Der Gegensatz zwischen den Nachbarn könnte derzeit kaum größer sein: Zum einen ein tief gespaltenes Vereinigtes Königreich, das keinen politischen Ausweg aus dem Brexit-Chaos findet; jenseits der Irischen See dagegen eine Republik Irland, die trotz der Eskapaden in London und aller wirtschaftlichen Gefahren eines Brexit die Ruhe zu bewahren scheint. Fast ideal verkörpert wird der Gegensatz von den beiden Regierungschefs, Boris Johnson und Leo Varadkar. Dabei steht Letzterer mit seiner bürgerlichen Partei Fine Gael gleichfalls einer Minderheitsregierung vor. Geduldig wartet er derzeit auf Vorschläge aus London zur Lösung der Grenzfrage auf der Insel. Dies ist umso bewundernswerter, als Irland nahezu unmittelbar und unter den verbleibenden EU-Staaten am stärksten unter einem ungeregelten Brexit leiden würde.

Trotz der aktuellen Unsicherheit zeigt sich die irische Wirtschaft robust. So prognostiziert die EU-Kommission für dieses Jahr ein Wachstum von vier Prozent. 2020 soll das Bruttoinlands­produkt um weitere 3,4 Prozent zulegen. Zugleich hat sich die irische Wirtschaft in der Vergangenheit immer weiter international geöffnet und dadurch ihre Abhängigkeit von Großbritannien deutlich reduziert. So lagen etwa 2018 beim Export die USA und Belgien vor dem Vereinigten Königreich.

Ein Paradebeispiel für die internationale Ausrichtung ist der Baustoffkonzern CRH, nach Marktkapitalisierung größter Wert im Dubliner ISEQ-20-Index und Bestandteil des Euro Stoxx 50. Neben Zement, Beton und Asphalt bietet das Unternehmen auch höherwertige Produkte für den Bausektor an, die etwa 37 Prozent des Geschäfts ausmachen. Nur 14 Prozent des Umsatzes von CRH stammen noch aus Großbritannien und Irland, dagegen aber 45 Prozent aus den USA. Mit einer soliden Umsatz- und Ertragsentwicklung sowie einem Aktienrückkaufprogramm ist die in diesem Jahr wieder positive Kursentwicklung gut unterlegt. Zugleich erhöhte CRH in den vergangenen drei Jahren auch jeweils die Dividende.

Ebenfalls eine robuste Wachstumsgeschichte als Bauzulieferer zeigt Kingspan. Mit Gebäudeverkleidungen und Isolierungen als Hauptumsatzträgern hat das Unternehmen gute Chancen, weiterhin von zunehmenden Energiespar- und Klimaschutzinvestitionen im Immobiliensektor zu profitieren. Dabei hat sich Kingspan auch selbst eine klare Nachhaltigkeitsstrategie verordnet. So soll etwa schon 2020 CO2-frei produziert werden.

Im ersten Halbjahr berichtete das nahe der Grenze zu Nordirland beheimatete Unternehmen erneut über ein deutlich zweistelliges Wachstum von Umsatz und Gewinn. Um einiges kleiner als CRH, ist Kingspan derzeit noch eher auf Europa ausgerichtet. Während Großbritannien noch rund ein Fünftel zum Umsatz beiträgt, dürfte gegebenenfalls aber weniger eine neue EU-Außengrenze Probleme bereiten als vielmehr eine vom Brexit geschwächte britische Binnenkonjunktur. Insgesamt sollte Kingspan aber selbst mit einem harten Brexit umgehen können.



Ryanair in Turbulenzen


Mit größeren Auswirkungen muss dagegen Ryanair rechnen. Die Billigairline kämpft ohnehin mit einem schwierigen Branchenumfeld. Zwar erwartet sie nach Passagierzahlen und Umsatz weiteres Wachstum, der Preisdruck bei den Tickets sowie höhere Treibstoffkosten drücken gleichzeitig aber den Gewinn. Auch mit Arbeitskämpfen muss sich Firmenchef Michael O’Leary immer häufiger auseinandersetzen. Durch die verzögerte Auslieferung bestellter Boeing 737-Max muss Ryanair zudem auf Wachstums- und Kostensenkungsimpulse vorerst verzichten. Insgesamt ist die Aktie derzeit wenig attraktiv. Charttechnisch sieht es jedoch nach einer Bodenbildung aus.

Große Risiken birgt ein Brexit ohne Vertrag für die irische Nahrungsmittel­industrie. Betroffen wäre vor allem der zeitkritische Handel mit Frischware für den Konsum und als Industrierohstoff, der durch mögliche Zölle sowie Staus und Grenzkontrollen belastet würde. Zu Jahresbeginn warnte der Chef der Kerry Group vor "schweren Konsequenzen". Der Konzern habe unter anderem Rohstoffe für mehrere Wochen eingelagert.

Allerdings wird der weltgrößte Aromen-und Zusatzstoffhersteller einen Brexit noch vergleichsweise gut abfedern können. Lediglich 20 Prozent seines Umsatzes macht das Unternehmen mit Markenprodukten für Endverbraucher in Irland und Großbritannien, darunter Molkerei-, Fleisch- und Fertigprodukte. Insgesamt ist der langjährige Wachstumstrend der Kerry Group intakt. Die Aktie notiert weit über ihrem Niveau nach dem Brexit-­Referendum.

Begrenzt sollte eine Brexit-Belastung im Übrigen auch bei Smurfit Kappa sein, Spezialist für Papier- und Kartonverpackungen. Das Unternehmen ist in Europa sowie Nord- und Südamerika mit zahlreichen Produktionsstandorten direkt an den Märkten präsent. Nachdem 2018 noch der Rückzug aus Venezuela das Ergebnis belastete, hat Smurfit Kappa nun gute Perspektiven, sein profitables Wachstum fortzusetzen. Ein wichtiger Faktor bleibt dabei der weltweit zunehmende Onlinehandel.