Stollmann, 1955 als Sohn eines Ministerialrats im Düsseldorfer Finanzministerium und "der einzigen weiblichen Autohändlerin im Nachkriegsdeutschland" geboren, ging nach dem Abitur zur Bundeswehr und studierte anschließend Jura an der renommierten Universität in Aix-en-Provence, obwohl er eigentlich kein Französisch sprach. "Mein Vater hatte mich überzeugt, dass ich im Ausland studieren sollte. Ich war damals der einzige Deutsche, der in Frankreich Jura studierte." Er hätte sich also früh daran gewöhnt, ungewöhnliche Dinge zu tun und Risiken einzugehen. Ein Freund sollte später von ihm sagen, er habe etwas "von einem Jung-Siegfried. Da ist dieser unerschütterliche Glaube, dass für ihn nichts unmöglich ist."

Nach dem Juraabschluss mit 21 Jahren hängte er noch ein Wirtschaftsstudium in Paris an, an einer der Grandes Écoles, wo er seine spätere Ehefrau Fiona kennenlernte, und schrieb sich anschließend an der US-Eliteuniversität Harvard Business School in Boston ein. 1981 schloss er das Studium mit einem MBA ab. Sein erster Job: Unternehmensberater für die Boston Consulting Group, die er 1984 verließ, um sich in Köln mit der Compunet AG selbstständig zu machen.

Compunet, ein Dienstleister für Datenverarbeitung, war das erste deutsche Start-up, das die Ideen der New Economy verkörperte. Das Startkapital betrug eine halbe Million D-Mark. Er hatte Glück, dass eine risikofreudige Bank eine Hypothek akzeptierte. Mit seinem Geschäftsmodell vom herstellerunabhängigen Service legte er sich mit den Großen der IT-Branche an - und hatte damit Erfolg: Als er sein Unternehmen 1996 für einen dreistelligen Millionenbetrag an den größten amerikanischen Elektrokonzern General Electric verkaufte, machte es mit 3000 Mitarbeitern eine Milliarde US-Dollar Umsatz. Was Compunet zur Ikone der frühen 90er-Jahre machte, war die ungewöhnliche Unternehmenskultur: flache Hierarchien, Mitarbeiterbeteiligung in großem Stil, Transparenz für alle, offene Kommunikation, hohe ethische Standards.

Ausflug in die Politik

Der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder, gerade im Wahlkampfmodus vor der Bundestagswahl 1998, war damals auf den Erfolgstypen Stollmann aufmerksam geworden, der nach dem Verkauf seiner Firma in Talkshows und Interviews eine Wende in der Wirtschaftspolitik propagierte und mit gewagten Thesen auffiel. Stollmann empfahl den Deutschen ein neues Leitbild - und sich selbst. Es gehe jetzt darum, die "Vollkasko-Mentalität" und soziale Wohltaten über Bord zu werfen, ein dramatischer Umbau in allen gesellschaftlichen Bereichen sei überfällig.

In einem "Spiegel"-Interview sagte er: "Wir müssen fragen: Machen wir es nicht mal anders? Wir müssen jetzt endlich das Signal setzen: Die Deutschen brechen auf. Ich muss jetzt immer nach Amerika reisen, um herauszufinden, wie Zukunft geht. Ich möchte gerne, dass Amerikaner zu uns reisen."

Schröder berief Stollmann, den Norbert Blüm als einen "Patriarchen im Yuppiegewand" bezeichnete, in sein Schattenkabinett. Nach einem Wahlsieg würde der Quereinsteiger den Posten eines Wirtschaftsministers übernehmen. Trotzdem reagierten einige Genossen kritisch auf Stollmanns hochgesteckte Ziele und Visionen. Sie warfen ihm Größenwahn und Naivität vor. Stollmann, noch neu im Bonner Haifischbecken, reagierte erst souverän: "Ach, das sind doch die üblichen Ritterspiele, die da stattfinden. Das ist alles alte Denke in einer alten Politikdiskussion." Schröder gewann zwar die Wahl. Aber Stollmann wurde nicht Wirtschaftsminister. Der designierte Kanzler gab dem Druck des damaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine nach und beschnitt die Kompetenzen des Ministeriums drastisch. Die Folge: Stollmann, der Star der neuen Mitte, verzichtete auf das Amt. "Die Idee, einen gestandenen Unternehmer in die Regierung aufzunehmen, war geradezu elektrisierend", erklärte er dem "Stern". "Aber wenn er vom Kanzler nicht vorbehaltlos unterstützt wird, wird er zum Grüßonkel und Quotenunternehmer."

Der Beinaheminister zog sich enttäuscht ins Privatleben zurück - und erfüllte sich einen Lebenstraum: Er ließ von der Bremer Traditionswerft Abeking & Rasmussen eine rund zehn Millionen Euro teure und 40 Meter lange Segeljacht der Superlative bauen. Alithia hieß das aus Aluminium und Kohlefaser gefertigte Boot. Damit startete er im Mai 2002 zu einer zweijährigen Weltumseglung, an Bord seine aus Griechenland stammende Ehefrau Fiona und seine fünf schulpflichtigen Kinder.

"Als wir das Projekt im Freundeskreis diskutierten, gab es schon große Vorbehalte, ob das verantwortlich sei, die Kinder aus ihrem gewohnten Leben rauszunehmen", gab er zu. Aber drei Lehrer sorgten an Bord dafür, dass die Kinder nicht zu viel verpassten.

Der Lebenstraum

Der Törn war Abenteuer pur. "Wir sind auf Inseln gewesen, die noch kein Weißer gesehen hat. Wir haben in Urwalddörfern gewohnt, deren einziger zivilisierter Gegenstand eine Machete war."

Der Kurs führte das Boot an Südamerika vorbei durch den Pazifik. Auf den Fidschi-Inseln kam es zu einem ernsthaften Zwischenfall: Die 145 Tonnen schwere Alithia kollidierte bei acht Knoten Fahrt mit einem auf keiner Seekarte verzeichneten Unterwasserriff. Die Jacht wurde im australischen Brisbane repariert. Wie durch ein Wunder hatte der Aluminiumrumpf den Zusammenstoß unbeschadet überstanden, sodass die Familie weitersegeln konnte.

Die zweijährige Weltumseglung endete 2004 in Athen. Die Familie siedelte jetzt nach Australien um, wo Stollmann eine prachtvolle Villa in Sydneys teuerstem Viertel Double Bay kaufte. Aber der 49-Jährige war noch nicht bereit, sich in den Vorruhestand zurückzuziehen: Er gründete zwei Jahre später die Firma Tyro Payments, die den technologischen Umbruch durch das Internet nutzten wollte, um das für den Kunden teure Oligopol der australischen Großbanken bei Kartenzahlungen zu brechen. Sein internetgestütztes Bezahlsystem war nicht nur schneller und billiger als alle bisher in Australien gebräuchlichen, es entsprach auch höchsten Sicherheitsanforderungen. Er wurde CEO, wechselte später in den Aufsichtsrat und war mit einem Investment von rund 8,5 Millionen Dollar größter Aktionär des Start-ups.

Die Anfänge waren sehr hart. Die Großbanken legten ihnen Steine in den Weg, wo sie konnten. Jost Stollmann war ständig auf der Suche nach Geld. "Jedes Jahr Verluste, jedes Jahr wieder das Kapital neu auffüllen, Rückschläge, Enttäuschungen, drei Schritte vor, zwei zurück. Das war anstrengend", gestand er in einem Interview mit "Brand eins". Im Dezember 2019 ging das Unternehmen dann an die Börse - es war der größte Börsengang des Jahres.