knapp ein Drittel der Anteile, übt aber über die rechtliche Struktur der KGaA volle Kontrolle aus und konsolidiert auch voll.

Hier wurde mit besonderer Spannung erwartet, ob Fresenius bereit ist, neue Wege zu gehen - und FMC abzuspalten. Die Antwort: Zunächst will Sturm aufräumen. Der Weltmarktführer leidet stark unter der Pandemie, sehr viele Dialysepatienten sind an Covid verstorben. 2021 brach der Gewinn um rund ein Viertel ein.

FMC im Schaufenster

FMC-Chef Rice Powell muss deshalb ein Sparprogramm durchziehen. Rund 5.000 Stellen fallen weg, in Deutschland könnten es 500 bis 700 werden. Ziel ist es, den FMC-Gewinn 2022 im niedrigen bis mittleren einstelligen Prozentbereich zu steigern, die gleiche Vorgabe gilt für den Umsatz. Ab 2025 sollen dank der Kostenprogramme und einer einfacheren operativen Aufstellung bis zu 500 Millionen Euro pro Jahr gespart werden.

Tatsache bleibt, dass die Margen von FMC stark gelitten haben. Noch 2018 lag die Profitabilität über 14 Prozent, zuletzt waren es keine zehn. Verständlich, dass Sturm auch langfristige Optionen für FMC in Erwägung zieht. Eine Garantie für alle vier Geschäftsbereiche gebe es nicht. "Wir glauben langfristig an die Dialyse. Wir müssen aber zunächst eine Gewinnsteigerung sehen", so der Konzernchef. Mittelfristig kann sich Sturm offenbar auch vorstellen, ganz aus FMC auszusteigen - wenn der Aktienkurs zuvor entsprechend zulegt. Die Tochter steht jedenfalls im Schaufenster. "Sollte uns ein attraktives Angebot gemacht werden, so würden wir dieses intensiv prüfen", so der Fresenius-Chef.

Ganz so offen ist Sturm bei der Krankenhaustochter Helios nicht. Der größte private Klinikbetreiber in Europa mit Schwerpunkt in Deutschland und Spanien kämpft zwar ebenfalls mit der Pandemie. Zahlreiche Operationen, die zeitlich verschiebbar sind, etwa Knie- oder Hüft-OPs, aber auch krebsbedingte Eingriffe, wurden auch im abgelaufenen Geschäftsjahr verschoben. Und die Ausgaben stiegen wegen des erhöhten Hygienebedarfs. Gleichwohl lieferte Helios 2021 rund zehn Prozent operative Marge. Umsatz und Ergebnis wuchsen jeweils um ebenfalls zehn Prozent. Noch hält Fresenius hier 100 Prozent der Anteile. Sturm kann sich Beteiligungsabgaben gegen Sacheinlage, also gegen Einbringung attraktiver Unternehmensteile oder auch in Cash, vorstellen. Selbst ein Börsengang von Helios sei nicht ausgeschlossen.

Kern von Fresenius bleibt somit langfristig das Geschäft, mit dem der Konzern einst groß wurde: die Infusions- und Medikamentensparte Kabi, die weltweit Klinikpatienten, auch von Helios, mit Nachahmermedikamenten und Ernährungslösungen versorgt. Während sich alle anderen Bereiche laut Sturm selbst um ihre Kapitalausstattung kümmern müssen, sei bei der mit gut 15 Prozent operativer Rendite margenstärksten Tochter Subventionierung erlaubt. Sprich: Es darf Geld aus anderen Sparten zu Kabi fließen.

Biosimilar-Fantasie

Sturm und seine Finanzchefin Rachel Empey sehen hier langfristig das größte Rendite- und Wachstumspotenzial. Speziell das Geschäft mit sogenannten Biosimilars, das sind Generika aus dem Biopharma-Bereich, gilt als sehr wachstumsträchtig. Sturm will es auch durch Zukäufe ausbauen. Der Jahresausblick 2022 von Kabi bleibt zwar durch die Pandemie getrübt, doch das lag auch an der hohen Basis bei Umsatz und Ergebnis - und am Gewinnsprung um 18 Prozent im vierten Quartal, der auf die Behandlung von Covid-Patienten zurückzuführen war.

Langfristig, so der Vorstand, seien die Perspektiven hier glänzend. Für die Fresenius-Aktie gilt das eher nicht - zumindest solange sich Sturm nicht für konkrete Maßnahmen seiner vielen aufgezeigten Optionen entscheidet.

Enttäuschung: Die Aktie fiel nach der Bilanzvorlage bis auf eine wichtige technische Unterstützung. Unbedingt Stopp beachten.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 38,00 Euro
Stoppkurs: 29,90 Euro