Dicke Luft: CO2- und Feinstaubbelastung sorgen weltweit in Innenstädten für Fahrverbote. Autokonzerne sind schon lange keine Sympathieträger mehr. Radfahren hingegen ist positiv besetzt, auch mit elektrischer Unterstützung


Nachhaltige Investments sind für Gutmenschen, für grüne Träumer, die von Geldanlage nichts verstehen. Wenn dem je so war, ist es länger her. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass sogenannte ESG-Investments besser durch schwierige Zeiten kommen. Das Akronym steht für "Environment, Social, Governance", die Wertpapiere werden also nach ökologischen und sozialen Kriterien sowie nach Aspekten guter Unternehmensführung ausgewählt.

Laut einer Auswertung der Fondsratingagentur Scope erzielten nachhaltige Aktienfonds mit Fokus auf Europa und Nordamerika durchschnittlich eine bessere Performance als ihre Vergleichsindizes. Am besten schnitten global ausgerichtete ESG-Fonds ab. Das zeigt ein Vergleich des wichtigsten Nachhaltigkeitsindex MSCI World Sustainability mit dem klassischen MSCI World. Letzterer verlor im Jahresvergleich rund sechs Prozentpunkte mehr.

Klimawandel, soziale Verantwortung, aber auch die Weitsichtigkeit des Managements spielen für Konzerne eine immer größere Rolle. Private und institutionelle Anleger erkennen das mittlerweile und investieren ganz konkret in Unternehmen, die hier die Standards setzen. Immer mehr Geld fließt in nachhaltige Produkte - in ETFs, Fonds oder einzelne Aktien.

Einige Fonds kämpfen sogar aktiv dafür, dass Unternehmen nicht nur Nachhaltigkeitsberichte mit gefällig grünem Einband drucken, sondern die darin gerühmten Richtlinien auch umsetzen. Nina Lagron etwa, die für die französische Fondsgesellschaft La Française den Inflection Point Carbon Impact Global managt, stellt auf Hauptversammlungen und bei Managementinterviews schon mal unangenehme Nachfragen, wenn sie das Gefühl hat, ein Unternehmen nehme es mit den ESG-Kriterien nicht so genau und verbaue sich damit die eigene Zukunft.

Der Fonds setzt nicht schwerpunktmäßig auf regenerative Energien oder Elektromobilität. Im Fokus stehen vielmehr Unternehmen, die heute die Umwelt noch mit hohen Emissionen belasten, aber glaubhafte Ausstiegsszenarien verfolgen. In der aktuellen Krise sieht Lagron eine "Riesenchance, dass Dinge im Schnelldurchlauf in den Realbetrieb einziehen, vor denen wir sonst zurückgeschreckt wären": Videokonferenzen statt Interkontinentalflüge, Homeoffice statt Berufsverkehr, Telemedizin statt Wartezimmer.

Auch Anleger müssen deshalb umdenken. Jetzt schon zeichnet sich ab, dass Ölkonzerne, Fluggesellschaften und Autohersteller, die sklavisch am Verbrennungsmotor festhalten, die Verlierer der Krise sein werden - zumindest auf absehbare Zeit. "Die Lufthansa selbst geht davon aus, dass das Vorkrisenniveau vor 2023 kaum zu erreichen ist", warnt Carsten Mumm, Chefvolkswirt der Privatbank Donner & Reuschel. "Und die Autoindustrie hatte schon vor Ausbruch der Pandemie ernsthafte Probleme."

Die gute Nachricht für Aktionäre: An lukrativen Investmentideen wird weiterhin kein Mangel herrschen. Im Vergleich zu Anleihen könnten Aktien sogar noch attraktiver werden. Da die Verschuldung des öffentlichen Sektors weltweit durch Rettungs- und Konjunkturprogramme weiter steigen wird, dürfte die Niedrigzinsphase noch etliche Jahre anhalten, prognostiziert Mumm. "Staatsanleihen und Pfandbriefe werden deshalb weiter an Bedeutung verlieren." Das Gros der Industrieunternehmen hingegen könne sich nach dem Ende des Shutdowns durch Nachholeffekte möglicherweise sehr viel schneller erholen als erwartet - immer vorausgesetzt, es kommt nicht zu einer zweiten und dritten Covid-19-Welle.



Für den Aktienmarkt wären das positive Aussichten, zumindest für Anleger, die sich rechtzeitig auf den neuen Trend einstellen. Zwar trat angesichts von Ausgangssperren und Betriebsschließungen das Thema Nachhaltigkeit in der Gesellschaft etwas in den Hintergrund. Am Kapitalmarkt, vor allem bei großen institutionellen Investoren ist davon allerdings wenig zu spüren: Laut einer Untersuchung von Morningstar flossen ESG-Fonds in diesem Jahr mehr als 30 Milliarden Euro an Geldern zu. Herkömmliche Fonds hingegen verzeichneten Abflüsse von knapp 180 Milliarden Euro.

