Was eine Woche doch alles verändern kann. Sah es kürzlich noch so aus, als würde der Handelskrieg zwischen den USA und China die Weltbörsen in eine Herbstdepression stürzen, herrschte zwischenzeitlich eitel Sonnenschein. Der DAX machte sich wieder in Richtung der Jahreshöchststände auf, und selbst lange verschmähte Aktien, vor allem aus der Auto- und Autozuliefererbranche, waren plötzlich wieder gesucht.

Ein Wochenende und 17 Explosionen später sind wir wieder genau so schlau (und ängstlich) wie zuvor. Drohnen­attacken auf die Raffinerie des weltgrößten Ölkonzerns, Saudi-Aramco, in ­Abkaik ließen den Ölpreis um zeitweise 20 Prozent in die Höhe schießen, den Goldpreis wieder über die 1500-Dollar-Marke steigen und die Aktienmärkte den Rückwärtsgang einlegen, zum Glück aber nicht implodieren. Zwar wurde das "Herz des Systems" getroffen, wie es ein Analyst formulierte, ein weltweiter Versorgungsengpass aber droht dem Ölmarkt nicht.

Sehr viel kritischer ist, dass US-Präsident Donald Trump und sein Außen­minister Mike Pompeo den Iran für die Anschläge in Saudi-Arabien verantwortlich machen, obwohl sich die jemenitischen Huthi-Rebellen zu den Angriffen bekannt haben. Sollten die USA ihre Vergeltungsdrohung wahrmachen, könnte der Herbst doch noch stürmisch werden.

Die Anschläge kamen just zu dem Zeitpunkt, als die Börsianer trotz nach wie vor schwacher Konjunkturindikatoren wieder etwas mehr Vertrauen zu fassen schienen. Michael Strobaek, Chefstratege der Credit Suisse, stufte Aktien auf "Übergewichten" hoch, vor allem wegen der nächsten Welle der lockeren Geldpolitik, die der scheidende EZB-Präsident Mario Draghi eingeläutet hatte. Für die Börsianer war das eine Art Startsignal: Raus aus den gut gelaufenen Börsenlieblingen, rein in die niedrig bewerteten Zykliker, lautete die Devise. Trotz weltweiter Rezessionsgefahr. Die häufig zitierte Wachablösung "weg von Wachstum hin zu Value" trifft den Kern der Sache indes nicht. Zumindest sind die Indexgewinner Infineon (DAX), Norma Group (MDAX) und SMA Solar (SDAX) keine klassischen Value-Werte.

Paul Quinsee, Chef des weltweiten Aktienteams bei JP Morgan Asset Management, sprach auf einer Pressekonferenz in Frankfurt denn auch lieber von einer Bewegung von "beliebten zu unbeliebten Aktien". Die im Übrigen gar nicht so schlecht für die Weltbörsen insgesamt sein muss. Da nur wenige Schwergewichte - allen voran aus dem Technologiesektor und aus den USA - den MSCI World-Index angetrieben haben, sind die Bewertungen in anderen Ländern und Sektoren rund um den Globus vernünftig, meint Quinsee. Zudem sei niemand überinvestiert.

In erster Linie sieht er in China "eine der größten Kaufchancen überhaupt". Europa habe sich zwar in Sachen Digitalisierung abhängen lassen, trotzdem traut er auch dem Aktienmarkt der sogenannten Alten Welt einiges zu. Sein Hauptargument: Die Zahl der Aktien geht zurück. Seit 2016 sind durch Übernahmen, Fusionen, Delistings und Rückkäufe erheblich mehr Aktien vom Markt verschwunden, als durch Börsengänge neu hinzukamen.

Wenn also nur ein bisschen mehr Vertrauen für etwas mehr Nachfrage nach europäischen Aktien sorgt, müsste das rückläufige Angebot zu steigenden Kursen führen. So ähnlich, wie eine Verknappung des Angebots durch die Anschläge vom Wochenende den Ölpreis steigen ließ. Da die Börsenpläne von Saudi-Aramco nun zunächst auf Eis gelegt werden dürften, wird es zumindest aus Nahost so schnell kein zusätzliches Aktienangebot geben, das die Knappheit in Europa auffängt.