Als leidenschaftlicher Radfahrer kennt Enel-Chef Francesco Starace neben steilen Anstiegen auch Abfahrten. Gern erkundet er das hügelige Umland der Hauptstadt Rom. Doch eine solche Abfahrt wie in der Coronavirus-Pandemie hat auch der zu 23,6 Prozent staatliche Stromerzeuger Enel, eines der wenigen Schwergewichte an der italienischen Börse, noch nicht erlebt.

Italien ist eines der am stärksten von der Krise betroffenen Länder. Über Wochen hinweg hat die Regierung das öffentliche Leben und die Wirtschaft streng heruntergefahren. Es galten strikte Ausgangssperren, selbst Spazierengehen war zeitweise verboten. Zwischen Mitte Februar und Mitte März brach das italienische Börsenbarometer MIB um rund 40 Prozent ein. Enels Marktkapitalisierung, die im Februar bis zu 85 Milliarden Euro erreicht hatte, ist auf etwa 63 Milliarden gefallen.

Langsame Lockerung

Nun werden die Beschränkungen schrittweise gelockert. Die meisten Unternehmen produzieren wieder. Im Lauf des Monats öffnen fast alle übrigen Betriebe, auch Restaurants. Einige Regionen preschen dabei besonders voran. Vom Hochfahren der Produktion wird auch Enel profitieren.

Analysten jedenfalls bleiben bei ihrer positiven Einschätzung. Deutsche Bank, UBS, HSBC und Goldman Sachs haben zuletzt ihre Kaufempfehlungen erneuert, mit Kurszielen zwischen 7,20 und 7,90 Euro. Aktuell steht die Aktie bei etwas über sechs Euro. Goldman-Analyst Alberto Gandolfi erwartet ein beschleunigtes Gewinnwachstum in der zweiten Jahreshälfte. Adam Dickens von HSBC hebt die "defensive Qualität, das Wachstum und die sichere Dividende" hervor.

Die Ergebnisse für das erste Quartal sind ermutigend (siehe Investor-Info). Analysten schätzen es, dass CEO Starace stets klare Ziele ausgibt und diese regelmäßig übererfüllt. Der gebürtige Römer hat seit seinem Amtsantritt 2014 das Ruder komplett herumgerissen und konsequent auf die Produktion erneuerbarer Energien umgesteuert. "Bis 2030 wollen wir die CO2-Emissionen pro Kilowattstunde auf 125 Gramm halbieren. Dabei halten wir uns an die von der UNO angestoßenen Ziele der Science Based Target Initiative, die darauf abzielt, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen", sagt Starace im Gespräch mit €uro am Sonntag.

Die Krise hilft Enel möglicherweise dabei, die angepeilten Ziele schneller zu erreichen als geplant. Zum Ende des ersten Quartals übertraf die installierte Kapazität erneuerbarer Energiequellen erstmals die 50 Prozent. Während die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien um zwölf Prozent wuchs, ging die Produktion aus fossilen Energieträgern drastisch zurück, die aus Kohlekraftwerken brach um 80 Prozent ein. Der Anteil der Produktion aus Wasser, Wind, Sonne und Erdwärme erhöhte sich gegenüber dem Vorjahr von 53 auf 65 Prozent.

Neuester Stand der Technik

"Atomenergie, auch Kohlekraftwerke, große Wasserkraftprojekte und teilweise auch gasbetriebene Anlagen haben keine Zukunft", glaubt Starace. Ende 2019 hat der Stromproduzent Abschreibungen von vier Milliarden Euro für Kohlekraftwerke vorgenommen. Enel investiert nur noch in Projekte, deren Realisierung nicht mehr als drei Jahre dauert. Die technische Entwicklung habe sich dermaßen beschleunigt, dass es darüber hinaus keinen verlässlichen Planungshorizont gebe und die Risiken damit zu groß seien. In der Vergangenheit hätten Staaten in die Atomenergie investiert oder entsprechende Garantien übernommen. "Das ist heute nicht mehr denkbar und für Privatunternehmen lohnt es sich ökonomisch nicht mehr, in diesen Sektor zu investieren", argumentiert der Nuklearingenieur streng wirtschaftlich.

"Diese schnelle Ausführung erlaubt es uns, flexibel zu sein und sehr rasch auf Veränderungen zu reagieren", hebt Starace, der seit 20 Jahren für Enel arbeitet, hervor. Enel setzt auf kleinere und dezentrale Öko-Anlagen, die Energie vor allem aus Sonne und Onshore- Windanlagen erzeugen. Mit einer installierten Kapazität von 46 Gigawatt, die bis 2022 auf 60 Gigawatt steigen soll, ist das Unternehmen der global größte private Produzent von erneuerbaren Energien und mit 73 Millionen Endkunden in mehr als 30 Ländern der größte private Energielieferant weltweit. Bei der Expansion bevorzugt das Unternehmen organisches Wachstum, schließt Übernahmen aber nicht generell aus, und nimmt neben Indien, Australien oder Vietnam auch Afrika ins Visier.