"Durch die Corona-Krise wird deutlich, dass Nachhaltigkeit ein Dauerbrenner ist und das Thema immer mehr zum Standard wird", sagt Bernd Deeken, Fondsmanager des Berenberg Sustainable World Equities. Aus seiner Sicht ist längst klar, dass nachhaltiges Investieren keinen Verzicht auf Performance bedeutet. Er stellt zudem fest, dass die beiden Buchstaben S und G im Zuge der Corona-Krise aus dem grünen Schatten des E heraustreten. Es geht nicht mehr lediglich darum, wer die meisten Solarpaneele auf dem Dach hat oder die größten Windräder baut. "Geschäftsmodelle werden stärker analysiert, es wird überprüft, welche Risiken durch Nachhaltigkeit vermieden werden", erklärt Deeken. Gerade jetzt könnten Unternehmen zeigen, dass sie gut gemanagt sind und auch mit ihren Mitarbeitern vernünftig umgehen. So rückt etwa das Thema Gesundheit in den Vordergrund. Wie schützt ein Unternehmen seine Mitarbeiter vor möglichen Risiken? Ist es in der Lage, genügend Homeofficeplätze mit entsprechender technischer Ausstattung anzubieten? Und wie verhält es sich, wenn die Krise brachial aufschlägt?

"Es kann nicht im Sinn eines Unternehmens sein, wenn ein Drittel der Belegschaft krank im Bett liegt", sagt Fondsmanagerin Lagron. Auch wer sich in der Krise seinen Zulieferern und Kunden gegenüber nicht loyal verhalten hat, könne in der Phase des Wiederhochfahrens Probleme bekommen, so Chefökonom Mumm.

Wie schnell mittlerweile ein Shitstorm aufziehen kann, erlebte zuletzt Adidas: Entrüstung machte sich breit, als der Konzern ankündigte, die Mieten für die Shops nicht bezahlen zu wollen. Das positive Image der Herzogenauracher verkehrte sich rapide ins Gegenteil, zumindest gefühlt. In großen Anzeigen entschuldigte sich Adidas, stoppte die Programme und kündigte Mietzahlungen für April an. "Gerade in der aktuellen Krise ist es wichtig, dass die Manager eine hohe Transparenz liefern, gut vorbereitet sind und schnelle Entscheidungen treffen", sagt Deeken.

Mit Mobilität, Digitalisierung und Gesundheit hat BÖRSE ONLINE drei Zukunftstrends ausgemacht, die unter ESG-Aspekten vielversprechend sind.


Trend 1: Green Mobility

Volkswagen meint es wohl ernst: Die Wolfsburger wollen an ihrem Image schrauben. Bis zum Jahr 2025 soll es über alle Konzernmarken hinweg 50 reine Elektromodelle geben. Das Ziel: Mehr als eine Million Elektrofahrzeuge sollen dann weltweit pro Jahr verkauft werden.

Das Jahr 2020 steht im Zeichen des ID.3, der den E-Golf ersetzen soll. Im kommenden Jahr soll der Bulli mit E-Antrieb neu aufgelegt werden. Das Risiko liegt darin, dass im Moment eher weniger Kunden darüber nachdenken, sich ein neues Auto zuzulegen. Die Bänder standen zuletzt still, die Absatzzahlen sind im April eingebrochen. Von den Tiefständen hat sich der Aktienkurs dennoch schon ein gutes Stück entfernt. Von den Aktien der deutschen Automobilhersteller ist Volkswagen aktuell mit Sicherheit die interessanteste.

Noch umweltfreundlicher ist es freilich, selbst in die Pedale zu treten. Kontaktloser Sport wie Radfahren war so ziemlich die einzige Betätigung, die in Deutschland während des Corona-Shutdowns möglich war. Zwar gibt es Lockerungen. Wie lange diese anhalten und wann sämtliche Sportarten wieder möglich sind, ist längst nicht entschieden. Dem Trend zum Treten tut das keinen Abbruch.

Der größte europäische Hersteller von Fahrrädern ist Accell. Die Krise hat allerdings auch die Niederländer schwer getroffen. Lieferketten waren unterbrochen, Fahrradläden geschlossen. Der Kurs brach regelrecht ein, die Dividende wurde zusammengestrichen, um das Geld im Unternehmen zu halten. Zuletzt hat sich die Aktie wieder erholt. Der Trend zum Elektrorad wird bestehen bleiben und durch die Krise noch beschleunigt - E-Bikes stehen für knapp 80 Prozent des Umsatzes.

