DAS IST LOS BEI LINDE:

Linde ist seit der Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair 2018 der weltgrößte Anbieter von Industriegasen. Der Konkurrent der französischen Air Liquide beliefert die Auto-, Öl-, Chemie- und Metallindustrie genauso wie Lebensmittelhersteller und Krankenhäuser. Den Löwenanteil der Umsätze und Gewinne erwirtschaftet Linde in der Region Amerika, rund 25 Prozent der Erlöse kommen aus Europa und knapp 20 Prozent aus Asien.

Durch die Corona-Krise ist Linde bislang gut gekommen. Im ersten Quartal machte der Konzern mehr Gewinn und erhöhte das Ertragsziel für das Gesamtjahr 2021. Vor allem profitiert das Unternehmen von einer hohe Nachfrage aus der Gesundheits- und Elektronikindustrie sowie zyklischen Branchen. Linde habe dank der Widerstandsfähigkeit des Geschäftsmodells und der wirtschaftlichen Erholung erneut hervorragende Ergebnisse erzielt, sagte Unternehmenschef Steve Angel bei Vorlage der Zahlen zum ersten Quartal. Mit Blick auf die Zukunft ist der Manager zuversichtlich, dass das Unternehmen auch in den kommenden Jahren einen bedeutenden Wert für seine Aktionäre schaffen wird.

Für 2021 peilt Linde einen um Sondereffekte bereinigten Gewinn je Aktie von 9,60 bis 9,80 US-Dollar an. Das sei ein Anstieg im Jahresvergleich um 17 bis 19 Prozent, hieß es. Für das zweite Quartal kalkuliert das Management mit 2,50 bis 2,55 US-Dollar. Dabei sollen sich Wechselkurseffekte eher positiv auswirken.

Der ehemalige Praxair-Chef Angel führt Linde nach US-Stil: Das Unternehmen schüttet jedes Quartal eine Dividende aus und bilanziert in Dollar. Zudem startete der Konzern Anfang des Jahres ein neues Aktienrückkaufprogramm. Der Konzern will bis Mitte 2023 Papiere für bis zu fünf Milliarden Dollar erwerben. Zudem gehört Angel zu den Dax-Chefs mit dem höchsten Gehalt.

Seit dem Zusammenschluss trimmt Angel den Konzern auf Profitabilität. Dies kam Linde auch 2020 zugute. Allein im Gasegeschäft habe sich die Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland seit August 2018 über Freiwilligenprogramme und nicht wieder besetzte Stellen von knapp 3900 auf knapp 2700 reduziert, hieß es aus Arbeitnehmerkreisen. Nun sollen weitere 500 Arbeitsplätze in Deutschland bis Ende 2022 gestrichen werden. Zuvor hatte die "Wirtschaftswoche" darüber berichtet. Weltweit beschäftigte Linde plc Ende März 2021 rund 72 000 Mitarbeiter das waren 9 Prozent weniger als noch im Vorjahreszeitraum.

Derweil will der Linde-Chef künftig das Geschäft mit Wasserstoff deutlich ausbauen. Der Konzern erzielt laut Angel schon heute mehr als zwei Milliarden Dollar Umsatz mit Produktion, Vertrieb, Speicherung und Anwendung von Wasserstoff. "Und angesichts der erwarteten Investitionsvorhaben von mehr als 100 Milliarden Dollar denke ich, dass sich unser Wasserstoffgeschäft in Zukunft vervierfachen könnte", sagte er vor einigen Monaten. Gerade bei großen Transportmitteln wie Lastwagen, Zügen, Fähren und Bussen werde sich Wasserstoff zuerst durchsetzen.

Linde baut auch schon für eine Zeit ohne Angel als Chef vor. Wenn alles gut läuft, könnte Vorstandsmitglied Sanjiv Lamba in rund einem Jahr den Chefsessel übernehmen, schrieb das "Handelsblatt" vor ein paar Monaten unter Berufung auf mit der Sache vertraute Personen. Lamba, der bereits vor der Fusion mit Praxair bei Linde im Vorstand saß, leitet seit Januar das operative Geschäft. Wenn er Linde-Chef wird, dürfte Angel Verwaltungsratschef werden.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Die meisten Branchenexperten sind mit Blick auf die Linde-Aktie positiv gestimmt. Von den von dpa-AFX seit Mai 13 erfassten Experten empfehlen 11 die Aktie zum Kauf. 2 Analysten sprechen sich dafür aus, die Papiere zu halten. Kein Experte rät zum Verkauf.