Beschleunigt hat Enel auch den Aufbau einer Ladeinfrastruktur für Elektroautos. Die Zahl der Ladepunkte in Europa im öffentlichen und privaten Raum soll bis 2022 von 82.000 auf 736.000 steigen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Spanien, Italien und Rumänien. Und über die 50-prozentige Tochter Open Fiber investieren die Italiener auch in ultraschnelle Breitbandnetze. Gerüchte über einen Verkauf dieses Anteils an Telecom Italia weist Starace zurück: "Wir sind mit unserer Beteiligung an Open Fiber sehr zufrieden und wollen jetzt auch in anderen Ländern in Glasfasernetze investieren, vor allem in Südamerika. Wir sehen in diesem Engagement Synergien und haben keinerlei Absicht, uns von der Beteiligung an Open Fiber zu trennen, deren Wert deutlich gestiegen ist."

Durch die hohen Investitionen sind die Schulden auf 47 Milliarden Euro gestiegen. Dennoch sind die Refinanzierungskosten für neue Anleihen gesunken, "weil wir sehr viel mehr Cash generieren. Wir haben sehr verlässliche und vorhersehbare Einnahmen. Hätten wir Projekte, die erst in zehn Jahren Einnahmen bringen, wäre das anders. Die Visibilität für Investoren ist außergewöhnlich und unsere Prognosen zur Gewinnentwicklung sind sehr zuverlässig", meint Starace.

Bekenntnis zu UN-Zielen

Auch bei der Finanzierung ist Enel neue Wege gegangen. Nachdem zunächst Green Bonds ausgegeben wurden, hat das Unternehmen 2019 sogenannte SDG-Anleihen aufgelegt, deren Zinssätze an die Einhaltung der von der UN definierten Ziele zu einer nachhaltigen Entwicklung geknüpft sind. "Das ist ein sehr innovativer Ansatz. In diesem speziellen Fall verpflichten wir uns, bis Ende 2021 unsere Produktionskapazitäten zu 55 Prozent CO2-frei zu haben und unsere Emissionen bis 2030 auf 125 Gramm CO2 pro Kilowattstunde zu senken. Schaffen wir das nicht, zahlen wir mehr Zinsen. Wir werden auf diesem Weg weitergehen", sagt Starace dazu.

Die Regierung hat sein Mandat gerade um drei Jahre verlängert. Der Lazio-Rom-Fan will - nicht nur mit dem Fahrrad - noch viele Gipfel erklimmen. 3.000 Kilometer hat er 2019 geschafft. "Zu wenig", findet er.
 


INVESTOR-INFO

Enel

Starke Ausgangsposition

Zwar sind die Einnahmen des weltweit agierenden Energiekonzerns im ersten Quartal wegen des deutlich niedrigeren Energieverbrauchs in der Wirtschaft um 12,2 Prozent auf 19,9 Milliarden Euro gesunken. Doch der Bruttobetriebsgewinn (Ebitda) stieg um 6,4 Prozent auf 4,7 Milliarden Euro. Unter dem Strich stand ein Gewinn von 1,3 Milliarden Euro, elf Prozent mehr als in der gleichen Vorjahresperiode. CFO Alberto De Paoli sprach in einer Telefonkonferenz von einem "begrenzten Effekt von Covid-19 in allen Regionen", der "beherrschbar" sei. Die Liquidität ist mit 25,9 Milliarden Euro hoch. Enel will bei der Dividende an der Pay-out-Quote von 70 Prozent festhalten. Die Dividendenrendite liegt bei rund fünf Prozent. Attraktives Chance-Risiko-Verhältnis.



Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 7,90 Euro
Stoppkurs: 5,10 Euro

Fidelity Europ. Dyn. Growth

Kraftvolle Entwicklung

Aufgrund der problematischen Staatsverschuldung kommt der italienische Markt seit Jahren nicht auf die Beine. Ein reiner Italien-Fonds ist Anlegern deshalb nicht zu empfehlen. Europa-Fondsmanager schätzen einzelne Titel aus dem Land durchaus, doch haben sie mit dem europäischen Anlageuniversum einfach mehr Auswahlmöglichkeiten. Das schlägt sich in einer deutlich besseren Performance gegenüber Italien-Portfolios nieder. Fidelitys European Dynamic Growth investiert in Bluechips und mittelgroße europäische Unternehmen, aktuell stammt der größte Teil davon aus Großbritannien und Deutschland. Mit Novo Nordisk, Roche und der spanischen Grifols zählen drei Gesundheitsfirmen zu den zehn größten Positionen, auch Industrie- und IT-Werte sind hoch gewichtet. Fondsmanager Fabio Riccelli zählt auf Sicht von drei, fünf und zehn Jahren zu den erfolgreichsten in der Kategorie Aktienfonds Europa. Sein Portfolio erhält deshalb im Fondsrating von €uro am Sonntag die Bestnote 1.