Kurz nach der Jahrtausendwende sonnte sich Lars Hinrichs am Strand in Kuba - der Hamburger Jungunternehmer war gerade 25 und wollte sich von der Pleite seiner Agentur für Kommunikationsberatung erholen. Auf der Karibikinsel las er den Bestseller "The Tipping Point" des amerikanischen Journalisten Malcolm Gladwell, heute der Popstar unter den Wissenschaftsautoren, der in seinem Buch über die Macht von sozialen Netzwerken und "Konnektoren" schrieb. Das war die Initialzündung für Xing. Hinrichs: "Da ich jemand bin, der immer gern die Kontakte seiner Kontakte kennenlernt, war die Gründung einer Netzwerkplattform im Internet irgendwie logisch." Als er wieder in Hamburg war, feilte er weiter an der Idee. Eine Woche später war er beim Notar, zweieinhalb oder drei Monate später ging die Website online, und 90 Tage später war das Unternehmen profitabel. So begann 2003 die Erfolgsgeschichte von Xing. Das war ein Jahr, bevor Mark Zuckerberg das studentisch geprägte soziale Netzwerk Facebook gründete.

Heute ist Xing eine internationale Kontaktbörse mit rund 18 Millionen Mitgliedern, in der sich Geschäftsleute, Angestellte, Selbstständige, Studenten, Schüler und Arbeitssuchende vernetzen. Hinrichs war 1976 als Sohn einer Hamburger Bäckerdynastie zur Welt gekommen. Sein Urgroßvater hatte die Stadtbäckerei am Hamburger Gänsemarkt gegründet, sein Großvater das Unternehmen in den Nachkriegsjahren mit der Geschäftsidee, belegte Brötchen anzubieten, erfolgreich gemacht. Doch in das Familienunternehmen wollte Hinrichs nicht einsteigen: Brötchen zu backen interessierte ihn nicht. Er hatte schon früh ein Faible für das Internet und den Wunsch, Unternehmer zu werden, lange bevor Gründer zum neuen Traumberuf der jungen Techies werden sollte.

Mit elf Jahren hatte er seinen ersten Computer, mit 13 war er bereits im Internet - lange bevor das World Wide Web erfunden wurde. Hinrichs: "Damals hat man den Telefonhörer genommen, in ein Gerät gesteckt, das war dann quasi das Modem." Sich so per Akustikkoppler ins Internet einzuwählen, führte zu sehr hohen Telefonrechnungen, für die der Schüler selbst aufkommen musste. Er arbeitete deshalb nach der Schule im Baumarkt und fuhr Medikamente aus. Irgendwann habe er dann begriffen, dass wiederverwertbare Arbeit sinnvoller sei. Schon damals setzte er deshalb auf skalierbare Geschäftsmodelle, bei denen der Ertrag stärker steigt als der Mitteleinsatz. "Mit 14 oder 15 habe ich ein Konzept geschrieben, wie ich als Firma ins Internet komme. Mit den Tastenkombinationen Copy, Search und Replace konnte ich das dann mehrmals an verschiedene Hamburger Firmen verkaufen", verriet er in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit". Das Honorar betrug jeweils mehrere Tausend Mark. "Das meiste ging aber für die Telefonrechnung drauf."

Konzentration aufs Talent

Hinrichs skalierte auch sein Leben. Im Gymnasium wählte er als Leistungskurse Gemeinschaftskunde und Deutsch, weil in diesen Fächern mit minimalem Input maximaler Output zu holen war. An der Privatuniversität Witten/Herdecke, an der er sich später für ein BWL-Studium einschrieb, hielt er es gerade mal einen Tag aus. Er beschloss, sich in Zukunft lieber auf seine Talente zu konzentrieren, statt an der Universität Buchführung zu lernen. 1996 leistete er seinen Wehrdienst im Verteidigungsministerium in Bonn ab und half dabei, die Bundeswehr ins Netz zu bringen. Hier lernte er Peer-Arne Böttcher kennen. Zusammen starteten sie eine ursprünglich für den Wahlkampf 1998 entwickelte unabhängige Politikplattform im Netz.

