WESHALB SIND HAUPTVERSAMMLUNGEN NÖTIG?


Die Hauptversammlung ist neben Vorstand und Aufsichtsrat das dritte Organ einer Aktiengesellschaft und gesetzlich vorgeschrieben. Dort werden die Aktionäre über die Entwicklung des Unternehmens informiert, können Fragen stellen und fassen wichtige Beschlüsse. Dazu gehören etwa die Wahl des Aufsichtsrats, die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat oder die Abstimmung über die Dividende. "Im Falle einer Verschiebung der Hauptversammlung würde es also auch zu einer späteren Dividendenauszahlung kommen", sagt Katharina Stüber, Aktienrechtsexpertin bei der Anwaltskanzlei Allen & Overy.

WELCHE GROSSEN HAUPTVERSAMMLUNGEN STEHEN ALS NÄCHSTES AN?


Für den 26. März hat die Deutsche Telekom ihre Aktionäre nach Bonn eingeladen, Daimler will sein Aktionärstreffen am 1. April in Berlin abhalten. Die Telekom zählte 2019 rund 2500 Anleger, Daimler begrüßte etwa 5000 Teilnehmer. Beide Konzerne erklärten, dass die Hauptversammlungen bislang wie geplant stattfinden sollten. Man beobachte die weiteren Entwicklungen aber sehr aufmerksam. Viele andere Unternehmen dürften sich an der Entscheidung der beiden Dax-Konzerne orientieren. "Telekom und Daimler werden die Maßstäbe setzen", sagt Thomas Hechtfischer von der Aktionärsvereinigung DSW.

KANN DIE VERANSTALTUNG NICHT EINFACH ONLINE STATTFINDEN?


Hauptversammlungen sind in Deutschland grundsätzlich als Präsenzversanstaltung konzipiert. "Eine ausschließlich digitale Übertragung der Hauptversammlung ist nach § 118 Aktiengesetz nicht vorgesehen", erklärt das Deutsche Aktieninstitut. Allerdings räumt das Aktiengesetz die Möglichkeit ein, dass Aktionäre auf elektronischem Wege an der Hauptversammlung teilnehmen können, wenn dies in der Satzung entsprechend geregelt ist. Das ist aber offenbar nur eine theoretische Option. "Es ist nach unserem Kenntnisstand nicht möglich, eine Hauptversammlung nur online abzuhalten", sagt Hechtfischer. Eine Möglichkeit sei aber, die Hauptversamlung in mehreren kleineren, mit Video-Übertragung verbundenen Räumen zu organisieren, sagt Christoph Seibt von der Anwaltskanzlei Freshfields.

KANN DIE HAUPtVERSAMMLUNGEN NICHT VERSCHOBEN WERDEN?


Bei einer Zuspitzung der Corona-Krise könnten Unternehmen ihre Aktionärstreffen verschieben. Nach dem Aktiengesetz müssen Hauptversammlungen in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahres stattfinden. Firmen, deren Geschäftsjahr mit dem Kalenderjahr übereinstimmt, haben also noch bis Ende August Zeit.

WAS PASSIERT, WENN DIE FRIST VERLETZT WIRD?


"Selbst wenn die Hauptversammlungen wegen des Coronavirus nicht innerhalb der gesetzlichen Frist abgehalten werden kann, wird nicht viel passieren", sagt Hechtfischer. Das zuständige Registergericht werde wohl nach Abwägung aller Umstände zu dem Schluss kommen, dass eine Verschiebung der Hauptversammlung gerechtfertigt war. "Beschlüsse, die von einer Hauptversammlung gefasst werden, die nicht innerhalb des gesetzlich vorgesehenen Zeitraums stattfindet, sind trotz Fristüberschreitung wirksam", sagt Allen & Overy-Anwältin Stüber. "Sollte ausnahmsweise eine Vertagung über den 31. August 2020 sachlich erforderlich und unvermeidbar sein, kommt in der Regel auch keine Haftung für verspätete Dividendenauszahlung in Betracht, da ja dann keine schuldhafte Pflichtverletzung des Vorstands vorliegt", erläutert Freshfields-Anwalt Seibt.

HABEN AUCH SCHWEIZER KONZERNE EIN PROBLEM?


Schweizer Firmen stecken in einer Klemme, weil die Regierung vergangene Woche Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen untersagt hat. Nicht nur bei Riesen wie Nestle, sondern auch bei kleineren Firmen wie dem Schokoladehersteller Lindt&Sprüngli oder der Regionalbank Valiant nehmen üblicherweise Tausende Menschen an den Generalversammlungen teil. Auch in der Schweiz sind die Aktionärsversammlungen Präsenzveranstaltungen. Sie müssen spätestens sechs Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres abgehalten werden. "Eine rein virtuelle Generalversammlung ist in der Schweiz noch nicht zulässig", heißt es in einem Leitfaden der Kanzlei Kellerhals Carrard und der Beratungsfirma Dynamics Group.

WELCHE AUSWEGE HABEN SCHWEIZER FIRMEN?


Der Fleischverarbeiter Bell Group hat seine Generalversammlung inzwischen verschoben. Experten rechnen damit, dass andere Firmen ihre Aktionäre auffordern könnten, schriftlich oder elektronisch abzustimmen. So bittet der Versicherer Zurich die Eigner, von einer persönlichen Teilnahme an der Generalversammlung abzusehen und stattdessen dem unabhängigen Stimmrechtsvertreter Weisungen zur Stimmabgabe zu erteilen. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Schweizer Regierung bei einer weiteren Eskalation der Situation rein schriftliche Abstimmungen verfügen könnte.

rtr