Frauen in Spitzenpositionen sind in Indien oft zu finden. Politikerinnen wie Indira Gandhi und ihre Schwiegertochter Sonia oder Pratibha Patil, vor zehn Jahren Staatsoberhaupt, haben Geschichte geschrieben. Nicht anders sieht es in der Wirtschaft aus, wo keineswegs nur Männer den großen Unternehmen vorstehen, insbesondere im Finanzsektor.

Ein positiver Trend, keine Frage. Jedoch sind mehrere Bankchefinnen jüngst auf die Abschussliste gelangt. Stets geht es dabei um faule Kredite, die in den Bilanzen vieler Großbanken schlummern. Bei -ICICI etwa, der nach Bilanzsumme größten Privatbank im Land, sollen Kreditausfälle jahrelang kleingerechnet worden sein, sodass die ausgewiesenen Gewinne damit zu hoch ausfielen. Vor wenigen Tagen verkündete ICICI den ersten Quartalsverlust in der Firmengeschichte. Chanda Kochhar, seit 2009 Chefin, ist nun unbefristet beurlaubt - es sollen auch Mauscheleien bei einem Kredit für ihren Ehemann Deepak Kochhar stattgefunden haben.

Bei der Axis Bank, einem kleineren Rivalen, gibt es ähnliche Probleme. Als Shikha Sharma, Frontfrau des Unternehmens, jüngst ihren Vertrag verlängerte, intervenierte die Reserve Bank of India (RBI), Indiens Zentralbank, mit der subtilen Bemerkung, man möge doch bitte noch einmal in sich gehen und das Ganze überdenken. Nun läuft Sharmas Vertrag bereits Ende 2018 aus. Ein peinlicher Abgang. Diese Schmach blieb Arundhati Bhattacharya, bis Herbst vergangenen Jahres "Chairman" bei der staatlich kontrollierten State Bank of India (SBI), erspart - sie verabschiedete sich wie geplant in den Ruhestand. Doch auch durch die SBI-Bücher zieht sich eine Schneise der Verwüstung. Im April standen die Rückstellungen für faule Kredite bei knapp neun Milliarden Euro - und damit 30-mal so hoch wie vor zehn Jahren. Im zurückliegenden Geschäftsjahr verzeichnete SBI, die mit Abstand größte indische Staatsbank, erstmals in diesem Jahrtausend einen Verlust. Die Dividende wurde im Zuge symbolträchtiger Selbstgeißelung ausgesetzt.

Die Verwerfungen sind systemisch. Während Indiens Banken noch vor zehn Jahren faule Kredite in homöopathischen Dosen auswiesen, ist ihr Anteil inzwischen auf 11,6 Prozent aller ausstehenden Darlehen gestiegen. Das ist nicht viel weniger als in Italien und erheblich mehr als etwa in Brasilien oder China, zwei anderen großen Schwellenmärkten. Insgesamt faulen umgerechnet mehr als 200 Milliarden Dollar in den Bilanzen des indischen Bankensystems vor sich hin. Eine durchweg scheußliche Gemengelage also?

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Vorteil Privatbanken

Teilweise. Von den faulen Krediten sind überwiegend die rund 20 staatlich kontrollierten Banken betroffen. Bei den Privatbanken, zu denen auch ICICI und Axis gehören, sieht die Lage besser aus. HDFC Bank und Kotak Mahindra Bank etwa, zwei spektakuläre Newcomer der indischen Finanzbranche, führen ihr Kreditbuch mit kaufmännischem Augenmaß und Risikobewusstsein. HDFC Bank (nicht zu verwechseln mit HDFC, einer Hypothekenbank), von BÖRSE ONLINE wiederholt empfohlen, ist inzwischen nach Marktkapitalisierung das drittgrößte Börsenunternehmen. Unser Kursziel von November 2017 (100 Euro) ist fast erreicht.



Obgleich die Bilanzkorrekturen der vergangenen Monate manche Indien-Anleger verunsichert haben, sollten sie gelassen bleiben. Im indischen Bankenkosmos wird unter Federführung der Notenbank - und mit dem Plazet der Regierung unter Ministerpräsident Narendra Modi - schmutzige Wäsche gewaschen, und zwar gründlich und in aller Öffentlichkeit. Das ist kurzfristig unangenehm, hässlich und verlustträchtig, langfristig aber bereinigend. Schon im Herbst 2017 hatte die Regierung die Staatsbanken mit einer Finanzspritze von über 32 Milliarden Dollar gestärkt, was von den Märkten positiv aufgenommen wurde. Finanziell kann Indiens dynamische Wirtschaft derart kostspielige Aktionen verkraften. Allein die Devisenreserven der RBI lagen im Juli bei mehr als 400 Milliarden Dollar.

Mittel- und langfristig sind die Perspektiven für Indien und seinen Finanzsektor bestens. Insbesondere das neue Insolvenzrecht, vor wenien Monaten verabschiedet, macht es erstmals möglich, marode Unternehmen zügig abzuwickeln und/oder neu zu positionieren - ein Befreiungsschlag, der die Bereinigung fauler Kredite massiv erleichtert. Indiens junge Privatbanken werden rasch weiter zu den staatlichen Platzhirschen aufschließen und diese bald überrunden.

Während die Privaten heute auf einen Marktanteil von etwa 30 Prozent kommen, prognostiziert Multimilliardär Uday Kotak, Gründer und Chef der Kotak Mahindra Bank, binnen fünf Jahren einen Anstieg auf 50 Prozent. Aufgrund der Skaleneffekte im Bankgeschäft sind Übernahmen und Fusionen möglich. Der staatliche Bankensektor dürfte nach und nach - sobald politisch durchsetzbar - privatisiert werden. Hinzu kommt die rasche Digitalisierung, die enorme Kostenvorteile mit sich bringt. Insofern ist die Indien-Story auch im Finanzsektor intakt. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt (kaufkraftparitätisch gerechnet) verzeichnet auf absehbare Zeit Wachstumsraten von mehr als sieben Prozent. Banken profitieren von einem derart dynamischen Umfeld geradezu zwangsläufig, ihre Aktien bieten sich also anstelle von Fonds als Langfristinvestments an. Dass trotz des jüngsten Bankenbebens die Börsenindizes in Mumbai auf Rekordniveau notieren, sagt alles.



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Auf einen Blick: Indien