Die Märkte hatten den Sieg von Joe Biden bei der US-Präsidentschaftswahl schon vorweggenommen. Mit den Kursen ging es längst nach oben, als noch Stimmen ausgezählt wurden. Die Verluste der Vorwochen waren dann endgültig ausgeglichen, als am Montag die Nachricht kam, dass Biontech und der Pharmariese Pfizer die Zulassung für einen Corona-Impfstoff bei der US-Arzneimittelbehörde FDA beantragen wollen.

Es geht also bergauf. Eben auch weil das Hindernis US-Wahl jetzt endlich aus dem Weg geräumt ist, wenn man es etwas flapsig ausdrücken will. Entsprechend dazu sind die Börsenkommentatoren nach der Wahl überwiegend optimistisch für die nächsten Wochen. "Biden als Präsident und ein gespaltener Kongress sind für den DAX der bestmögliche Wahlausgang",sagt beispielsweise Maximilian Kunkel, der Chefanlagestratege für die UBS in Deutschland. Natürlich immer unter der Prämisse, dass das Wahlergebnis letztlich auch bestätigt wird. Dann könne man sich auf eine "kooperativere und berechenbarere Handelspolitik verlassen", so Kunkel. Oder anders ausgedrückt: Gerade für die exportstarken deutschen Unternehmen gibt es wieder mehr Planungssicherheit. Letztlich scheint der neue Präsident also viel berechenbarer als sein Vorgänger.

Reformen - aber nicht zu viele Außerdem dürfte Biden ziemlich sicher ein großes Konjunkturpaket zur Stützung der US-Wirtschaft auf den Weg bringen. Kein Problem scheint dabei zu sein, dass "die blaue Welle" wahrscheinlich ausbleibt, also die Mehrheit der Demokraten (Parteifarbe blau) sowohl im Präsidentenamt als auch im Repräsentantenhaus und im Senat. Im Gegenteil: Dadurch sinkt die Wahrscheinlichkeit all zu großer Reformen, die, so die Befürchtung von Skeptikern, die Wirtschaft überbelastet hätten.

Fed: Die Geldpolitik wird locker bleiben. Die Ergebnisse der in diesem Jahr vorletzten Notenbanksitzung, die noch vor der Wahl am 29. Oktober stattfand, lässt zudem auf weitere geldpolitische Impulse hoffen. Um die Erholung der Wirtschaft zu unterstützen, wird man wohl auch weiter auf Anleiheankäufe setzen. Diese werden aller Voraussicht nach sogar intensiviert. Auch längere Laufzeiten werden wohl in Betracht gezogen. Notenbankchef Jerome Powell berichtete auf der Pressekonferenz jedenfalls von einer "umfassenden Diskussion" zu diesem Thema.

Und noch etwas macht den Amtsantritt des 46. US-Präsidenten leichter: Der Oktober war ein weiterer guter Monat für den amerikanischen Arbeitsmarkt. Die Gut für Biden ist sicherlich auch die Kontinuität in der Politik der US-Notenbank Arbeitslosenquote sank auf 6,9 Prozent - deutlicher als von den Märkten erwartet. Das lässt Hoffnung aufkommen, dass auch der US-Konsum in den anstehenden Monaten einigermaßen stabil bleibt.

Aufwärtspotenzial - aber selektiv Das alles dürfte auch positiv für die Aktienmärkte sein. Allerdings sind die Bewertungen vieler Titel inzwischen doch recht hoch. Eine deutliche Erholung der Gewinne ist also eigentlich schon eingepreist. Der Titelselektion kommt daher jetzt eine wichtige Rolle zu. Laut einer Analyse von JP Morgan gibt es jetzt Chancen, etwa bei angeschlagenen zyklischen Konsumgüterunternehmen, die nächstes Jahr von einer Erholung der Nachfrage profitieren dürften. Zudem seien Investments in Autozulieferer, Halbleiterhersteller und Grundstoffunternehmen, die auf einen Aufschwung in der Automobilbranche ausgerichtet sind, attraktiv. Sowie - auch das hat mit Biden zu tun - erneuerbare Energien.

Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com