Schattenbanken in China wickeln inzwischen abenteuerlich hohe Kreditvolumina ab. Die nächste Blase droht zu platzen. Anleger sind gut beraten, sich rechtzeitig Gedanken über die möglichen Folgen zu machen. Von Michael Braun Alexander

Die Geschichte wiederholt sich nicht, lautet eine dem amerikanischen Schriftsteller Mark Twain zugeschriebene Maxime, aber sie reimt sich. Was sich aktuell in China abspielt, klingt in mancher Hinsicht wie ein Reim - ein Echo der Subprime-Krise, die 2008 in den USA eskalierte. Sie brachte zahllosen Banken den Ruin, ließ die Börsenindizes kollabieren und verursachte indirekt die europäische Schuldenkrise. Auslöser war damals ungezügelte Verschuldung, vor allem im amerikanischen Immobiliensektor. Auch das Kreditvolumen in China, der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, ist inzwischen in einem Ausmaß gewachsen, das den Begriff "Kreditblase" rechtfertigt. Damit steigen die Risiken für China erheblich - aber auch für alle anderen Märkte der Welt.

Im Mittelpunkt des seit mehreren Wochen turbulenten Geschehens stehen chinesische Schattenbanken. Gemeint sind damit vor allem die Geschäfte, die die staatlich kontrollierten Banken des Landes - viele zählen zu den größten der Welt - außerhalb ihrer Bilanzen tätigen. Eine zentrale Rolle in diesem grauen Kapitalmarkt kommt so genannten Wealth Management Trusts ("Treuhandfonds") und anderen sportlich arrangierten Wealth Management Products (WMPs) zu. Sie locken Anleger, oft vermögende Investoren und Institutionelle, zunehmend aber auch Kleinsparer, mit hohen Renditeversprechen, die typischerweise zwischen acht bis zehn Prozent jährlich liegen. Das entspricht einem Mehrfachen der aktuellen Bankzinsen in China und ruft Anleger, denen es oft an Alternativen für ihr Erspartes mangelt, auf den Plan. Das eingesammelte Kapital verleihen die Anbieter dann nach Gutdünken, wobei konsequentes Risikomanagement vernachlässigt wird. Viele Kredite gingen und gehen an Unternehmen mit schlechter Bonität und/oder schlechtem Management. So weit, so mau.

Das eigentliche Problem liegt indes woanders: Geht etwas schief, droht also ein Kreditausfall, müssten eigentlich die Investoren Verluste hinnehmen. Das ist schmerzhaft, allerdings ein normales und dem Wesen nach gesundes Ereignis an den Kapitalmärkten. Chinas Regierung fürchtet platzende Kredite jedoch aus zwei Gründen. Zum einen ziehen Ausfälle den Zorn der Sparer auf Staatsbanken und Staat nach sich und schüren Unruhe in der Gesellschaft. Zum anderen will China eine mögliche Kettenreaktion im Finanzsystem verständlicherweise im Ansatz ersticken.

Das Volumen, das die Schattenbanken in China heute abwickeln, ist abenteuerlich hoch. Während dieses Segment noch zur Jahrtausendwende eine marginale Rolle spielte, erreichte es im vergangenen Jahr eine Größenordnung von etwa 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Die Verschuldung des Privatsektors soll heute Schätzungen zufolge bei umgerechnet etwa 17 Billionen Euro stehen, wobei Zahlen und Statistiken, die aus China kommen, stets mit gesunder Skepsis zu betrachten sind. Die relative Betrachtung ist dabei genauso wichtig wie die absolute Höhe: Noch 2008 betrugen die Schulden lediglich sechs bis sieben Billionen. Die Schuldendynamik, die aus diesem Trend spricht, ist für einen kurzen Zeitraum von etwas mehr als fünf Jahren beispiellos.

Vor diesem Hintergrund überschlagen sich seit Jahresbeginn die Ereignisse. Schon Ende Januar, so die Befürchtung, hätte sich Chinas Version eines "Lehman-Moments" ereignen können. Das Anlagevehikel mit dem englischen Namen "Credit Equals Gold # 1" (auf deutsch etwa: "Kredit gleich Gold Nr. 1") war vom China Credit Trust unters investierende Volk gebracht worden. Vertrauen in diesen "Trust" war unangebracht; auch Gold spielte keine Rolle. Vielmehr wurde ein Großteil des Anlegergelds in das Energieunternehmen Shanxi Zhenfu gesteckt, bei dem es im doppelten Sinne um Kohle und prompt gen Pleite ging.

Verkompliziert wurde die Situation, weil die staatlich kontrollierte Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) mit von der Partie war. Die Bank, eine der größten der Welt, hatte das Anlageprodukt mit vertrieben. Zwar haftet sie als Vermittler im Prinzip nicht direkt, das sahen und sehen enttäuschte Anleger allerdings anders. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion, die an die Rettungsroutine im Herbst 2008 und während der heißen Phase der europäischen Schuldenkrise erinnerte, wurde das Problem schließlich "gelöst". Was genau ablief und wie, ist nicht ersichtlich. Dass die Regierung und die chinesische Notenbank die entscheidenden Rollen spielten, steht für die meisten Beobachter jedoch außer Frage. Der Staat schützte de facto Anleger, die die Risiken ihrer Investments falsch eingeschätzt hatten - was kurzfristig funktionieren mag, langfristig das Problem vergrößert. Den einen Trust retten, den nächsten aber nicht? Welcher Investor mit massiven Verlusten würde das widerstandslos hinnehmen?