Auch Linde hat ein Fahrrad entwickelt - angetrieben mit Wasserstoff. Die Reichweite liegt bei mehr als 100 Kilometern, befüllt wird es mit maximal 34 Gramm Wasserstoffgas. Mit dem Produkt will Linde zeigen, dass Wasserstoff auch bei Elektrofahrrädern eine Alternative sein kann. Bislang gibt es lediglich einen Prototyp - und künftig maximal ein Nischengeschäft. Aber: Falls sich Wasserstoffantrieb im Automobilsektor durchsetzt, wird Linde einer der großen Gewinner sein. Seit dem Zusammenschluss mit Praxair ist der Konzern weltweit führend bei Industriegasen.


Trend 2: Digitalisierung

In Zeiten von Corona hat Homeoffice Hochkonjunktur. An den Cloud-Lösungen von Microsoft kommt deshalb aktuell fast niemand vorbei. Sie ermöglichen Chats, Besprechungen und Telefonate. Auch Schulen nutzen Produkte von Microsoft. Die Aktie macht sich auf, neue Rekordstände zu erreichen. Aktuell frischt der Konzern seine Hardware auf: Neue Laptops und ein Tablet kommen auf den Markt. Zudem sollen die Surface Earbuds den Kopfhörern von Apple Konkurrenz machen. Microsoft liegt in vielen ESG-Rankings vorn und zählt zu den Unternehmen, die gestärkt aus der Krise hervorgehen werden.

Im Nachhaltigkeitsfonds von Berenberg-Mann Deeken spielt Equinix eine der Hauptrollen. Der Konzern ist der größte Anbieter von Rechenzentren, weltweit betreibt das US-Unternehmen rund 200. Vermietet werden die Flächen an Salesforce, Amazon oder eben an Microsoft. Equinix profitiert so von Trends wie Cloud-Computing, sozialen Medien oder künstlicher Intelligenz. Im Gegensatz zu Einkaufszentren, die von der Corona-Pandemie direkt betroffen sind und Immobilienbesitzern Kopfzerbrechen bereiten, kommen Datencenter gut durch die Krise. Im Berenberg-Fonds ist das Unternehmen unter anderem, weil es den größten Teil des gigantischen Strombedarfs aus erneuerbarer Energie erzeugt. Bei Equinix handelt es sich um einen REIT, eine Art börsennotierten Immobilienfonds, der die Gewinne größtenteils ausschüttet.

Auch die Deutsche Telekom surft auf der Digitalisierungswelle, die durch Ausgangssperren und Kontaktverbote deutlich an Kraft gewonnen hat. "Die Tochter T-Mobile US spielt in den Vereinigten Staaten eine wichtige Rolle zur flächendeckenden Versorgung mit High-Speed-Internet", erklärt La-Française-Fondsmanagerin Lagron. "So werden Bildung per Fernunterricht und Telemedizin in abgelegeneren Regionen überhaupt erst möglich."


Trend 3: Gesundheit

In Sachen Telemedizin ist Teladoc unangefochtener Branchenprimus. Zwar hat sich der Kurs binnen Jahresfrist verdreifacht, doch ausgereizt erscheint das Potenzial noch lange nicht. Die Technologie des Unternehmens ermöglicht die Kommunikation zwischen Arzt und Patient per Videochat. Das spart nicht nur sinnlos vertrödelte Zeit im Wartezimmer, sondern senkt auch das Infektionsrisiko für das medizinische Personal. Hinzu kommt, dass Ärzte bei der Diagnose auf künstliche Intelligenz zurückgreifen können.

Unnötige Wege spart ebenfalls Shop Apotheke, ein niederländischer Versandhändler von Arzneimitteln. Auch wenn sich die Innenstädte langsam wieder füllen, bleibt Maßgabe, die eigenen vier Wände so selten wie möglich zu verlassen. Daher ist nicht damit zu rechnen, dass sich das stramme Wachstum signifikant abschwächen wird. Der endgültige Bericht zum ersten Quartal wird zwar erst am 14. Mai, dem Erscheinungstag dieser Ausgabe, veröffentlicht. Vorab wurde aber bereits bekannt, dass der Umsatz um rund ein Drittel auf 232 Millionen Euro gestiegen ist. Einige Analysten rechnen deshalb damit, dass der für dieses Jahr erwartete Eintritt in die Gewinnzone bereits erfolgt ist oder zumindest kurz bevorsteht. Der endgültige Durchbruch für die Onlineapotheke dürfte 2022 anstehen. Dann sollen Ärzte in Deutschland Rezepte nur noch in elektronischer Form ausstellen.

