Wer in den vergangenen beiden Jahren über die A9 aus Richtung Nürnberg nach München hineingefahren ist, der wurde kurz vor dem Autobahn-Ende ungewohnt freundlich begrüßt. "SchwaBING bekommt ein neues Office mit vielen Windows", schmetterte ein quietsch-buntes Plakat von der Baustelle für die neue Microsoft-Deutschland-Zentrale.



Seit ein paar Wochen ist das neue Office nun fertig. Es hat jetzt richtige Fenster, die PCs laufen selbstverständlich auf Windows - und die Mitarbeiter sind nun auch endlich da.

Keine festen Arbeitsplätze


Doch für viele von ihnen dürfte der Umzug von der alten Zentrale in Unterschleißheim in die nahe gelegene Landeshauptstadt eine spürbare Umstellung bringen. Denn mit dem Standortwechsel gibt es bei Microsoft Deutschland ab sofort keine festen Arbeitsplätze mehr.

Je nach Aufgabe und Ruhebedürfnis suchen sich die Mitarbeiter morgens in dem sieben-stöckigen Gebäude einen freien Schreibtisch, packen ihre Laptops oder Tablets aus und legen los.

Vorausgesetzt, sie sind überhaupt im Büro. Bei Microsoft bestimmen die Mitarbeiter seit 2014 Jahren grundsätzlich selbst, ob sie von zu Hause arbeiten, vom Flughafen oder im Kaffeehaus. Die Kontrolle der Arbeitszeit hat der Konzern bereit 1998 abgeschafft.

Die Folgen der gewachsenen Freiheiten waren in Unterschleißheim unübersehbar. Von den 1900 Microsofties am Standort waren im Schnitt gerade mal 650 pro Tag am Platz. Der Rest arbeitete von zu Hause aus, war bei Kunden, Partnern, auf Fortbildungen, Messen - oder schlicht im Urlaub.

Die hohe Leerstandsrate bei vollem Mietausgleich sorgte nicht nur bei den Mitarbeitern vor Ort für Fragen. "Wir haben Miete für eine Fläche gezahlt, die wir gar nicht gebraucht haben", heißt es aus der Zentrale. "Das war am Ende raus geschmissenes Geld." Von der Stimmung ganz zu schweigen: "Wenn fast die Hälfte der Büros kaum oder gar nicht besetzt ist, fehlt das nötige Knistern", erinnert sich ein Ex-Microsoft-Mann.

In Schwabing soll nun alles besser werden. Für die 1900 Mitarbeiter stehen lediglich 1100 Arbeitsplätze in vier unterschiedlichen Büro-Landschaften bereit. Wer etwa alleine ein Kunden-Angebot ausarbeiten muss oder ein neues Projekt planen will, kann sich in einen der extra-ruhigen "Think Workspaces" zurückziehen. Für das Abarbeiten ungelesener E-Mails oder dem Feinschliff an der nächsten Präsentation gibt’s den leisen Accomplish-Bereich. Teams verabreden sich zum Brainstorming in den "Share & Discuss"-Zonen. Und für die Gruppenarbeit oder Kundenbesuche gibt’s die "Converse"-Bereiche.



Dazu kommen ein Fitness-Studio, eine schicke Kantine und 17 Kaffeeküchen, die nun Social Hubs heißen, und Brainstorming-gezeichnete Microsofties mit Kaffee, Tee, Cola oder Schorlen versorgen.

Das neue Konzept, das in enger Abstimmung mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation entstand, ist kein Selbstzweck. Die Digitalisierung der Arbeitswelt stoße den "größten Wandel seit der industriellen Revolution an", sagt die neue Microsoft-Deutschland-Chef Sabine Bendiek. Traditionelle Bürokonzepte passten nicht mehr in die digitale Welt. Gefragt seien Konzepte zur besser Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben. Hier wolle Microsoft eine "Vorreiterrolle übernehmen".



Das Interesse an der visionären Bürolandschaft in SchwaBING ist riesig, sagt Bendiek. Alleine in den ersten drei Wochen habe man bereits "Vertreter von mehreren 100 Unternehmen" durchs Gebäude geführt, berichtet eine Microsoft-Sprecherin.

IG Metall sieht die Entwicklung skeptisch


Doch die neuen Wohlfühl-Oasen in den Büros sorgen nicht überall für Begeisterungsstürme. "Hinter den chilligen Büros im Lounge-Stil stehen natürlich knallharte ökonomische Interessen der Unternehmen", warnt etwa Timo Günther, Pressesprecher von der IG Metall Bayern.

Auch die Vision vom "Work-Life-Flow", also dem fließenden Übergang zwischen Berufs- und Privatleben, trifft auf Kritik. Der Trend zum mobilen Arbeiten führe "häufig zu unbezahlter Mehrarbeit und zur Selbstausbeutung", so Günther. Gerade Mitarbeiter mit Heimarbeitsplatz empfänden häufig "besonders hohen Rechtfertigungsdruck" und arbeiteten "mehr als eigentlich vereinbart" sei.

Bei Microsoft ist man sich dieser Gefahr durchaus bewusst. Die Mitarbeiter würden für das Thema "sensibilisiert", sagt Boss Bendiek. Wenn etwa regelmäßig Mails um drei Uhr nachts verschickt würden, seien die Vorgesetzten aufgefordert, einzuschreiten, ergänzt auch Microsoft-Personalchef Markus Köhler.

Bei den Gewerkschaften ist man sich da nicht so sicher. Statt auf reine Selbstverpflichtung zu setzen, plädiert die IG Metall für klare Regeln. Günther: "Wir brauchen einen regulatorischen Rahmen, denn sonst wird der Stress immer größer."