Morgendämmerung an der Themse: Hinter der Tower Bridge glänzt die Spitze des Büroturms The Shard silbern, am anderen Ufer des Flusses schimmert futuristisch das vom Star­architekten Norman Foster entworfene Gherkin-Hochhaus. Großbritanniens Hauptstadt strahlt an solchen Tagen Aufbruchstimmung aus.

Der Schein dürfte trotz des anstehenden Brexits nicht trügen. Die City of London, bis dato wichtigster Finanzplatz Europas, bleibt auch nach dem Austritt der Briten aus der EU eine bedeutende Adresse. Am Donnerstag billigte das britische Unterhaus den mit Brüssel ausgehandelten Vertrag für den EU-Ausstieg. Jetzt fehlt noch die Zustimmung des Oberhauses. Es wird jedoch erwartet, dass das Gesetz rechtzeitig zum geplanten Austrittstermin am 31. Januar in Kraft treten kann. Ein geregelter Brexit ist jetzt wahrscheinlicher. Das bringt mehr Sicherheit für Investments.

Schon seit August sind die Aktienmärkte auf der Insel in Fahrt, nach der Wahl gab es einen regelrechten Schub. "Im Vergleich mit anderen großen Börsen sind die Aktien in London weltweit am günstigsten bewertet", sagt Ross MacDonald, Aktienstratege der US-Investmentbank Morgan Stanley. Ein erheblicher Teil dieser Bewertungslücke ist dem politischen Gezerre im Parlament um den Ausstieg des Landes aus der Europäischen Union geschuldet.

Der Abschlag des auf Großbritannien fokussierten Index MSCI United Kingdom im Vergleich zum Leitindex MSCI World liegt nach Berechnungen von MacDonalds Team bei 36 Prozent. "Es ist die größte Bewertungslücke in 30 Jah­ren", sagt der Aktienstratege.

Kurstreiber Johnson


Treiber für die Aktienkurse sind das starke Mandat für Premier Boris Johnson nach den Wahlen und Prognosen von Ökonomen, die der Wirtschaft des Vereinigten Königreichs im Verlauf der kommenden zwölf Monate bis zu 2,5 Prozent Wachstum prognostizieren. Investments in Aktien britischer Unternehmen werden deshalb weiter zu­legen, sagt Experte MacDonald. Im FTSE 100, dem Index der größten britischen Unternehmen, locken zudem mehr als 40 Aktien mit Dividenden­renditen von über vier Prozent.

Anlagestrategen erwarten deshalb, dass sich auch risikoscheue Investoren wie Pensionsfonds und Versicherungen, die auf hohe Ausschüttungen Wert legen und eher Anleihen bevorzugen, stärker in britischen Aktien anlegen.

700 Milliarden Euro Handelswert


Indes bleibt die Unsicherheit im Hinblick auf Ergebnis und Zeitpunkt des Abschlusses der bevorstehenden Handelsgespräche mit der EU. Auf dem Spiel steht ein riesiges Handelsvolumen, das Experten auf mehr als 700 Milliarden Euro schätzen. Rund 45 Prozent der Exporte sind für die EU bestimmt. Der Binnenmarkt auf dem europäischen Festland bleibt für die Briten auch nach dem Brexit die wichtigste Destination im Ausland. In London haben sich Anleger währenddessen darauf eingestellt, dass diese Verhandlungen schwer zu pro­gnostizieren sind.

Auf den Kauflisten der Investoren stehen deshalb Aktien von Unternehmen, die sich auf den Heimatmarkt konzen­trieren und deren Geschäft von dieser Unsicherheit somit wenig betroffen ist. In den Börsenindizes für kleine und mittelgroße Firmen, FTSE Small Cap und FTSE 250, ist der Anteil von Firmen, die ihre Erlöse überwiegend im Inland einfahren, mit jeweils 73 und 50 Prozent besonders hoch. Die beiden Börsen­barometer sollten deshalb auch weiterhin überdurchschnittlich zulegen. Privatanleger können diesen Trend günstig über ETFs nutzen (siehe unten).

