Einigkeit aus Liebe zu Italien: Mario Draghi appellierte in seiner Antrittsrede Ende Februar an die Abgeordneten im römischen Senat, auf parteipolitische Rivalitäten zu verzichten und seine Regierung zu unterstützen. Das Land - noch angeschlagen von der Finanzkrise 2008 - ist von der Pandemie schwer getroffen und steckt zugleich in der schwersten Rezession seit der Nachkriegszeit. Im vergangenen Jahr brach die wirtschaftliche Gesamtleistung um rund neun Prozent ein, 450.000 Jobs gingen verloren, die Arbeitslosenrate beträgt elf Prozent.

Der neue Ministerpräsident der drittgrößten Volkswirtschaft der EU weiß: Die Krise birgt die Möglichkeit, wachstumshemmende Strukturen zu verändern. Doch der dringend notwendige Wiederaufbau kann nur gelingen, wenn seine sowohl aus Experten als auch aus Mitgliedern nahezu aller Parteien gebildete Regierung zumindest bis zum Ende der aktuellen Legislaturperiode im Jahr 2023 im Amt bleibt.

Erfahren und vernetzt

Investoren würden es begrüßen, wenn Draghi darüber hinaus am Ruder bliebe. Der 73-Jährige ist international geschätzt, global vernetzt und macht sich für eine vertiefte EU-Integration stark. Der frühere Goldman-Sachs- und EZB-Banker verfügt darüber hinaus über umfassende Wirtschafts- und Finanzkompetenz. Und er weiß, die Märkte zu überzeugen. Sein "what ever it takes" löste im Jahr 2012 eine Rally an den Aktienmärkten aus. Als Chef der Europäischen Zentralbank hatte er damit die Wende in der Schuldenkrise eingeleitet und die Eurozone vor dem drohenden Auseinanderbrechen bewahrt.

Kann er auch Italien retten? Investoren sind vorsichtig optimistisch. Seit Jahresanfang legte der Aktienindex FTSE MIB um neun Prozent zu, die Rendite der zehnjährigen Staats- anleihe sank auf 0,62 Prozent. Im April 2020 rentierte der Bond noch mit 1,72 Prozent.

Draghis Vorgängern im Amt fehlte es oft an parlamentarischer Unterstützung. Etliche Regierungskoalitionen - wie zuletzt die von Ministerpräsident Giuseppe Conte - brachen vorzeitig auseinander. Die Beschäftigung der Parteien mit Machtfragen lösten die Probleme Italiens nicht, sondern erzeugten einen enormen Reformstau.

In den vergangenen Jahren stagnierte die wirtschaftliche Gesamtleistung. Seit 2000 legte das Bruttoinlandsprodukt pro Jahr im Schnitt nur um 0,5 Prozent zu. Eine ineffiziente Bürokratie verhinderte, dass Unternehmen ihr Wachstumspotenzial ausschöpfen konnten. Lange Zeit lagen die Abgaben an den Fiskus über dem Schnitt der fortgeschrittenen Staaten der OECD. Mittlerweile sind die Steuersätze für Unternehmen auf 27 Prozent gesunken.

Doch so schnell lassen sich die versäumten Investitionen für Forschung und Entwicklung nicht aufholen. Italien ist ein Standort mit Mängeln - das lässt sich auch am letzten Doing Business Index der Weltbank ablesen. Dieser misst die Geschäftsfreundlichkeit eines Landes. Italien rangiert auf Platz 58. Länder wie China, Türkei, aber auch Moldawien und Kenia schnitten besser ab. Deutschland belegt Platz 22.

Stimmengewinne für Populisten

Echte Wohlstandssteigerungen spürten Italiens Bürger in den vergangenen Jahren daher nicht. Laut Eurostat lag im Jahr 2009 das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen bei 20.841 Euro. Im Jahr 2020 waren es gerade mal 22.878 Euro. Bürger in anderen Staaten verzeichneten deutlich höhere Zuwächse. Das nährte in Italien Zweifel an den etablierten Parteien, aber auch an den Segnungen der EU und der Gemeinschaftswährung. Stimmengewinne für populistische, euroskeptische Parteien wie die von Matteo Salvini geführte Lega waren die Folge.

Angesichts der politischen Risiken verzichteten viele Investoren auf ein Engagement. Noch dazu gab es Zweifel, ob Rom seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann. Der Schuldenstand im Verhältnis zur wirtschaftlichen Gesamtleistung beträgt 155 Prozent. Weltweit ist das eine der höchsten Quoten.

