Mit den Aktionärstreffen von Daimler und Telekom am kommenden Mittwoch und Donnerstag geht nicht nur die Hauptversammlungs- (HV-)Saison 2021 in die heiße Phase. Damit kocht auch die Diskussion um Einschnitte bei Aktionärsrechten wieder hoch, die schon die HV-Saison 2020 geprägt hat. Wegen der Corona- Pandemie finden auch in diesem Jahr die Aktionärstreffen als reine Onlineveranstaltungen statt, also ohne direkte Präsenz der Anteilseigner. Eine umstrittene Notfallgesetzgebung hatte dazu im vergangenen Jahr einen vorläufigen Rechtsrahmen geschaffen - ein Novum im deutschen Aktienrecht.

Zwar freut sich so mancher über den virtuellen Zugang ohne Reiseaufwand. Doch werde auf diesen Online-HVs das Rede-, Auskunfts- und Anfechtungsrecht der Aktionäre massiv beschnitten, klagen unisono Fondsgesellschaften, Aktionärsschützer und Corporate- Governance-Experten. "Auch im zweiten Corona-Jahr haben wir nur eine Notlösung, die für Investoren schlicht nicht akzeptabel ist", sagt Marc Tüngler von der Aktionärsvereinigung DSW.

Thomas Richter, Geschäftsführer des Fondsverbands BVI, gibt sich kämpferisch: "Wir werden diese dauerhafte Beschneidung der Aktionärsrechte nicht hinnehmen." Kritisiert wird unter anderem, dass Redebeiträge nicht vorgetragen werden können und Fragen oder Nachfragen nicht möglich seien. Der Austausch von Meinungen werde schon durch die Regulierung stark beschränkt. Aber auch die Unternehmen selbst ließen Spielräume ungenutzt. Dabei stünden genug weitere Themen an, die Aktionäre bewegen - von der Umsetzung der sogenannten ESG-Nachhaltigkeitskriterien (Environmental Social Governance) über Konzernumbau und Abspaltungen bis hin zu Digitalisierung, Vergütung und Dividende.

ESG-Kriterien im Mittelpunkt

Einer, der sich bei fast 30 Aktionärstreffen in diesem Jahr angemeldet hat, ist Henrik Pontzen, Leiter der Abteilung Nachhaltigkeit bei der Fondsgesellschaft Union Investment (UI). Auch Pontzen will darauf drängen, dass nach Corona wieder Präsenzveranstaltungen zum Standard werden, lediglich ergänzt um digitale Formate. Das ESG-Thema wiederum treibt gerade institutionelle Investoren wie UI immer stärker um. "Eine Strategie überzeugt uns erst, wenn Nachhaltigkeitsziele messbar und überprüfbar sind und sich in der Vergütung des Topmanagements widerspiegeln", sagt Pontzen. Als positives Beispiel nennt er Adidas. "Die Herzogenauracher sind bei ESG besser aufgestellt als Hauptrivale Nike." Erhebliche ESG-Defizite macht der Fondsmanager dagegen bei der Telekom aus. Den Bonner Konzern hat auch Marc Tüngler von der DSW im Visier. Mit einem Zusatzantrag will die DSW auf der HV am 1. April ein Auskunfts- und Rederecht in der Satzung verankern.

Weiteres Kernthema der HV-Saison dürfte Konzerntransformation sein. Mehrere DAX- Konzerne lösen derzeit ihre Konglomeratstrukturen auf und schaffen damit Wertsteigerungspotenzial für Aktionäre. Als Paradebeispiel gilt Siemens. Das Unternehmen hat auf diesem Weg in den vergangenen Jahren Ableger wie Infineon oder Healthineers hervorgebracht. Im Herbst 2020 folgte der Börsengang der Sparte Energy. Daimler geht mit der Abspaltung der Lastersparte Daimler Trucks ähnliche Wege. Die Börse honoriert es.

Nachgehakt bei Henrik Pontzen


Der Union- Investment-Fondsmanager über Vorbild VW und maßlose Banker.

€uro am Sonntag: Sie legen bei Ihren DAX-HV-Auftritten den Fokus vor allem auf die Nachhaltigkeit (ESG). Liegt VW mit seiner Elektrostrategie richtig?

Henrik Pontzen: VW macht bei der Elektromobilität ernst und baut eigene Batteriewerke. Das Signal, das die Wolfsburger setzen, wünschen wir uns auch von anderen Autobauern. Positiv überrascht, dass die deutschen Hersteller bei grüner Elektromobilität inzwischen besser aufgestellt sind als Tesla. Sie können eine globale Vorreiterrolle einnehmen.

Wie setzen Sie ESG-Ziele in der Anlage um?

Wir dürfen Unternehmen nicht nur in "grün" oder "braun" einteilen, in die man dann investiert oder nicht. Wir müssen alle Unternehmen in den Wandel mitnehmen. Uns ist auch wichtig, dass wir das ESG-Thema nicht nur aus ethischen Gründen vorantreiben, sondern aus der Sicht renditeorientierter Investoren.

Einen beachtlichen Turnaround hat die Deutsche Bank hingelegt, auch beim Aktienkurs. Gibt es dafür HV-Lob?

Das positive Gesamtergebnis ist erfreulich. Dennoch muss Konzernchef Christian Sewing den Umbau weiter vorantreiben. Was wir scharf kritisieren, ist die Vergütung. Bei 624 Millionen Euro Nettogewinn zahlt die Bank 1,86 Milliarden Euro Boni, das ist völlig unverhältnismäßig. Noch ärgerlicher ist die Begründung: Man sei eine globale Bank und erhalte nur so entsprechendes Personal. Dann sollten aber auch die Gewinne fließen wie bei einer erfolgreichen globalen Bank.

Wer liefert überzeugende ESG-Strategien?

RWE hat einen verlässlichen Plan zum Kernkraft- und Kohleausstieg. BASF und Lanxess sind bei den Klimazielen gut aufgestellt. Bayer kämpft noch mit den Glyphosat-Altlasten. Aber nach einem schmerzhaften Lernprozess verfolgt der Vorstand jetzt die richtigen Ansätze.