von Mondher Bettaieb, Fondsmanager bei Vontobel

Der Renditeanstieg zehnjähriger deutscher Staatsanleihen Ende April von einem Niveau nahe null auf 0,8 Prozent ist noch in frischer Erinnerung. Angesichts solcher Fieberschübe an den Anleihemärkten und der weiterhin niedrigen Zinsen stellt sich die Frage, ob eine starke Fokussierung der Anleger auf Staatsanleihen noch sinnvoll ist. Bei den meisten Anlegern steht der Sicherheitsaspekt von Staatspapieren immer noch im Vordergrund. Allerdings findet auch langsam ein Umdenken statt. Denn ohne eine Erweiterung des Anlagehorizonts dürften viele bei der aktuellen Marktlage große Mühe haben, ansehnliche Renditen zu erzielen. Dazu bietet sich eine Beimischung ausgesuchter Unternehmensanleihen mit "mittleren" Kreditratings an.

Die Kreditmärkte entwickeln sich derzeit prächtig: Der Merrill- Lynch-Referenzindex für europäische Unternehmensanleihen (Ratingspanne von "A+" bis "BBB-") stieg im vorigen Jahr um 8,24 Prozent an, während der entsprechende Referenzindex für hochverzinsliche Papiere (Ratings unter "BBB-") um 3,16 Prozent an Wert zulegen konnte. Kennzeichnend für die zahlreichen Emittenten beider Segmente ist, dass sie ihre Verschuldung mittlerweile abgebaut haben und auch wieder solide aufgestellt sind. Darunter fallen auch viele Gesellschaften der sogenannten Peripherieländer Südeuropas, die sich mittlerweile in einer viel besseren Verfassung befinden als noch vor ein paar Quartalen.

Sieht man einmal von den USA ab, so herrscht in den anderen Regionen weltweit eine geldpolitische Lockerung vor. Ein Teil dieser Liquidität dürfte weiter in die Finanzmärkte fließen und diese stützen. Angesichts der noch immer zaghaften wirtschaftlichen Erholung in vielen Teilen der Welt kann man davon ausgehen, dass die Zentralbanken ihre Politik zunächst nicht ändern werden. Das angelaufene Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) sorgt jedoch für Unruhe: Obwohl sich Unternehmensanleihen nicht im Fokus der Frankfurter Währungshüter befinden, erwarten viele Marktbeobachter, dass auch diese Papiere in den Sog der EZB-Käufe geraten könnten. Wie sich solche Markteingriffe durch die EZB auf den Bereich der Unternehmensanleihen auswirken werden, ist allerdings noch unklar.

Auf Seite 2: Angebot wird wohl begrenzt bleiben





Generell gehen wir davon aus, dass das Angebot an den für uns interessanten Wertschriften begrenzt bleibt. Dies dürfte den Preisen Auftrieb verleihen. Gemäß Schätzungen von BNP Paribas werden 2015 nur marginal mehr neue Investmentgrade-Unternehmensanleihen aufgelegt als alte zurückbezahlt.

Die meisten Schuldtitel von Unternehmen bewegen sich in einem mittleren Bonitätsbereich und weisen Ratings zwischen "A+" und "BBB-" vor. In dieser Spanne befinden sich auch viele nachrangige Anleihen von Finanzinstituten - ein Segment, das wir nach wie vor als interessant ansehen. Doch wird eine sorgfältige Auswahl in diesem Bereich zunehmend wichtiger. Gegenwärtig bieten ausgesuchte Titel von europäischen Versicherern gute Investitionsmöglichkeiten. Auch einige britische Banken verfügen nach unserem Dafürhalten über Anleihen mit Potenzial. Solche Anleihen sollten dank ihrer immer noch hohen Spreads auch nicht sonderlich durch steigende Zinsen beeinträchtigt werden.

Abschließend ein Wort zu den zwei Investmentstilen, die unsere Fondsbranche über Jahrzehnte geprägt haben: Anleger mit einem sogenannten passiven Ansatz "kaufen" typischerweise einen Anleiheindex und machen alle Marktbewegungen mit. Ein solches Vorgehen mag leichte Kostenvorteile bieten, doch die Anleger verzichten dabei auf Chancen, die sich aus besonderen Situationen ergeben. Aktive Investoren und Anbieter versuchen hingegen, den Markt zu schlagen. Drei Punkte sind dabei entscheidend: Bond Picking, also die Auswahl von Kandidaten für ein Portfolio, die Konzentration auf Themen, von denen man überzeugt ist, sowie das sorgfältige Managen von Risiken.

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Mondher Bettaieb

Bettaieb verfügt über einen Bachelor of Science in Business Administration des Columbia College und einen Master of Business Administration der Colorado State University. Er ist seit 2010 bei Vontobel Asset Management tätig. Vontobel Asset Management ist spezialisiert auf das aktive Vermögensmanagement und maßgeschneiderte Anlagelösungen und verwaltet ein Kundenvermögen von rund 83 Milliarden Franken.