AWS-Ausfall legt das halbe Internet lahm – und offenbart Amazons Schwäche. Doch die Aktie ist günstiger als seit Jahren. Einstiegschance?
Ein Ausfall, der die digitale Welt erzittern lässt: In der Nacht zum Montag hat eine massive Störung bei Amazon Web Services (AWS) die Abhängigkeit der globalen Infrastruktur von wenigen Tech-Giganten einmal mehr schonungslos offengelegt. Zahlreiche Dienste – von Disney+ über Snapchat bis hin zu Regierungsseiten in Großbritannien – waren stundenlang offline oder nur eingeschränkt erreichbar.
Die Ursache lag laut AWS in einem DNS-Problem beim zentralen Datenbankdienst DynamoDB im US-East-1-Rechenzentrum in Virginia. Zwar gelang es Amazon, die Störung innerhalb weniger Stunden zu beheben. Doch der Zwischenfall wirft ein grelles Licht auf eine zunehmend fragile, zentralisierte Cloud-Architektur – und auf die Rolle von Amazon als Rückgrat dieser Architektur.
Wenn Amazon niest, bekommt das Internet Fieber
„DynamoDB ist einer der stillen Rekordhalter des modernen Internets“, sagt IT-Experte Mike Chapple von der University of Notre Dame gegenüber CNBC. „Wenn hier ein Fehler auftritt, wissen die meisten Nutzer gar nicht, warum plötzlich Disney+ oder Reddit nicht mehr laden.“ Rund ein Drittel des weltweiten Cloud-Marktes wird über AWS abgewickelt, Millionen Unternehmen sind auf den Dienst angewiesen. Schon kleine technische Probleme können dadurch eine Kettenreaktion auslösen.
Es ist nicht das erste Mal, dass ein Ausfall dieser Dimension das Internet erschüttert: Bereits 2021 und 2023 legten Störungen bei AWS zahlreiche Dienste lahm. Die jüngste Episode erinnert auch an die CrowdStrike-Panne 2024, die weltweit Windows-Systeme ausknockte und den Luftverkehr teilweise lahmlegte. Die Risiken dieser enormen Konzentration digitaler Infrastruktur bei nur wenigen Anbietern – Amazon, Microsoft und Google – sind real. AWS selbst sprach am Montagmorgen von einer „vollständig behobenen“ Störung, warnte aber, dass es bei einigen Diensten weiter zu Verzögerungen kommen könne, bis aufgelaufene Backlogs abgearbeitet seien. Ein Angriff sei nicht die Ursache gewesen, sondern ein technischer Fehler.
Katastrophe im operativen Geschäft – und an der Börse?
Während die Cloud-Sparte für Amazon operativ weiterhin das große Wachstumsversprechen bleibt, ist die Stimmung an der Börse seit Monaten gedrückt. Sowohl kurz-, als auch mittel- als auch langfristig ist Amazon der große Mag 7-Underperformer:
• 2025: Die Amazon-Aktie liegt 2025 rund 3 % im Minus – und hinkt damit den anderen Schwergewichten der „Magnificent 7“ deutlich hinterher.
• Post-Bezos-Ära: Seit Jeff Bezos 2021 den CEO-Posten an Andy Jassy übergeben hat, beträgt das Kursplus lediglich 15 %.
• Langfrist-Performance: In den vergangenen fünf Jahren hat die Aktie nur etwa 33 % zugelegt – ein Bruchteil dessen, was Nvidia, Microsoft oder Meta im gleichen Zeitraum erreicht haben. Zum Vergleich: Der Nasdaq 100 stieg im gleichen Zeitraum um fast das Vierfache, der S&P 500 um das Dreifache
Zwar konnte Amazon die operativen Gewinne in den letzten vier Jahren verdrei- bis vervierfachen – der Kurs aber hat darauf kaum reagiert. Damit ist Amazon heute – gemessen am Gewinnmultiplikator – so günstig bewertet wie seit Jahren nicht mehr. Das KGV liegt deutlich unter den historischen Spitzenwerten und auch unter dem Schnitt vieler Tech-Konkurrenten.
Andy Jassy – Amazons Steve Ballmer?
Viele Marktbeobachter fragen sich inzwischen: Ist Andy Jassy für Amazon das, was Steve Ballmer einst für Microsoft war – ein Manager, der das operative Geschäft solide führt, aber den großen visionären Glanz des Vorgängers nicht halten kann?
Tatsächlich steht Jassy vor einem Dilemma: AWS bleibt die Cash-Cow, aber das Wachstum hat sich zuletzt deutlich verlangsamt. Gleichzeitig verschlingen Investitionen in Logistik, Prime, Streaming und vor allem KI-Infrastruktur gewaltige Summen. Amazons Werbegeschäft boomt zwar, aber das allein kann die schwächelnde Cloud nicht kompensieren. Die KI-Offensive – etwa über Bedrock oder die Investitionen in Anthropic – wird sich erst mittelfristig auszahlen.
Fundamentale Stärke unter der Oberfläche
AWS bleibt klarer Marktführer und kontrolliert rund ein Drittel des globalen Cloud-Marktes – deutlich mehr als Microsoft Azure oder Google Cloud. Parallel dazu verbessert sich die operative Marge spürbar, vor allem dank Effizienzgewinnen in Logistik und Cloud-Infrastruktur. Auch das Werbegeschäft wächst zweistellig und reduziert damit die Abhängigkeit vom klassischen E-Commerce. Nach einer Phase hoher Investitionen fließt inzwischen wieder ein stabiler freier Cashflow, was Amazons finanzielle Basis zusätzlich stärkt.
Kurz: Das Unternehmen verdient heute deutlich mehr – und stabiler – als zu Zeiten, als die Aktie noch weit höher bewertet war. Für langfristige Investoren ist das ein klassisches Bewertungsparadoxon.
Zwischen Systemrisiko und Kaufgelegenheit
Der AWS-Ausfall zeigt eindrucksvoll, wie verwundbar die Weltwirtschaft inzwischen durch die Konzentration digitaler Infrastruktur geworden ist. Doch für Investoren ist er auch ein Signal: Amazon bleibt das Rückgrat dieser Welt. Solche Vorfälle erschüttern kurzfristig das Vertrauen – aber sie ändern nichts an Amazons strategischer Stellung.
Wenn die Aktie trotz vervielfachter Gewinne stagniert, könnte das – wie einst bei Microsoft Anfang der 2010er Jahre – eine historische Einstiegschance sein. Sollte Amazon es schaffen, seine Cloud-Sparte durch KI-Innovationen neu zu befeuern und zugleich die Margen im E-Commerce zu stabilisieren, könnte sich die Bewertung schnell normalisieren.
Der Ausfall bei AWS war ein Weckruf – technisch wie finanziell. Amazon kämpft mit einem Imageproblem an der Börse, nicht mit einem fundamentalen. Die operative Basis ist stark, die Bewertung so günstig wie lange nicht. Wer die Ballmer-Phase bei Microsoft damals verpasst hat, könnte bei Amazon heute einen zweiten Anlauf bekommen.
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