Für das Managementteam der Merck KGaA war es eine neue Erfahrung. Wegen der Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus veranstaltete der DAX-Konzern seine Bilanzpressekonferenz zum Geschäftsjahr 2019 nicht in einem Konferenzraum, sondern präsentierte sich Analysten und Medienvertretern per Telefonkonferenz. Was die drohende Pandemie angeht, sieht Vorstandschef Stefan Oschmann aktuell keine Gefahr für das laufende Geschäftsjahr: "Wir erwarten, dass der Umsatz 2020 aus eigener Kraft solide zulegt." Sollten die Krankheitsfälle im ersten Halbjahr abklingen, rechnet Oschmann mit einem Negativeffekt von einem Prozent auf den Konzernumsatz. Die aktuellen Kalkulationen enthalten dieses Szenario. Sollte sich die Krise ausweiten, müsste die Prognose für 2020 im Jahresverlauf angepasst werden.

Comeback der Pharmasparte

In einem anderen Börsenklima hätte die Aktie nach Bekanntgabe der Zahlen abgehoben. Zum überraschend starken Ergebnis trugen vor allem die beiden Geschäftsbereiche Pharma und Life Science bei. Mit dem Konzernumsatz ging es um 8,9 Prozent auf fast 16,2 Milliarden Euro nach oben. Der bereinigte operative Gewinn auf Ebitda-Basis legte um 15,2 Prozent auf vier Milliarden Euro zu.

Zugleich sank der Konzerngewinn um 61 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro. Allerdings ist dieser Wert nicht mit dem Vorjahr vergleichbar: 2018 hatte Merck gut 2,3 Milliarden Euro an Veräußerungsgewinnen aus dem Verkauf des Geschäftsbereichs nicht-verschreibungspflichtige Produkte an Procter & Gamble verbucht.

Erstmals seit Jahren legte der Pharmabereich ein solides Umsatzwachstum um sechs Prozent hin. Nach einer langen Flaute hat Merck wieder neue vielversprechende Arzneien auf dem Markt. An erster Stelle zu nennen sind das Krebsmedikament Bavencio und das Multiple-Sklerose(MS)-Mittel Mavenclad, dessen Jahresumsatz sich dank des guten US-Geschäfts auf 321 Millionen Euro mehr als verdreifachte. Dass die Sparte beim operativen Gewinn einen Sprung von 57,2 Prozent auf fast 1,2 Milliarden Euro hinlegte, ist in erster Linie diesen Produkten zu verdanken. Bis 2022 will Merck laut Oschmann weitere zwei Milliarden Euro über neue Pharmaprodukte generieren.

Verlässlich stabil bleibt der Bereich Life Science mit seinen Laborchemikalien, Filtertechniken und Dienstleistungen für die Herstellung von Arzneien und die pharmazeutische Forschung. Ein gemischtes Bild bietet die Sparte Performance Materials mit ihrem breiten Produktmix. Bei den Flüssigkristallen für Displays hält der Preisdruck an. Dasselbe gilt für Halbleitermaterialien für die Elektronikindustrie. Hier erhofft sich Oschmann für 2020 wieder eine starke Wachstumsdynamik und verweist dabei auf den Beitrag der zuletzt zugekauften Spezialchemiefirma Versum. Nicht verkaufen, wie von Branchenkennern erwartet, will Merck das Pigmentgeschäft.

Geringes Rückschlagsrisiko

Finanziell steht Merck auf einem kerngesunden Fundament. Der operative Cashflow legte um 29 Prozent auf 2,8 Millionen Euro zu. Die freien Mittelzuflüsse nach Sachinvestitionen stiegen um rund ein Drittel auf rund 1,8 Millionen Euro. Einen wesentlichen Beitrag leistete die Einmalzahlung von GlaxoSmithKline in Höhe von 300 Millionen Euro im Rahmen der Entwicklungspartnerschaft für das Krebsmittel Bintrafusp.

Angesichts der aktuell unsicheren Weltkonjunktur lehnt sich Merck für 2020 noch nicht weit aus dem Fenster. Währungsbereinigt bis zu drei Prozent Wachstum bei Umsatz und Ebitda ist die aktuelle Vorgabe. Und nach den Zukäufen der Vorjahre will sich Merck jetzt auf organisches Wachstum und höhere Cashflows konzentrieren. Die finanziellen Mittel benötigt der Konzern auch, um die - bedingt durch die 5,8 Milliarden US-Dollar schwere Versum-Akquisition - auf fast 12,4 Milliarden Euro gestiegene Nettoverschuldung herunterzufahren.

Aufgrund der weiter steigenden Margen in den beiden größten Geschäftsfeldern ist Merck in den nächsten Jahren, auch dank neuer Medikamente, auf ein stabiles Wachstum ausgerichtet.