Dieser Megadeal zwischen Biontech und Brystol-Myers Squibb könnte viel in der Pharma-Branche verändern. Welche Chancen haben Anleger jetzt?
Die Chancen sind enorm, die Perspektive unwiderstehlich. Allein im vergangenen Jahr sammelte der US-Pharmariese Merck mit dem weltweit erfolgreichsten Medikament in der Branche, Keytruda für Immuntherapien zur Behandlung von Krebs, 29,5 Milliarden Dollar ein. Vereinfacht erklärt, blockiert Keytruda Rezeptoren für Krebszellen und versetzt das Immunsystem damit in die Lage, Tumorzellen aufzuspüren und zu vernichten. Neue Wirkstoffe für Immuntherapien könnten sich nun als deutlich wirksamer erweisen als der Blockbuster von Merck. Denn bispezifische Antikörpernkönnen zwei verschiedene Rezeptoren gleichzeitig blockieren. Dass Keytrudas Patentschutz in den wichtigsten Märkten 2028 erlischt, spornt die Konkurrenz nun zusätzlich an und setzt den Pharmariesen Merck seit geraumer Zeit unter Druck.
Nun hat US-Konkurrent Bristol-Myers Squibb (BMS) mit der Mainzer Firma Biontech eine Allianz zur künftig gemeinsamen Entwicklung und Vermarktung des nach Einschätzung von Experten derzeit aussichtsreichsten bispezifischen Antikörpers geschlossen. Wie Merck ist auch der New Yorker Pharmariese wegen auslaufender Patente bei einigen seiner Bestseller stark unter Druck. Zu den Blockbustern des Konzerns mit drohendem Aus für das Patent zählt etwa Eliquis, ein Medikament, das Blutgerinnseln vorbeugt. Mit 20,7 Milliarden Dollar Umsatz im vergangenen Jahr ist es das wirtschaftlich zweiterfolgreichste,
nach Mercks Keytruda. Ab 2028, wenn der Patentschutz ausgelaufen ist, werden in dem mit Abstand lukrativsten Pharmamarkt USA Hersteller von viel günstigeren Alternativen zu Eliquis, sogenannte Biosimilars, starten. Wohl auch deshalb ist BMS bereit, viel in die Weiterentwicklung von Biontechs BNT327 zu investieren. Die Mainzer haben den Wirkstoff drei Jahre lang mit ihrem chinesischen Partner Biotheus entwickelt. Nach Kauf von Biotheus für fast eine Milliarde Dollar im vergangenen Jahr sind nun auch die Chinesen im Team.
Das Geld für den Kauf hatte Biontech in der Kasse. Es sind Gewinne mit dem Covid-19-Impfstoff, der die Mainzer weltweit berühmt gemacht hat. Die Partnerschaft wertet den Erfolg der Mainzer mit dem Wirkstoff für Immuntherapien zur Tumorbehandlung, deutlich auf und verleiht auch Biontechs Firmenadresse, „An der Goldgrube 12“, neuen Glanz. Aktuell durchläuft BNT327 mit verschiedenen Varianten, auch in Kombination mit anderen Wirkstoffen, mehr als 20 klinische Tests. Eine der Varianten zur Behandlung von Lungenkrebs ist in der finalen Phase 3 vor der Zulassung, bei einer weiteren zur Behandlung von Brustkrebs soll Phase 3 in diesem Jahr starten. Die bisherigen Ergebnisse bescheinigen BNT327 das Potenzial, erfolgreicher zu werden als Mercks größter Bestseller Keytruda.
Aussicht auf gut elf Milliarden Dollar Cash
Biontech-Chef und Mitgründer Uğur Şahin nutzte das, um eine Kooperation abzuschließen, die zu den größten in der Branche zählt: Gut elf Milliarden Dollar bekommt seine Firma, wenn alles nach Plan läuft. Der größte Teil der Summe, 7,6 Milliarden, wird allerdings nach und nach ausbezahlt und nur dann, wenn vereinbarte Meilensteine erreicht werden. Läuft bei der Entwicklung von BNT327 alles nach Plan, könnte das Medikament vor 2030 auf dem Markt sein.
