Gleich zu Beginn der Online-Hauptversammlung warnte Lufthansa-Vorstandschef Carsten Spohr vor dem Verlust des Aktienkapitals bei Ablehnung der Staatshilfe. Mehrere Alternativen seien geprüft worden, und schließlich sei die zuletzt ausgehandelte wohl die beste. Auch Aufsichtsratschef Karl-Ludwig Kley wies während der Sitzung ganz klar darauf hin: "Wir haben kein Geld mehr." Nur mit Krediten, Einlagen und dem Einstieg des Staates bei der Lufthansa sei die Zahlungsunfähigkeit abzuwenden.

Letztlich entschieden sich auch die Aktionäre für eine Staatsbeteiligung. Etwas mehr als 98 Prozent stimmten dafür. Wichtig war vor allem, dass der Großaktionär Heinz Hermann Thiele mit seinem 15-Prozent-Paket dem Rettungsplan zustimmte. Er geht davon aus, dass die Sanierung fünf bis sechs Jahre dauert. Thiele fordert harte Einschnitte und mehr Mitbestimmung.

Der Kursverfall der Aktie dürfte nach einem Zwischenhoch zuletzt allerdings noch immer nicht gestoppt sein. Zunächst einmal werden durch den Einstieg des Staats die Anteile der Altaktionäre verwässert. Unter Ausschluss des Bezugsrechts erwirbt Deutschland eine direkte Beteiligung über 20 Prozent zum Nennwert von 2,56 Euro. Ob das mit der Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO beschlossene Sparpaket ausreicht, um den Kranich aus der Krise zu fliegen, ist fraglich. Bis Ende 2023 könnten mehr als 500 Millionen Euro durch Verzicht auf Lohnerhöhungen und weniger Flüge eingespart werden. Dennoch: "Eine schnelle Erholung ist nicht absehbar", warnte Spohr. Pro Monat verbrennt die Lufthansa aktuell 800 Millionen Euro.

420 Milliarden Umsatz futsch

Turbulenzen sind Fluggäste gewohnt, auch Aktionäre mussten in der Vergangenheit immer wieder feststellen, dass ein Engagement in Airlines mit einem hohen Risiko verbunden ist (siehe Chart). Dass die Situation aber derartig eskaliert, damit rechnete kaum jemand. Einen solchen Schock hat die Luftfahrtbranche bislang noch nicht erlebt. Die Pandemie reißt tiefe Löcher in die Bilanzen. Nahezu alle Länder schlossen die Grenzen, um das Virus einzudämmen, Flugzeuge bleiben am Boden. So geht die International Air Transport Association (IATA) davon aus, dass Fluggesellschaften weltweit in diesem Jahr rund 420 Milliarden Dollar an Umsatz verlieren - 37,54 Dollar pro Passagier. Laut Dachverband ging der Flugverkehr im April gegenüber dem Vorjahresmonat um 98 Prozent zurück. "Finanziell gesehen ist es das schlimmste Jahr in der Historie der Luftfahrt", sagt IATA-Chef Alexandre de Juniac.

Sämtliche Unternehmen buhlen um Liquidität. Die Lufthansa bekommt neun Milliarden Euro, unter anderem durch die Unterstützung des Staates. Air France-KLM erhält gleich aus zwei Ländern Hilfe, aus Frankreich und den Niederlanden. Aus Paris kommen sieben Milliarden, Den Haag schießt über kommerzielle Programme und Direkthilfen noch mal 3,4 Milliarden Euro zu. Selbst die marode Alitalia wird von der italienische Regierung unterstützt: Sie will der seit drei Jahren insolventen Flugfirma 350 Millionen Euro zuschießen. Zudem bereitet Rom eine staatliche Kapitaleinlage über drei Milliarden Euro für eine neue Gesellschaft vor.

Am Markt könnten die staatlichen Hilfen zu Wettbewerbsverzerrungen führen, da zumindest bislang einige andere Airlines ohne Unterstützung auskommen. So sieht das jedenfalls Michael O’Leary, Chef des irischen Billigfliegers Ryanair: Er kündigte an, gegen die Staatsbeteiligungen klagen zu wollen. "Wenn es ihnen schlecht geht, soll die Regierung sie rauspauken. British Airways, Iberia, Ryanair oder Easyjet bekommen doch auch keine Unterstützung von der Regierung. Das verzerrt den Wettbewerb in Europa", sagte er vor Kurzem in einem Interview. Allerdings sind die Hilfen auch an eine Reihe von Bedingungen geknüpft: So müssen etwa wichtige Start- und Landerechte an Wettbewerber abgegeben werden - Ryanair ist ein Kandidat, die Rechte zu übernehmen.

Airline-Aktionäre mussten kräftige Kursverluste hinnehmen. Der vom Datendienst Bloomberg errechnete Airline-Index, der die Wertentwicklung von 28 internationalen Fluggesellschaften abbildet, hatte sich auf dem Tiefpunkt der Krise mehr als halbiert. Wahre Kurskapriolen müssen auch die Anteilseigner der Lufthansa verkraften: Aktuell notiert der Titel bei 8,72 Euro, weitere Verluste sind durchaus denkbar.

