Am Anfang steht eine Revolution: Fast 150 Jahre war es im Bayer-Konzern üblich, dass sich Spitzenmanager in den eigenen Reihen nach oben arbeiteten. Dann kommt der 15. September 2009. Der Aufsichtsrat beruft den Niederländer Marijn Dekkers als neuen Vorstandsvorsitzenden. Dekkers? Viele im Konzern hören den Namen an diesem Tag zum ersten Mal. Und keiner ahnt, wie sehr der erste von außen geholte Bayer- Chef den Konzern verändern wird.

Heute kann Dekkers eine eindrucksvolle Bilanz vorweisen: Der Konzernumsatz ist in den Jahren 2010 bis 2014 von 35 auf rund 42 Milliarden Euro geklettert, die Dividende wuchs Jahr für Jahr mit. Mittlerweile ist Bayer nach Börsenwert sogar zum wertvollsten Unternehmen im DAX aufgestiegen. Nicht nur deshalb ist Marijn Dekkers für den Finanzen Verlag und die Leser der Publikationen "€uro am Sonntag", "€uro" und "Börse Online" der Unternehmer des Jahres. Auch die Art, wie Dekkers Bayer verändert hat, beeindruckt - mit ruhiger Hand und Blick für die langfristigen Perspektiven des Konzerns, seiner Angestellten und der Aktionäre.

Auf Seite 2: Evolution statt Revolution



Das ist das Motto, das Dekkers in Leverkusen ausgibt. Bevor er tatsächlich den Chefposten übernimmt, erkundet er 2010 als Vorstandsmitglied der AG und Chef der Gesundheitssparte HealthCare zunächst für einige Monate das Innenleben des Konzerns. Er bereist Bayer-Standorte in der ganzen Welt, spricht mit Entscheidungsträgern. Vieles ist ihm vertraut: Als Chemiker ist Dekkers ein Mann vom Fach. In der Forschungszentrale des Industriegiganten General Electric in New York hat er bereits früh die Strukturen eines Großkonzerns kennengelernt, als Chef des USLaborausrüsters Thermo Fischer Scientiic Geschäfte mit Bayer gemacht. Jedes Unternehmen aber hat seine Besonderheiten. Stärken, Schwächen, Sensibilitäten.

Was Dekkers in Leverkusen vorfindet, ist ein Konzern im Umbruch, aber einer mit einem starken Fundament. Vorgänger Werner Wenning hatte Bayer nach dem Skandal um den Cholesterinsenker Lipobay neu aufgestellt - das Spezialchemie-Geschäft unter dem Namen Lanxess ausgegliedert, den Pharmabereich durch die Übernahme von Schering gestärkt.

Dennoch fehlte Bayer eine zündende Story für die Kapitalmärkte. Er sei überzeugt gewesen, dass Bayer eine sehr gute Forschung habe - zum Teil habe aber die Fähigkeit gefehlt, daraus gute Produkte zu entwickeln, die dann auch erfolgreich verkauft werden, sagte Dekkers später in einem Interview. Dass Dekkers als Manager viele Jahre in den USA verbracht hat, kommt da sehr gelegen. Vor allem im Pharmageschäft, dem wichtigsten Geschäftsbereich von Bayer, sind Tempo und Überzeugungskraft wichtig, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen.

Auf Seite 3: Ein komplexer Konzern



Mit weltweit über 100.000 Mitarbeitern und drei großen Geschäftsfeldern lässt sich Bayer aber nicht geräuschlos beschleunigen. Wer mehr Ressourcen in die Entwicklung und Vermarktung neuer Produkte investieren will, muss an anderer Stelle sparen. Mehr Innovation, weniger Administration bedeutet deshalb zunächst auch - weniger Arbeitsplätze. Im November 2010, keine zwei Monate nachdem er offiziell den Chefposten übernommen hat, kündigt Dekkers den Abbau von 4500 Jobs an, 1700 davon in Deutschland. Plötzlich gilt er als der "brutale Macher", der die Belegschaft verprellt. Dabei holt der neue Chef nur nach, was andere Pharmakonzerne bereits durchgezogen haben.

Die gesamte Branche befindet sich im Umbruch, weil Generikahersteller immer aggressiver billige Nachahmerprodukte auf den Markt bringen, sobald der Patentschutz eines Wirkstoffs ausläuft. Was Dekkers-Kritiker übersehen: Bayer streicht nicht nur Jobs - es werden auch neue geschaffen. 2500 werden vor allem in den Schwellenländern aufgebaut, die für Bayer als Absatzmarkt immer wichtiger werden.