Im Februar war Jilin Trust aus der gleichnamigen Provinz im Nordosten Chinas an der Reihe. Wieder ging es um Kohle, wieder in die Zahlungsunfähigkeit, und wieder hatte eine Staatsbank - diesmal die China Construction Bank (CCB) - mitgemischt. Weitere Trusts und Vermögensanlageprodukte könnten folgen. Die ehemalige Fitch-Analystin und China-Expertin Charlene Chu, seit kurzem bei Autonomous Research in New York tätig, brachte es in einer Studie mit dem Titel "China, Todesstern der Schwellenmärkte" auf den Punkt. "Es ist unausweichlich, dass wir massive Probleme in China haben werden", sagte sie dem britischen "Daily Telegraph". China könnte einen globalen "Meltdown", eine finanzsystemische Kernschmelze, auslösen.

Gemach, meinen andere China-Kenner: Das Land verfüge über beträchtliche Reserven an Devisen und Gold, weise noch immer Wachstum von deutlich mehr als sieben Prozent auf und sei finanziell und im Welthandel so stark, dass es selbst eine schwere Finanzkrise ohne katastrophale Folgen meistern könne. Das klingt nachvollziehbar. Allerdings hatten fast alle Beobachter Ähnliches vor sechs Jahren auch über die USA gesagt und die sich damals anbahnende Systemkrise ignoriert. Die Parallelen zwischen der frühen Subprime-Krise ab etwa Hochsommer 2007 und der aktuellen Situation in China sind jedenfalls frappierend: erstens großzügig verfügbare Kredite, gepaart mit einem dramatischen Schuldenanstieg in kurzer Zeit; zweitens ein Duo aus Regierung und Notenbank, das Wachstum auf Pump duldet, sogar gutheißt; drittens die Einbeziehung von staatlich direkt oder indirekt kontrollierten Finanzgiganten - in den USA Government-Sponsored Entities (GSEs) wie FreddieMac und FannieMae, in China die Staatsbanken. Eine Gemengelage, die nichts Gutes verheißt.

Anleger - auch in Deutschland - sind gut beraten, sich rechtzeitig Gedanken über die möglichen Folgen einer platzenden Kreditblase in China zu machen:

• Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würde ein solches Ereignis die chinesische Wirtschaft erheblich schwächen, die Risikoneigung von Investoren in aller Welt rapide abnehmen lassen und die Volatilität an den Märkten in die Höhe treiben. Die Liquidität - gewissermaßen das Blut im Kreislauf des Finanzsystems - könnte wie schon 2008 verschwinden, mit potenziell existenziellen Auswirkungen auf Banken und andere Finanzunternehmen.

• Aktien dürften in diesem Szenario massive Verluste erleiden. Dies gilt nicht nur für China und Hongkong sowie andere asiatische Länder wie Japan, Südkorea, Vietnam und Singapur, sondern auch für das rohstofflastige Australien und die wichtigsten Handelspartner Chinas, Amerika und Europa.

• Die Rohstoffpreise würden erheblich nachgeben. Gold wiederum, bereits seit Anfang des Jahres deutlich im Plus, könnte seine traditionelle Rolle als Krisenwährung ausspielen. Dies gilt umso mehr, als China, Unruheherd dieses Szenarios, vor kurzem Indien als weltweit wichtigsten Importeur von physischem Gold überholt hat. Mangels Alternative könnte die Nachfrage im Reich der Mitte weiter anziehen.

• Die Notierungen von Anleihen, die besonders riskant erscheinen, etwa Emerging-Market-Bonds oder hochverzinsliche Unternehmensanleihen, dürften fallen. Die besonders liquiden Marktsegmente wiederum - beispielsweise US-Treasuries und deutsche Bundesanleihen - könnten ein weiteres Mal als "sichere Häfen" dienen.

Das Platzen der Kreditblase in den USA, dessen dramatischen Höhepunkt die Lehman-Pleite am 15. September 2008 markierte, hatte gravierende Folgen, die bis heute nachwirken. Sie lief für Anleger aber insofern glimpflich ab, als die USA und Westeuropa ein weitgehend transparentes Finanzsystem und freie Medien aufweisen: Wenigstens wusste man, was geschah. China hingegen, die zweite wirtschaftliche Supermacht, operiert weitgehend intransparent, was den Schock einer finanzsystemischen Krise und die damit verbundene Verunsicherung multiplizieren könnte. Anleger tun gut daran, die Entwicklung im chinesischen Bankensystem nicht aus dem Blick zu verlieren und ihre Disposition bei einer Eskalation unverzüglich anzupassen.