Linde wies im ersten Quartal den stärksten Ergebniszuwachs im Jahresvergleich seit Beginn der Integration aus, schrieb Analyst Peter Clark von Societe Generale. Zugleich habe das Unternehmen die Prognose deutlicher als erwartet angehoben. Linde plc vereine das Beste von Praxair und der Linde AG. Zudem habe COVID-19 dazu beigetragen, dass Linde seine Hochleistungskultur beschleunigt habe. Er sehe noch viel mehr Potenzial und keinen strukturellen Grund, warum die Ebit-Margen und Renditen in Europa (EMEA) und Asien-Pazifik (APAC) nicht mit denen in Amerika mithalten können sollten.

Analyst Markus Mayer von der Baader Bank erwartet ein starkes zweites Jahresviertel des Gaseherstellers. Das Ergebnis je Aktie dürfte leicht über der Konsensschätzung herauskommen und in der zweiten Jahreshälfte sollte das Aufwärtspotenzial sogar noch größer sein. Die Jahresziele könnten womöglich erneut angehoben werden. Auch Analyst Andreas Heine vom Investmenthaus Stifel sieht aufgrund des Geschäftstrends im zweiten Quartal Spielraum für einen besseren Ausblick. Er rechnet bei der Aktie mit einer weiter soliden Entwicklung, aber mit weniger Schwung als im ersten Halbjahr.

2021 dürfte für die Chemiebranche trotz der gestiegenen Rohstoffpreise ein starkes Jahr werden, schrieb Analyst Andrew Stott von der schweizerischen Großbank UBS in einer Branchenstudie. Investoren hätten dies aber schon vorweg genommen, was sich auch an den dürftigen Kursreaktionen auf Eckdaten von BASF, Covestro oder Wacker gezeigt habe. Hersteller von Industriegasen wie etwa Linde hätten aber das Zeug dazu, das breite Wirtschaftswachstum weiter zu übertreffen.

SO LIEF DIE AKTIE ZULETZT:

Im Zuge des Corona-Crashes musste die Linde-Aktie 2020 bis Mitte März kräftig Federn lassen. Innerhalb weniger Wochen knickte ihr Kurs um gut 37 Prozent auf rund 130 Euro ein. Doch der Einbruch ist schon längst Geschichte. Nachdem sich vor allem die Industrieunternehmen schneller als erwartet von den Folgen der Pandemie erholt haben, legte die Linde-Aktie wieder mit kleinen Rückschlägen kräftig zu und kletterte jüngst von einem Rekordhoch zum nächsten.

Zuletzt kostete die Aktie rund 252 Euro und damit fast doppelt so viel wie beim Corona-Tief 2020. Die Anteile von Linde Plc legten seit dem Abschluss der Fusion Ende Oktober 2018 um etwas mehr als 70 Prozent zu. Sie knüpften mit ihrer Entwicklung bisher nahtlos an die Gewinne der Anteile an der Linde AG an. Diese hatten sich seit dem Sommer 2016, als die beiden Unternehmen zum ersten Mal über einen Zusammenschluss gesprochen hatten, um fast 40 Prozent verteuert.

Linde ist mit einem Börsenwert von derzeit gut 130 Milliarden Euro nach dem Softwarekonzern SAP (SAP SE) (148 Mrd Euro) die Nummer zwei im Dax, vor dem Autokonzern Volkswagen (Volkswagen (VW) vz) (125 Mrd Euro), Siemens (113 Mrd Euro) und Allianz (87 Mrd Euro). Der französische Konkurrent Air Liquide kommt derzeit nur auf einen Börsenwert von knapp 71 Milliarden Euro.

Mitte August 2016 - also vor den ersten Berichten über eine Fusion mit Praxair - kam Linde gerade mal auf etwas mehr als 25 Milliarden Euro Börsenwert und lag damit noch in der unteren Hälfte des deutschen Leitindex.

dpa-AFX