Lenzing zählt zu den weltweit bekanntesten Nischenchampions aus Österreich. Nach drei Jahren mit sinkenden Einnahmen und Renditen hat das Mitglied des Wiener Leitindex ATX die operative Trendwende geschafft. Die Ausrichtung auf biologisch abbaubare holzbasierte Spezialfasern, deren Umsatzanteil im dritten Geschäftsquartal auf 73 Prozent kletterte, beginnt sich immer mehr auszuzahlen.

Ökofasern sind der Margenkick

"Wir sind krisenfester als vor einigen Jahren", äußert sich der neue Konzernlenker Cord Prinzhorn im Interview mit BÖRSE ONLINE. Der frühere Aufsichtsrat, der aus einer bekannten Industriellenfamilie im Papiersektor stammt, übernahm im Oktober auf Interimsbasis vom langjährigen Vorstandschef Stefan Doboczky, der aus seinem bis Ende 2022 laufenden Vertrag ausschied. Im April hatte Lenzing seine Anteile am Joint Venture Hygiene Austria zurückgegeben und bilanziell abgeschrieben, nachdem publik wurde, dass die als "Made in Austria" deklarierten Mund-Nase-Masken aus China stammten.Als Produktionsstätte und Absatzmarkt spielt Asien im operativen Geschäft von Lenzing eine zentrale Rolle. Mehr als 200 Millionen Euro steckt das Unternehmen in die beiden Werke in China und Indonesien. Dort sollen ab Ende 2022 bei drastisch reduzierten CO2-Emissionen nur noch holzbasierte Spezialfasern und ökologische Spezialviskose produziert werden. Ebenfalls 2022 sollen die zwei neuen Produktionsstätten in Thailand und Brasilien den Betrieb aufnehmen - und das Umsatzwachstum beschleunigen.

Operative Topmargen wie die 16,1 Prozent von 2017 sollten bald wieder in Reichweite liegen. Wenn Lenzing im Schlussquartal wie erwartet den starken Lauf der ersten neun Monate fortgesetzt hat, sind im Gesamtjahr die 2,1 Milliarden Euro Umsatz und 122,8 Millionen Euro Nettogewinn aus dem Jahr 2019 drin. Für die nächsten zwei Geschäftsjahre erwarten die Analystenschätzungen eine Verdopplung des Konzerngewinns.

Vor diesem Hintergrund ist die Aktie günstig bewertet. Zumal der Vorstand für 2021 als Ersatz für die in den zwei Jahren zuvor ausgefallenen Dividenden eine üppige Ausschüttung von 4,35 Euro je Aktie vorschlägt. Darüber hinaus ist der Titel aus charttechnischer Sicht gerade dabei, aus seiner fast einjährigen Seitwärtsbewegung auszubrechen.

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INTERVIEW

"Bis 2024 jährlich um 40 Prozent wachsen"

Klasse statt Masse - mit diesem Leitmotiv will Lenzing die weltweit führende Position bei holzbasierten Zellulosefasern weiter ausbauen. Gegenüber BÖRSE ONLINE erläutert der neue Vorstandschef Cord Prinzhorn, wie Lenzing im aktuellen Marktumfeld langfristige Ziele umsetzen und die Aktionäre am Unternehmenserfolg beteiligen will.

Börse Online: Herr Prinzhorn, hat sich das gerade beendete Geschäftsjahr nach Ihren Erwartungen entwickelt?

Cord Prinzhorn: Wir dürfen uns über ein sehr starkes Jahr 2021 freuen. Die Nachfrage für unsere biologisch abbaubaren Spezialfasern der Marken TENCEL™, LENZING™, ECOVERO™ und VEOCEL™ entwickelte sich sehr positiv. Mit der bevorstehenden Inbetriebnahme der Anlage für Lyocellfasern in Thailand erreichen wir einen enorm wichtigen Meilenstein für uns und unser Ziel, die Textil- und Vliesstoffindustrien, welche zu den Branchen mit der höchsten Umweltbelastung zählen, nachhaltig zu verändern.

Rechnen Sie damit, dass die Viskosepreise erst einmal weiter anziehen?

Das aktuell positive Umfeld ist auch wegen des verstärkten Auftretens von Virusmutationen nach wie vor von großer Unsicherheit geprägt. Wir gehen aber weiterhin von einem steigenden Bedarf an nachhaltigen Fasern für die Textil- und Bekleidungsindustrie sowie die Hygiene- und Medizinbranche aus.