Zeitnah und ohne Bedingungen erhält Biontech 1,5 Milliarden Dollar und hat damit den Kauf von Biotheus mehr als ausgeglichen. Weitere zwei Milliarden sollen bis 2028 fließen. „Wir sind beeindruckt von der Innovation, die Biontech bisher erreicht hat. Wir glauben, dass BNT327 das Potenzial hat, eine grundlegende immunonkologische Schlüsseltherapie zu werden“, lobt Christopher Boerner, Chef und Chairman von BMS, die Kooperation mit den Mainzern. Weil auch sein Konzern, ähnlich wie Merck, auf neue Milliarden-Umsatzbringer hofft, hat der Ausbau der Wirkstoffpipeline für Boerner jetzt „oberste Priorität“ bei den Investitionen. Große Übernahmen gehören dazu: Im vergangenen Jahr erwarb der Konzern für 14 Milliarden Dollar Karuna Therapeutics, einen Entwickler von Wirkstoffen zur Behandlung von Schizophrenie.
Dennoch dämpft die Sorge vor Umsatzrückgängen durch auslaufenden Patentschutz für Blockbuster die Kursfantasie der BMS-Papiere derzeit erheblich. Mit einer überdurchschnittlich hohen Dividendenrendite und relativ sicheren Ausschüttungen sind die Papiere jedoch ein langfristig aussichtsreiches Investment.
Die Aktie von BMS-Partner Biontech beflügelt der jüngste Deal deutlich: Seit dem Tief Anfang April legte der Kurs um knapp 22 Prozent zu. Chef Şahin schätzt den Partnerkonzern „mit großer Erfahrung auf dem Gebiet der Immunologie“. Für Biontech sei das Potenzial von BNT327 zu groß, um die dafür notwendige Herausforderung allein zu stemmen, räumt Mediziner Şahin ein. Er schätzt die Anzahl der Patienten für den Wirkstoff, der zur Behandlung von verschiedenen Tumoren eingesetzt werden soll, auf bis zu drei Millionen. Mehr als 1000 wurden mit dem Wirkstoff bereits in klinischen Tests behandelt.
Wie der Megadeal Biontech hilft
Der neue Coup des Krebsforschers und Immunologen erinnert an Biontechs großen Erfolg während der Pandemie. Im Wettlauf um ein Covid-19-Vakzin hatten sich die Mainzer mit dem Pharmariesen Pfizer verbündet und hatten wohl auch deshalb die Nase vorn. Jetzt sollen die Expertise, die Kapazitäten und die Finanzkraft des Partners BMS die Entwicklung des Wirkstoffs deutlich beschleunigen. Marktforscher Straits Research schätzt den weltweiten Umsatz mit bispezifischen Antikörpern für 2024 auf 11,84 Milliarden Dollar. Mit jährlichen Zuwächsen von gut 44 Prozent sollten es 2033 gut 323 Milliarden sein. Das wäre in neun Jahren mehr als das 27-Fache der Erlöse für 2024. Moderatere Prognosen gehen von 18 Prozent Plus pro Jahr aus, dann wären es 2033 fast 52 Milliarden Dollar.
Extrachance auf den ersten Platz im Markt
Zusätzlicher Vorteil für die Partner BMS und Biontech: Wenn es ihnen gelingt, den Wirkstoff bis 2030 auf den Markt zu bringen, könnten sie bei bispezifischen Antikörpern zur Behandlung von Krebstumoren schnell den ersten Platz erobern. Denn die aktuell größten Umsatzbringer wurden für andere Anwendungen entwickelt: Hemlibra, das bei Hämophilie-Patienten die Blutgerinnung fördert, mit rund 5,4 Dollar Umsatz im vergangenen Jahr und Vabysmo zur Behandlung von Augenkrankheiten mit 4,6 Milliarden Dollar Erlös für 2024. Beide sind im Portfolio des Schweizer Pharmariesen Roche. Auch US-Konkurrent Amgen ist im Geschäft. Seine Umsätze mit Blincyto zur Behandlung von Blutkrebs liegen jedoch unter der Milliarden-Dollar-Schwelle für Blockbuster. Amgen hat weitere Wirkstoffe im Test: Für Imdelltra in Phase 3 zur Behandlung von aggressiven Lungentumoren wurden jüngst gute Studienergebnisse gemeldet.
Viele drängen nun in dieses Geschäft. Die überwiegende Mehrheit der mehr als 320 verschiedenen Wirkstoffe, die zu Jah- resbeginn weltweit klinische Tests absolvierten, werden für Immuntherapien zur Behandlung von Krebs entwickelt. Biontec und BMS mit ihren Phase-3-Studien sind den meisten Konkurrenten voraus. Die noch erheblichen Nebenwirkungen dämpfen bisher jedoch das Potenzial der künftigen Wirkstoffgeneration, genauso wie die aufwendige Herstellung der Antikörper aus der Erbsubstanz. Die Schweizer Lonza Group perfektioniert und beschleunigt die Herstellung der Wirkstoffe aus Erbgut (DNA). Mit der Design-Bispecifics-Technologie der Eidgenossen können Wirkstoffe in nur sieben Monaten hergestellt werden und erfüllen nach 13 Monaten die Anforderungen zum Start der klinischen Test. Das wird die Anzahl der Wirkstoffe deutlich erhöhen.
