Es gibt Gewinnwarnungen. Es gibt Überraschungen. Und dann gibt es das, was Gerresheimer gerade abliefert: Ein öffentliches Management-Versagen mit Ansage – und ohne Ausrede.

Bernstein zieht den Stecker – und trifft einen Nerv

Was tun, wenn eine Aktie fällt – und fällt – und fällt? Wenn Analysten nicht mehr fragen ob, sondern wann die nächste Gewinnwarnung kommt? Willkommen bei Gerresheimer.

Es ist ein Lehrbuchfall dafür, wie viel schneller Vertrauen zerstört als aufgebaut wird. Noch vor wenigen Quartalen galt der MDAX-Wert als solider Wachstumswert im Pharmaverpackungssektor. Heute ist die Luft raus – und zwar mit Ansage. Mit einem Paukenschlag hat Bernstein Research das Kursziel von Gerresheimer auf 47,50 Euro halbiert – und gleich die Bewertung von „Outperform“ auf „Underperform“ gedreht. Wer es nett formulieren will, nennt das eine Neubewertung. Wer ehrlich ist, spricht von einem Totalschaden im Vertrauen.

Denn der eigentliche Skandal ist nicht die dritte (!) Gewinnwarnung innerhalb von zwölf Monaten – sondern, dass niemand im Management sie kommen sah. Noch vor zwei Wochen sprach der Vorstand beruhigend auf Investoren ein. Zwei Wochen! Und dann: Kurssturz, Prognosekürzung, Dividendenstreichung. Das ist keine schlechte Kommunikation – das ist Desorientierung mit Ansage.

Die Zahlen sprechen eine Sprache – und sie ist alles andere als beruhigend

Die aktuelle Prognose ist ein Desaster auf allen Ebenen:

Das erwartete Umsatzwachstum wurde von 3–5 % auf magere 1–2 % reduziert.

Die EBITDA-Marge fällt auf etwa 20 % – vorher waren es noch 22 %.

Beim Gewinn je Aktie wird statt Wachstum nun ein Rückgang im zweistelligen Prozentbereich erwartet.

Und die Dividende? Von 1,25 Euro auf 4 Cent zusammengestrichen – gesetzliches Minimum, sonst nichts.

Diese Kürzung ist kein Zufall. Sie ist ein Zeichen. Ein Notruf, der in Zahlen gegossen wurde. Der Vorstand will Liquidität retten – auf Kosten der Anlegerbindung. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der das Vertrauen ohnehin vollständig erschüttert ist.

Enttäuschung, Wut und blankes Unverständnis

Die Reaktionen der Banken gleichen einer konzertierten Abrechnung mit dem Management.

Hauck Aufhäuser senkt das Kursziel von 95 auf 65 Euro – trotz Beibehaltung der Einstufung „Buy“ zeigt Analyst Alexander Galitsa klar auf: Die Dividendenstreichung, der Verschuldungsgrad und das schwache operative Geschäft lassen tief blicken. Besonders bitter: Wettbewerber wie Stevanato und Schott Pharma zeigen im gleichen Zeitraum wieder Wachstum.

Berenberg gibt sich keinen Illusionen mehr hin. Analystin Victoria Lambert stuft von „Buy“ auf „Hold“ ab, senkt das Kursziel auf 55 Euro und trifft einen Nerv:

„Die Glaubwürdigkeit des Managements befindet sich auf einem historischen Tiefpunkt.“

Deutsche Bank-Analyst Falko Friedrichs sieht schlichtweg keine Perspektive. Er bezeichnet die Visibilität des Unternehmens als „niedrig“ und fragt offen, wie bekannte Marktprobleme zu einem derart überraschenden Rückschlag führen konnten – gerade einmal drei Monate nach der letzten Warnung.

DZ Bank zieht die Reißleine bei der Kaufempfehlung. Analyst Thomas Maul spricht von einem „angeschlagenen Investorenvertrauen“, das nur durch strukturelle Maßnahmen – und nicht durch bloßes Hoffen – wiederhergestellt werden könne.

Die Dividende – ein stilles Eingeständnis der Schwäche

Man muss nicht einmal zwischen den Zeilen lesen, um zu erkennen: Die Dividendenkürzung ist das wahre Alarmsignal.

Gerresheimer zahlt nur noch 4 Cent – den gesetzlichen Pflichtwert, mehr nicht. Die Message ist klar: Wir halten das Geld lieber zusammen, weil wir selbst nicht wissen, was kommt.

In einer Phase, in der viele Anleger auf Stabilität setzen und Dividenden als Kompass verwenden, ist dieser Schritt eine schallende Ohrfeige für Aktionäre.

JP Morgan kommentiert trocken:

„Das Signal hinter der praktisch gestrichenen Dividende ist schlimmer als die eigentliche Prognose.“

Übernahmegerüchte – Hoffnung oder letzte Ausfahrt?

Inmitten des Trümmerfeldes tauchen wieder Übernahmefantasien auf. Namen wie Warburg Pincus oder KPS Capital Partners werden erneut gehandelt. Die Gerresheimer-Aktie sprang kurz nach Bekanntwerden der Gerüchte bis auf 66 Euro – nur um sich dann wieder zu verabschieden.

Die Wahrheit ist: Der Markt sieht hier keinen Turnaround aus eigener Kraft.

Wenn überhaupt, dann könnte eine Zerschlagung – Pharma und Kosmetik getrennt – den wahren Wert heben. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg, gesäumt von Unsicherheit, Misstrauen und Kapitalmarktskepsis.

Anleger sehen nicht mehr auf den Kurs – sie sehen auf den Ausgang

Das Unternehmen taumelt – operativ, kommunikativ, strategisch.

Die Anleger wurden zu oft beruhigt, nur um dann wieder enttäuscht zu werden.

Vertrauen ist in der Börse eine Währung. Gerresheimer hat sie verspielt.

Aktuell ist das Papier keine Investition – es ist eine Wette. Und zwar auf eine Übernahme, eine Zerschlagung oder ein Management, das endlich die Realität anerkennt.

Wer hier einsteigt, spielt mit dem Feuer. Wer drinbleibt, braucht starke Nerven – und noch stärkeren Glauben. Denn von Sicherheit oder Planbarkeit ist bei Gerresheimer nichts mehr zu sehen.

Lesen Sie auch: US-Titanen: Bei diesen günstigen Aktien sollten Anleger jetzt zuschlagen