Inzwischen richten sich die Blicke aber wieder nach vorn, und auf den Flughäfen tut sich was: Die Airlines bereiten sich auf den Neustart vor. Die Lufthansa erweitert ihren radikal gekürzten Flugplan vor allem um Sommerziele. Vereinzelt bietet sie aber auch wieder internationale Langstreckenflüge an. Einmal pro Woche geht es etwa von Frankfurt nach Shanghai. Der Plan ist, bis Ende September 90 Prozent der Kurz- und Mittelstreckenziele sowie 70 Prozent der Ferndestinationen wieder aufzunehmen. Ein durchaus ambitioniertes Ziel.

Auch Ryanair hat angekündigt, den Betrieb ab Juli wieder hochzufahren. Die Iren setzen weiterhin darauf, die Passagiere günstig zu transportieren. Dafür sollen Mitarbeiter auf Gehalt verzichten. Und auch von kleineren und mittleren Flughäfen erwarten sie, dass es besonders günstige Konditionen gibt. Letztlich erhofft sich Firmenchef O’Leary, auch die bei Boeing bestellten Maschinen vom Typ 737 Max günstiger zu bekommen.

Was für Billigflieger spricht

So könnten es die Anbieter von Billigflügen sein, die aktuell von den Lockerungen profitieren. Neben Ryanair sind das etwa die ungarische Wizz Air und die britische Easyjet. Sie punkten vor allem, weil in Südeuropa immer mehr Destinationen wieder öffnen. Urlaubsländer wie Spanien, Portugal, Griechenland oder Italien können angeflogen werden. Allerdings geht die Rechnung nur dann auf, wenn die Kunden wieder ins Flugzeug steigen. Dazu ist nicht jeder bereit, der das früher bedenkenlos tat (siehe Grafik Seite 20).

Dank niedriger Kosten und schlanker Strukturen zählt Ryanair zu den Favoriten. Großer Vorteil: Die Airline verbrennt deutlich weniger Geld pro Monat. Nach Angaben von Morgan Stanley verliert das Unternehmen aktuell bei einem Cashbestand von 3,8 Milliarden 250 Millionen Euro pro Monat. Im Vergleich etwa zur Lufthansa ist das sehr wenig. Das liegt vor allem an der deutlich geringeren Kostenstruktur in sämtlichen Bereichen. Den Iren könnte es gelingen, durch die Schwäche anderer Fluggesellschaften weitere Marktanteile dazuzugewinnen.

Im Vergleich dazu hat der britische Wettbewerber Easyjet etwas weniger Mittel zur Verfügung - aktuell reicht die Liquidität für ein neunmonatiges Startverbot. Um sich ein Polster zu verschaffen, zapfte die Airline zuletzt den Markt an und holte sich über eine Kapitalerhöhung 460 Millionen Euro. Ähnlich schlank aufgestellt ist der ungarische Billigflieger Wizz Air. Die Hauptrouten liegen in Osteuropa. Die Airline fliegt 25 Flughäfen an und bietet rund 600 Strecken. Jedoch ist diese Aktie etwas spekulativer, auch weil Wizz Air nicht so etabliert ist wie etwa Ryanair. In der Krise musste der Aktienkurs Federn lassen.

Viel hängt davon ab, ob die Airlines mit ihren Konzepten potenzielle Fluggäste überzeugen können. Eigentlich müsste in den Fliegern ein Mindestabstand gewahrt werden, was jedoch die Auslastung mindern würde. Kritisch sehen Virologen auch Warte- und Ankunftsbereiche. Für die Urlaubssaison rechnet Ryanair bestenfalls mit der Hälfte der ursprünglich geplanten Passagierzahl. Die Lufthansa plant, für September 40 Prozent der geplanten Kapazitäten anbieten zu können.

Die Krise ist mit dem Neustart also längst nicht überwunden. Interkontinentalreisen, die für die großen Gesellschaften so wichtig sind, werden für längere Zeit die Ausnahme bleiben. Analyst Dirk Schlamp von der DZ Bank geht davon aus, dass die Branche erst 2023 oder 2024 wieder das Vorkrisenniveau erreichen wird.

Verlierer sind die Premium-Airlines

Die Pandemie legt die strukturellen Schwächen der Branche offen: Das Geschäft ist zyklisch, die Margen sind selbst in guten Zeiten niedrig. Die großen Verlierer sind die Netzwerk-Airlines, die auch Zubringer- und Anschlussflüge bieten. In Europa sind das vor allem die Lufthansa und Air France-KLM. Wenn überhaupt, bietet sich bei der französisch-niederländischen Airline ein Bonuszertifikat an. Das Problem für beide: Um profitabel zu arbeiten, müssten sie die Preise anheben. Doch weil der Konkurrenzdruck so hoch ist, dürfte dies nicht möglich sein. Dazu kommt, dass weniger Geschäftskunden First Class oder Business fliegen. Ob dieses Geschäft in gewohnter Zahl zurückkommt, ist fraglich. Mittlerweile gewöhnen sich Mitarbeiter daran, weniger zu reisen und sich stattdessen über Videokonferenzen auszutauschen.

Der Flugbranche stehen noch viele Hürden im Weg. Auch Investorenlegende Warren Buffett hat sich mit seinen Airline-Investments zuletzt verhoben und im Zuge der Corona-Krise sämtliche Beteiligungen an US-Fluggesellschaften abgestoßen.