Pharmariesen lassen sich den neuen Markt nicht entgehen, kleine Firmen wie Biontech setzen auf spätere Allianzen mit Branchenriesen, um die großen Investitionen in der Entwicklung und Vermarktung stemmen zu können. Start-ups als Entwickler von Impfstoffen hoffen meist auch darauf, übernommen zu werden.
Chinas Wirkstoffentwickler sehr begehrt
Auch Keytruda-Hersteller Merck hat die neuen Wirkstoffe im Blick. Aus dem Pool der Wirkstoffe in klinischen Tests sicherte sich der Riese aus Rahway in New Jersey im vergangenen Jahr exklusiv die globalen Vertriebsrechte für den Wirkstoff LM- 299 von Nova Medicine aus Shanghai und kaufte ebenfalls in Chinas Metropole von Curon Biopharmaceutical den Wirkstoff CN201 ein. Mit Wirkstoffen wie MK-6070, den Merck in Kooperation mit Daiichi Sankyō aus Japan entwickelt hat, hat der Riese auch eine eigene Pipeline. Biontechs Biotheus, Nova Medicine, Curon Bioparmaceutical und größere börsennotierte Firmen wie Akeso zeigen, dass China in diesem Segment inzwischen ein sehr wichtiger Markt ist. Derzeit absolvieren dort bispezifische Antikörper mehr als 250 klinische Tests.
Bei Akesos Wirkstoff Ivonescimab für die Behandlung von Lungenkrebs ließen Zwischenergebnisse der Phase-3-Stufe auf ein ähnlich hohes Erlöspotenzial wie bei Keytruda schließen, berichtet der Börsendienst Bloomberg. Der Erlös der 2012 in Hongkong gegründeten Firma Akeso für das laufende Jahr wird auf umgerechnet 494 Millionen Dollar geschätzt, der Nettogewinn auf 8,4 Millionen. Akeso schreibt erstmals schwarze Zahlen. Mit 50 Wirkstoffen im Portfolio trauen Analysten der Firma hohe jährliche Wachstumsraten bei Erlös und Ertrag zu. Für den Wirkstoff Ivonescimab hat sich die US-Biotechfirma Summit Therapeutics den Vertrieb und die Vermarktung außerhalb Chinas gesichert.
Biontech bewahrt sich Zusatzchance
Biontech baute mit dem Wirkstoff seines China-Partners Biotheus ein zusätzliches Geschäft auf. Mit den Mitteln aus der Allianz mit BMS bewahren sich die Mainzer ihr erstes Projekt zur Behandlung von Krebs als zusätzliche Chance: die Entwicklung personalisierter Impfstoffe auf der Basis der mRNA-Technologie, mit der Biontech auch sein Corona-Vakzin entwickelte. Der Weg zum neuen Ziel erweist sich bisher allerdings schwieriger als erwartet. In Großbritannien betreibt Biontech mit dem staatlichen Gesundheitsdienst NHS das „Cancer Vaccine Launch Pad“ für klinische Studien mit mRNA-Impfstoffen gegen Darm-, Bauchspeicheldrüsen- und Hautkrebs.
Damit Immunsysteme Krebszellen schneller erkennen und zerstören, wird der Impfstoff vor der Herstellung auf die individuellen Besonderheiten des Patienten zugeschnitten. Dafür sind Gewebeproben des Patienten notwendig. Die Weiterentwicklung von mRNA und künstliche Intelligenz (KI) beschleunigen die weiterhin aufwendigen Prozesse. KI hilft, die Marker-Proteine, die das Immunsystem stimulieren, schneller zu identifizieren. Mit den mRNA-Vakzinen hat Biontech mehr als 32 Wirkstoffvarianten in klinischen Tests. Gut, dass die finanzielle Basis dank der BMS-Partnerschaft gestärkt wurde.
Hinweis: Der Artikel stammt aus der aktuellen Heftausgabe von BÖRSE ONLINE (24/25), die Sie hier finden.
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Hinweis auf Interessenkonflikte
Der Vorstand und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: BioNTech.