Unter den Börsenschwergewichten stehen Immobilienkonzerne ganz vorn. Taylor Wimpey zum Beispiel: Auch für das Geschäft des Entwicklers von Eigenheimen ist Klarheit in Bezug auf den Brexit wichtig. Die Regierung kann ihre Strategie im Parlament jetzt leichter umsetzen. Zieht nun auch das Wirtschaftswachstum wie erwartet an, werden mehr Häuser gekauft und Taylor Wimpey legt bei seinen Projekten einen Zahn zu. Für 2019 wird der Umsatz des Konzerns aus dem FTSE-100-Index auf knapp fünf Milliarden Euro geschätzt. Das Unternehmen mit Sitz in High ­Wycombe, westlich von London, bietet Häuser an, die sich viele Briten leisten können. Der Eigenheimbedarf soll groß bleiben, und die Branche kann mit poli­tischer Unterstützung rechnen.

Davon profitiert auch Mitbewerber Barratt Developments, der im zahlungskräftigeren Norden des Landes stärker präsent ist. Beide Titel bieten Aktionären hohe Dividendenrenditen.

Die Londoner Ashtead Group, Großbritanniens größter Vermieter von Maschinen und Ausrüstung auf Baustellen im Inland und in den USA, profitiert von den Investitionen in Infrastruktur wie Straßen, Schienen, Tunnel und Brücken. Auch hier wird weitgehend unabhängig vom Ausgang der Gespräche mit der EU investiert.

Für den Kapitalmarktstrategen der Baader Bank, Robert Halver, sind britische Aktien jedenfalls "ein Geheimtipp". Premier Johnson, so der Experte, werde die breite Mehrheit der Tories im Parlament nutzen, um die Finanzindustrie zu deregulieren und Unternehmenssteuern massiv zu senken. Zieht Johnson das durch, steigen die Aktienkurse weiter.

Investor-Info

Taylor Wimpey
Starke Dividende


Der Eigenheimentwickler aus dem britischen Bluechip-Index FTSE 100 legt Wert darauf, mit seinem Portfolio eine möglichst breite Käuferschicht anzusprechen. Das dürfte sich im aktuellen Umfeld, das weiterhin von Unsicherheiten geprägt ist, bezahlt machen. Das entsprechende Programm "Help to Buy" läuft noch bis zum ersten Quartal 2023. Die solide Bilanz der Firma mit umgerechnet knapp fünf Milliarden Euro Umsatz ermöglicht häufig Sonderausschüttungen an die Aktionäre.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 2,80 Euro
Stoppkurs: 1,60 Euro

Ashtead Group
Maßstab in der Branche


Mit Zukäufen und neuen Niederlassungen schaffte der in Großbritannien und vor allem in den USA aktive Londoner Vermieter von Baumaschinen von 2014 bis 2019 jährliche Wachstumsraten von 20 Prozent. Das entspricht dem Vierfachen des Branchendurchschnitts. Auch wenn die Ashtead Group mit sechs Milliarden Euro geschätztem Umsatz für das Geschäftsjahr bis Ende April künftig langsamer zulegt, setzt sie weiter Maßstäbe.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 37,00 Euro
Stoppkurs: 23,00 Euro

ETFs
Bewertungslücken nutzen


Der Handel mit Aktien vieler mittelgroßer britischer Firmen ist hierzulande wegen der geringen Volumina und der oft großen Differenz zwischen Geld- und Briefkurs viel zu teuer. Die günstige Alternative sind börsengehandelte Fonds (ETFs): Auf den breiten MSCI United Kingdom Index setzt ein iShares-ETF (ISIN: IE 00B 539 F03 0). Auch den Bluechip-­Index FTSE 100 der größten britischen Konzerne bildet ein an der Börse gehandelter Fonds (ETF) der Blackrock-Tochter (ISIN: IE 000 504 245 6) ab. Von ETFs abgedeckt werden zudem die Indizes mit hohen Anteilen mittelgroßer britischer Firmen, die stark im inländischen Markt aktiv sind: Für den UK Small Cap Index ist es ein iShares-ETF (ISIN: IE 00B 3VW LG8 2), Anteile an den Firmen des FTSE 250 werden mit dem Vanguard-­ETF (ISIN: IE 00B KX5 5Q2 8) erworben.