Ebenfalls aus den Niederlanden stammt Corbion, ursprünglich ein Spezialist für Milchsäure, Backzutaten und Nahrungsmittelzusätze. Die Fantasie steckt in der neuen Sparte Biokunststoffe, die sogenannte Polylactide (PLA) produziert. Diese sind im Unterschied zu erdölbasierten Kunststoffen kompostierbar, was die für Mensch und Tier gesundheitsschädliche Plastikflut in den Weltmeeren eindämmen soll. Nicht nur in nachhaltigen Lebensmittelverpackungen, auch in Smartphones, Computern und sogar Autoteilen könnten PLA zumindest einen Teil der herkömmlichen Kunststoffe ersetzen.

Corbion dürfte von einer EU-Vorgabe profitieren, nach der bereits ab 2021 viele Einwegprodukte aus ölbasiertem Kunststoff verboten werden sollen. Produziert werden die umweltfreundlicheren PLA in einem Werk in Thailand, das gemeinsam mit dem französischen Ölkonzern Total betrieben wird. Bislang kommt Corbion gut durch die Krise: Der Umsatz stieg im ersten Quartal um zwölf Prozent auf 265,3 Millionen Euro, der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) um 27 Prozent auf 44,4 Millionen Euro. Angaben zum Nettoergebnis machte das Management nicht. In Sachen Unternehmensführung, dem G in der ESG-Welt, besteht also noch Nachholbedarf.

Nachhaltig investieren

Nachhaltigkeits- oder ESG-Fonds haben unterschiedliche Ansätze. Manche fokussieren sich auf bestimmte Themen, andere haben mehr oder weniger strenge Ausschlusskritieren (etwa Tabak- oder Rüstungsaktien), wieder andere verfahren nach einem sogenannten Best-in-Class-Ansatz. Letzteres bedeutet, dass auch Unternehmen aus kritischen Branchen aufgenommen werden können - sofern sie bestimmte Risiken besser im Griff haben als die Konkurrenz.

Der Deka Oekom Euro Nachhaltigkeit UCITS (WKN: ETF L47) bildet den Solactive Eurozone Sustainability Index ab. Dieser von der Ratinggesellschaft Oekom Research entwickelte Index beinhaltet 30 europäische Standardwerte wie ASML, Allianz oder Siemens, die bei Nachhaltigkeitskriterien vorne liegen. Demnächst sollen erste Produkte auf den neuen Nachhaltigkeits-DAX der Deutschen Börse herauskommen. Der nennt sich DAX 50 ESG und enthält allein 23 der 30 DAX-Aktien. Kritiker ätzen deshalb über die ihrer Meinung nach zu laxen Auswahlkriterien.

Strenger geht es meist bei aktiv gemanagten Fonds zu. So zählt der LGT Sustainable Equity Fund Global zu den Nachhaltigkeitsfonds mit der besten Fünfjahresentwicklung. Das Fondsmanagement in Liechtenstein setzt auf einen breiten Branchenmix. Das spiegelt sich in den größten Positionen Alphabet, Nintendo, Medtronic und Danone wider. Die Titelauswahl ist auch in regionaler Hinsicht breit gestreut. Die USA (47 Prozent) und die Eurozone (23 Prozent) sind am höchsten gewichtet. Nachteil für Privatanleger: der optisch hohe Preis für einen Fondsanteil.

Mit dem 2007 aufgelegten Lombard Odier Generation Global PD setzen Investoren auf ein etabliertes Schwergewicht. Technologieaktien und Titel aus der Gesundheitsbranche machen rund die Hälfte der Fondsgewichtung aus. Mit einem Anteil von 70 Prozent liegt der Länderschwerpunkt klar auf US-Unternehmen.

Vom Volumen her ein Nischenprodukt ist der Prima Global Challenges A. Der 2006 aufgelegte Fonds hat mit 50 Titeln ein relativ konzentriertes Portfolio mit einem klaren Branchenfokus. Unternehmen aus den Sektoren Industrie (40,5 Prozent) und Technologie (29 Prozent) geben eindeutig den Ton an. Die langfristig starke Wertentwicklung lässt sich das Fondsmanagement mit vergleichsweise hohen Verwaltungsgebühren bezahlen.

Für den Berenberg Sustainable World Equities sprechen sowohl die starke Performance seit seiner Auflage im Dezember 2018 als auch die Tatsache, dass kein Ausgabeaufschlag anfällt. Bei der Titelauswahl setzt Fondsmanager Bernd Deeken gleichermaßen auf Unternehmen aus den USA, Europa und Asien. Die Branchen Gesundheit, Technologie und Finanzen stellen zwei Drittel des Fondsportfolios.

Ein weiterer Neuling ist der im Januar 2018 von der Fondsgesellschaft La Française aufgelegte LUX Inflection Point Carb Impact Global mit seiner auf rund 90 Aktien und eine Vielzahl von Branchen verteilten Titelauswahl. Finanzdienstleister und Konsumaktien sind zu jeweils 20 Prozent gewichtet.