Was schon damals auffällt: Im Mittelpunkt stehen die beiden größten Konzernbereiche - die Gesundheitssparte Healthcare und die Agrarsparte Crop-Science. Es gibt aber noch Material- Science, die Kunststoffsparte. Die Margen sind dort niedriger als in den beiden anderen Konzernbereichen.

Immer wieder gibt es Gerüchte, dass Bayer MaterialScience verkaufen will. Doch in diesem Punkt gibt es zunächst keine erkennbare Bewegung. Erfolgsmeldungen kommen derweil aus dem Pharmageschäft. Dort machen sich die Veränderungen bezahlt, die Dekkers eingeführt hat. Der Gerinnungshemmer Xarelto, das wichtigste neue Produkt, spielt 2014 bereits in den ersten neun Monaten über eine Milliarde Euro ein. Der Umsatz des Pharmageschäfts steigt im selben Zeitraum währungsbereinigt um fast zwölf Prozent.



Auf Seite 4: Der Nachschub ist gesichert

In Bayers Pharmasparte wird derzeit an 57 neuen Projekten gearbeitet. 18 davon befinden sich in der dritten und damit entscheidenden Phase der klinischen Entwicklung - die Pharma-Pipeline der Leverkusener halten Analysten daher für eine der attraktivsten der Branche. Damit das so bleibt, investiert Bayer verstärkt in Forschung und Entwicklung. Unter Dekkers sind die Aufwendungen der beiden Hauptsparten in diesem Bereich um 15 Prozent auf 3,2 Milliarden Euro gestiegen. Das Forschungsbudget sollen künftig stärker wachsen als der Umsatz.

Nur auf die Ressourcen des Konzerns verlassen will sich Dekkers aber nicht. Im Mai 2014 verkündet Bayer eine lang erwartete große Übernahme: Für 14 Milliarden Dollar kaufen die Rheinländer eine Sparte des US-Pharmakonzerns Merck - das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten.

Dieser Bereich ist wertvoll, weil sich mit starken Marken wie dem Bayer- Klassiker Aspirin risikofrei und über viele Jahrzehnte hinweg Geld verdienen lässt. Durch den Deal mit Merck steigen die Leverkusener in diesem Bereich schlagartig zum weltweit zweitgrößten Anbieter auf. Die Übernahme sei "ein bedeutender Meilenstein" auf dem Weg zur Marktführerschaft im Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten, erklärt Dekkers. Der spektakulärste Schritt erfolgt im September 2014: Dekkers kündigt an, die Kunststoffsparte MaterialScience als eigenständiges Unternehmen auszugliedern und spätestens bis zum Jahr 2016 an die Börse zu bringen.

Dekkers zieht damit die Konsequenz aus einem lange bestehenden Konflikt - dem Ringen der drei Sparten um die Ressourcen des Konzerns. Rund 70 Prozent des Umsatzes und 90 Prozent des bereinigten operativen Gewinns wurden zuletzt von den Sparten HealthCare und CropScience allein erwirtschaftet.

MaterialScience ist innerhalb des Bayer-Konzerns also klein - als eigenständiges Unternehmen aber mit einem Umsatz von mehr als elf Milliarden Euro immer noch der viertgrößte Chemiekonzern Europas. Es gehe darum, "zwei globale Top-Unternehmen" zu schaffen, erläutert Dekkers die Logik des für den Bayer-Konzern historischen Schnitts.

Auf Seite 5: Die Abspaltung hat einen angenehmen Nebeneffekt



Kurspflege

Ohne MaterialScience verbessern sich einige wichtige Kennziffern des Bayer-Konzerns. Das macht die Bayer-Aktie insgesamt noch attraktiver. MaterialScience wiederum hat als eigenständiges Unternehmen die Möglichkeit, neue Kräfte zu entwickeln.



Nicht nur für den Konzern hat Marijn Dekkers im vergangenen Jahr wegweisende Entscheidungen getroffen, sondern auch für sich persönlich. Auf eigenen Wunsch wurde sein Vertrag als Vorstandsvorsitzender nicht wie eigentlich üblich um fünf, sondern nur zwei Jahre verlängert. Ende 2016 will Dekkers in die USA zurückkehren. Die Familie - seine amerikanische Ehefrau und seine drei Töchter - haben dann absolute Priorität.

Auf Seite 6: Klar den DAX outperformt