Politik im Netz war damals zwar neu, aber damit verdiente der Studienabbrecher Hinrichs kein Geld. Mitten im Hype der New Economy gründete er mit seinem Freund eine Kommunikationsberatung und Softwareschmiede, die Böttcher Hinrichs AG. Als die Web-1.0-Blase platzte, war die Agentur am Ende. "Auf dem Papier waren wir schon Millionäre", erinnerte sich Hinrichs. "Doch plötzlich brach die Realität ein, der nukleare Winter für das Internet."

In Rekordzeit verbrannten die beiden Kompagnons drei Millionen Mark Risikokapital, das junge Unternehmen musste 2001 Insolvenz anmelden. Aber Hinrichs Gründerwille war ungebrochen. Er dachte an eine Internetplattform, die helfen sollte, die eigenen Kontakte untereinander zu verbinden, um das Potenzial des persönlichen Netzwerkes zu erschließen. Hinrichs investierte seine ganzen Ersparnisse (30 000 Euro) in das Unternehmen, gründete "Open BC" und stellte zehn Leute ein. Das neue Netzwerk war sofort ein Erfolg. "Wenn Sie nach 90 Tagen einen positiven Cashflow haben, ist das schon ein verdammt gutes Gefühl", sagte Hinrichs später. Für die weitere Finanzierung brauchte er Geld: Er präsentierte sein Konzept auf mehreren Business-Angel-Konferenzen und fand Investoren, die ihm die erste Million zur Verfügung stellten. Er änderte den Namen und führte Xing von einem spartanischen Großraumbüro am Hamburger Gänsemarkt aus.

Der Entschluss zum Börsengang fiel im Sommer 2006. Xing war damals mit 1,7 Millionen Mitgliedern die klare Nummer 1 der Businessportale in Deutschland. Über 90 Prozent der Aktien gingen an institutionelle Anleger. Xing war das erste Unternehmen des Web 2.0, das an die Börse ging. Beim IPO - knapp vor seinem 30. Geburtstag - habe er noch einmal viel über die Menschen gelernt, über "Gier, Neid und Missgunst", wie er der "Frankfurter Allgemeinen" sagte. Er habe gelernt, wie Menschen funktionieren und wie Menschen manipulieren, das habe ihm später bei seiner Personalpolitik geholfen: Er habe sich von Mitarbeitern getrennt, die viel reden, aber dabei nur eine Bugwelle erzeugten. Hinrichs wurde mit Auszeichnungen überhäuft: Im November 2009 verkaufte er für 48 Millionen Euro die Mehrheit seiner Beteiligung an die Burda Digital GmbH. Er gab seinen Posten als CEO ab und zog sich ein Jahr später aus dem Aufsichtsrat zurück.

Geld ist Nebensache

Sein neuestes, 35 Millionen Euro teures Projekt ist Apartimentum, ein komplett vernetztes Luxus-Smarthome in Hamburg-Rotherbaum, in dem Menschen für eine monatliche Flatrate zwischen 4000 Euro (130 Quadratmeter) und 11 500 Euro (200 Quadratmeter Penthouse) zeitlich befristet wohnen können. Seine Zielgruppe sind Manager auf Auslandsaufenthalten. Hinrichs sagt, dass der Reichtum sein Leben nicht verändert hätte. "Reichtum war nie das Ziel, Geld ist nur ein Folgeprodukt aus leidenschaftlicher Arbeit." Er trage keine teure Uhr, er habe sich keine Jacht gekauft, keine Ferienvilla. Sein Tesla sei geleast. "Ich bin keiner, der Statussymbole braucht. Ich fahre mit car2go zum Flughafen, weil das günstiger ist, als dort zu parken."