Die vielen Schwächen der drittgrößten Volkswirtschaft der EU spiegelten sich auch am Aktienmarkt wider. In den vergangenen fünf Jahren stieg der FTSM MIB nur um 25 Prozent. Anleger hoffen nun auf eine Wende. Doch die Kurse gehen nur dann nachhaltig nach oben, wenn die Regierung liefert.

Der Unterstützung seitens der EU kann sich die neue Administration sicher sein. Für Italien stehen 209 Milliarden Euro aus dem Corona-Hilfstopf bereit. Davon müssen 81 Milliarden Euro nicht zurückbezahlt werden. Bis Ende April will Brüssel aber wissen, wie die Mittel verwendet werden, welche Projekte konkret gefördert werden sollen. Ansonsten fließt das Geld nicht. An den Details wird in Rom derzeit fieberhaft gearbeitet. Die Zielrichtung aber ist klar. "Draghi will die öffentliche Verwaltung verbessern, das Steuerrecht vereinfachen, die Infrastruktur modernisieren, die Digitalisierung vorantreiben und vor allem den Umweltschutz stärken. Und er möchte für die Jugend bessere Perspektiven schaffen", sagt Alberto Chiandetti, Fondsmanager des Fidelity Italy.

Problemfall Alitalia

Chiandetti ist zuversichtlich, dass der Turnaround gelingen kann und die Wirtschaft auf einen höheren Wachstumspfad einschwenkt. Die Börse in Mailand sollte darauf positiv reagieren. "Unter der Voraussetzung, dass es gelingt, Corona in den Griff zu bekommen, steht Ende des Jahres Italiens Leitindex höher als Anfang Januar."

Chancen sieht Chiandetti bei Bankwerten. "Aktien aus dem Finanzbereich sind noch günstig bewertet. Zudem haben die Institute in den vergangenen Jahren Kreditrisiken abgebaut." Ebenso aussichtsreich stuft er Aktien aus der Konsumbranche ein. "Kommt der Aufschwung tatsächlich in Gang, profitieren zyklische Werte." Darüber hinaus sind nach Einschätzung des Fondsmanagers Unternehmen ein Kauf, deren Know-how zur Umsetzung der Digitalisierungspläne und des anvisierten ökologischen Wandels benötigt wird.

Vorsichtige Anleger warten dennoch weiter ab. Sie wollen nicht nur wissen, ob Brüssel Gelder freigibt, sondern auch, wie Draghi mit Alitalia verfährt. Die angeschlagene Luftlinie notiert zwar nicht mehr an der Börse. Sollte der Ministerpräsident jedoch wie seine Vorgänger versuchen, mit Staatsgeldern eine drohende Insolvenz zu verhindern, kämen ernste Zweifel an der Reformierbarkeit Italiens und am marktwirtschaftlichen Kurs Draghis auf.
 


INVESTOR-INFO

Fidelity Italy

Benchmark-Abweichler

Alberto Chiandetti kennt Italiens Unternehmenslandschaft sehr genau. Er steuert den Fidelity-Fonds seit dem Jahr 2008. Der Manager weicht immer wieder deutlich vom Vergleichsindex ab. Untergewichtet hat er derzeit beispielsweise den Versorger Enel. Dagegen sind im Portfolio der Finanzwert Exor und der Reifenhersteller Pirelli stärker vertreten. In den vergangenen fünf Jahren legte der Fonds um 28 Prozent zu. In den vergangenen drei Monaten schaffte er über 13 Prozent.

iShares FTSE MIB

Bankenlastig

Der Exchange Traded Fund bildet den FTSE MIB ab. In Italiens Leitindex notieren die 40 liquidesten Unternehmen des Landes. Dazu zählen Finanzwerte wie Unicredit. Insgesamt ist die Branche mit über 30 Prozent gewichtet. Auf Energiewerte wie Eni oder Versorger wie Snam SPA entfallen zusammen 27 Prozent. Der Rest steckt überwiegend in zyklischen Konsumwerten. In den vergangenen drei Monaten legte der ETF 17 Prozent zu.

Jupiter European Growth

Ein bisschen Italien

Der mit FondsNote 1 bewertete Fonds eignet sich für Investoren, die nur bedingt in Italien engagiert sein wollen. Die Manager Mark Nichols und Mark Heslop verfügen über ein Anlagekapital von über einer Milliarde Euro. Auf italienische Aktien entfallen rund sechs Prozent. Mit über 26 Prozent sind französische Unternehmen wie Dassault Systèmes wesentlich höher gewichtet. Deutsche Unternehmen sind mit sieben Prozent vertreten.