Wer eine Lebensversicherung abschließen will, muss ab Jahresbeginn in vielen Fällen geringere Garantien in Kauf nehmen. Hintergrund ist anhaltender Druck der Finanzaufsicht Bafin auf die Branche, den Kunden weniger zuzusagen, als gesetzlich möglich ist. "Wir appellieren an die Versicherer, sehr genau die Garantiehöhe abzuwägen", sagte Bafin-Chef Felix Hufeld jüngst auf einer Konferenz der "Süddeutschen Zeitung".

Bereits im August hatte die Bafin die Branche aufgerufen, ab Anfang 2021 nur noch einen sogenannten Höchstrechnungszins von 0,5 Prozent statt der gesetzlich erlaubten 0,9 Prozent anzubieten. Wer sich dagegen entscheide, betreibe möglicherweise "kein ordnungsgemäßes Risikomanagement", hieß es damals. Üblicherweise achten die Unternehmen genau auf solche Hinweise der Finanzaufsicht, um Repressalien zu vermeiden. Mit konkreten Entscheidungen der Firmen ist, wie Fachmedien berichten, allerdings erst gegen Jahresende zu rechnen.

Das Verhalten der Bafin ist ungewöhnlich. In den vergangenen Jahrzehnten wurde der Höchstrechnungszins mehrfach durch das zuständige Bundesfinanzministerium gesenkt, zuletzt Anfang 2017 von 1,25 auf 0,9 Prozent. Stets gab die Bafin lediglich eine unverbindliche Empfehlung an das Ministerium ab.

Für 2021 gibt es keinen solchen Ministeriumsbeschluss. Hufeld begründet das Vorgehen mit der Befürchtung, einige Anbieter versprächen mehr, als sie am Finanzmarkt erwirtschaften können. Die Lebensversicherer halten den Großteil ihrer Investments in festverzinslichen Papieren, deren Renditen schier ins Bodenlose sinken.

Der Höchstrechnungszins gibt an, was die Versicherer maximal zu Vertragsbeginn an jährlicher Verzinsung zusagen dürfen. Er betrifft beispielsweise die meisten Kapitallebens- und privaten Rentenpolicen und geförderte Angebote à la Riester, Rürup oder Betriebsrenten.

Sollten Kunden noch 2020 eine Police abschließen, um sich den höheren Garantiezins zu sichern? Eher nein. Denn schon jetzt bringt der Garantiezins in Wirklichkeit Verluste. Diese würden sich im neuen Jahr nur unwesentlich erhöhen. Warum, lässt sich am besten am Beispiel einer privaten Rentenversicherung erklären. Der Garantiezins bezieht sich nicht auf die gesamten Prämien, sondern nur auf den sogenannten Sparbeitrag, also auf Einzahlungen minus Kosten.

Und diese Kosten sind hoch - so hoch, dass schon heute ein durchschnittlicher Vertrag im Minus endet, wenn man nur den Garantiezins betrachtet.

Wie groß die Verluste sind, zeigen Zahlen von Partner in Life. Die Firma kauft Lebenspolicen auf und hat auf Basis dieser Verträge für BÖRSE ONLINE kalkuliert (siehe Tabelle). Ergebnis: Bei Kontrakten mit 25 Jahren Laufzeit, die eine Auszahlung von mindestens 20 000 Euro zu Vertragsende zusichern, bringt jeder eingezahlte Euro ein Minus von 0,10 Prozent pro Jahr. Bei Summen unter 20 000 Euro gibt es sogar ein jährliches Minus von 0,30 Prozent. Grund für die Differenz: Kleinere Summen sind relativ mit höheren Kosten belastet und haben zudem einen geringeren Zinseszinseffekt.

Nach einer Senkung des Garantiezinses sähe es nur unwesentlich schlimmer aus. Bei kleinen Verträgen ist ein jährlicher Verlust von 0,35 Prozent zu erwarten, bei großen Summen prognostiziert Partner in Life ein Minus von 0,30 Prozent.

Anzumerken ist: In vielen Fällen kommen während der Vertragslaufzeit variable Gewinnanteile hinzu, die jährlich fest zugesagt werden. Die sogenannte laufende Verzinsung - also Garantiezins plus Gewinnanteile - betrug zuletzt im Branchenschnitt für Neuverträge 2,23 Prozent. Bei alten Verträgen fällt die laufende Verzinsung oft weg, weil der damalige Garantiezins höher lag (siehe Tabelle).

Unabhängig von den Empfehlungen der Bafin geht die Allianz noch weiter und löst sich in der Altersvorsorge zum Jahreswechsel komplett vom jährlichen Höchstrechnungszins. Der Branchenführer bei Lebensversicherungen (Marktanteil rund 30 Prozent) garantiert bei neuen Verträgen zu Laufzeitende höchstens 90 Prozent der Einzahlungen. Nur in Ausnahmefällen werden es 100 Prozent sein. Die Allianz möchte nach eigener Aussage damit größere Freiheiten in der Kapitalanlage gewinnen und die Chancen auf höhere Renditen verbessern.

Last der Vergangenheit

Die Ratingagentur Moody’s erwartet, dass die Branche dem Beispiel der Allianz folgen wird, ohne einen Zeitraum dafür zu nennen. "Man muss sich gut überlegen, welche Garantien man anbieten kann, wenn die Zinsen auf risikolose Anlagen negativ sind", sagte der für Deutschland zuständige Analyst Christian Badorff.

Zurück zum Garantiezins: Eine Senkung könnte sich auch auf Berufsunfähigkeitspolicen auswirken, indem bei Neuverträgen die maximal möglichen Beiträge steigen. Hintergrund: Die Versicherer müssen mit den monatlichen Zahlungen auch Reserven aufbauen, die dem Garantiezins unterliegen. Je niedriger dieser ist, desto stärker müssen die Reserven aus dem zu zahlenden Beitrag gefüllt werden.

Die Reserven dienen vor allem dazu, den Beitragsverlauf in den neu kalkulierten Tarifen konstant zu halten. Der Finanzdienstleister MLP hat für BÖRSE ONLINE errechnet, dass der sogenannte Bruttobeitrag - also jene Prämienhöhe, die maximal während der Vertragslaufzeit erreicht werden darf - in Abhängigkeit von der jeweiligen Laufzeit und dem jeweiligen Berufsbild um bis zu sechs Prozent steigen könnte.

"Vergangene Zinsreduzierungen haben jedoch gezeigt, dass die Anbieter eventuelle Beitragserhöhungen durch unterschiedliche Maßnahmen abgefedert haben. Inwiefern dies für alle Marktteilnehmer nochmals möglich ist, ist schwer abzuschätzen", sagt Miriam Michelsen, Bereichsleiterin Produktmanagement Vorsorge bei der MLP Finanzberatung. Auch bei Pflegetagegeldversicherungen, etwa den staatlich subventionierten Pflege-Bahr-Policen, und bei privaten Pflegerentenversicherungen könne es zu Anpassungen kommen.