In welchen Bereichen drücken höhere Kosten auf die Erträge?

Die Energie-, Rohstoff- und Logistikkosten sind über die gesamte Berichtsperiode hinweg deutlich gestiegen. Wir rechnen in den kommenden Quartalen mit weiterem Kostendruck. Lenzing ist dagegen nicht immun, aber deutlich krisenfester als vor einigen Jahren und als viele Konkurrenzunternehmen in der Branche. Deshalb sind wir optimistisch, auch diese Herausforderungen zu bewältigen.

Was sind die wichtigsten Ziele für 2022?

Unser Fokus richtet sich auf die Fertigstellung der beiden Schlüsselprojekte in Thailand und Brasilien. Es ist das größte Investitionsprogramm der Unternehmensgeschichte.

Verzögert die Corona-Pandemie hier den ursprünglichen Zeitplan?

Die Errichtung der neuen Werke schreitet trotz der herausfordernden Entwicklungen im Kontext zu COVID-19 planmäßig voran. In Thailand werden wir voraussichtlich noch im ersten Quartal 2022 mit der Produktion unserer holzbasierten und biologisch abbaubaren Lyocellfasern der Marke TENCEL™ starten. Die Inbetriebnahme des Zellstoffwerks in Brasilien ist ebenfalls für das erste Halbjahr 2022 geplant. Mit dieser Produktionsstätte in Brasilien erhöhen wir gleichzeitig unsere Eigenversorgung mit dem für uns wichtigsten Rohstoff.

Werden hier Anlaufkosten das Ergebnis für 2022 belasten?

Beide Produktionsstätten werden auf Anhieb einen Ergebnisbeitrag liefern und dann 2024 signifikant zu unserem Ziel beitragen, ein Ebitda von 800 Millionen Euro einzufahren. Nach dem Einbruch von 326 auf 197 Millionen Euro im Jahr 2020 wollen wir bis 2024 jährlich um 40 Prozent wachsen.

Lässt sich ein solcher Ergebnissprung allein mit ökologischen Faserstoffen schaffen?

Spezialfasern sind unsere ganz große Stärke und der Bedarf an nachhaltigen Lösungen für die Textil- und Vliesstoffindustrie wächst kontinuierlich. Hier sind wir mit unseren holzbasierten Spezialfasern sehr gut in einem Marktsegment positioniert, das in den Jahren 2021 bis 2025 um fünf bis sieben Prozent und damit in etwa doppelt so schnell wie der gesamte weltweite Fasermarkt wachsen wird.

Was bedeutet das konkret in den nächsten Jahren für das operative Geschäft?

Mit der neuen Lyocellanlage in Thailand und den beträchtlichen Investitionen an den Standorten in China und Indonesien werden wir den Anteil der Spezialfasern am Gesamtumsatz bereits 2023 auf deutlich über die angestrebten 75 Prozent steigern. Zugleich erhöhen wir dank des neuen Zellstoffwerks in Brasilien die Eigenversorgung mit dem für uns wichtigen Rohstoff.

Wie setzt Lenzing ökologische Kriterien in der eigenen Produktion um?

Lenzing hat sich klar zur Nachhaltigkeit in seinem Marktumfeld verpflichtet. Das zeigt sich beispielsweise am Ziel, die Treibhausgasemissionen pro Tonne Faser bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren.

Und wie arbeitet Lenzing daran, auch den ökologischen Fußabdruck bei Kunden und Partnern zu verkleinern?

Von unserer firmeneigenen Recyclingtechnologie erhoffen wir uns eine Menge, weil sich unsere Zielmärkte, die Textil- und Vliesstoffindustrien, von einem linearen Modell hin zur Kreislaufwirtschaft bewegen müssen. Bei uns fällt darunter die geplante Erweiterung der Kapazitäten für die Zellstoffgewinnung aus Alttextilien. Ziel ist es, 25 000 Tonnen Textilabfälle pro Jahr bis 2025 verarbeiten zu können. Mit unseren Partnern sind wir hier die absoluten Vorreiter am Markt.

Die Lenzing-Aktionäre können sich für 2021, auch durch Nachholeffekte zu den Jahren 2019 und 2020, auf eine schöne Dividende freuen. Welcher Anteil am Konzerngewinn kommt in Zukunft den Aktionären zugute?

Unsere Dividendenpolitik wird auch in Zukunft weiterhin darauf ausgerichtet sein, bis zu 50 Prozent des Nettogewinns als Dividenden auszuschütten.