Vor Jahresfrist hatte es Joachim Wenning schwer. Bei seiner ersten Hauptversammlung als Vorstandschef von Munich Re musste er im vergangenen April das schlechteste Konzernergebnis seit 2003 vertreten, einen Überschuss von lediglich 0,4 Milliarden Euro. Drei große Wirbelstürme hatten auch die Bilanz des DAX-Konzerns ramponiert. Beim kommenden Aktionärstreffen am 30. April sieht das schon besser aus: 2,3 Milliarden Euro Gewinn standen 2018 zu Buche. Dennoch bleibt das Rückversicherungsgeschäft, die Übernahme von Risiken anderer Versicherer, anfällig für starke Schwankungen, beispielsweise durch Naturkatastrophen. €uro am Sonntag sprach mit Wenning in der Münchner Zentrale über das komplexe Geschäft mit Turbulenzen.

€uro am Sonntag: Herr Wenning, Klimawandel, Terrorismus, politische Unwägbarkeiten - man könnte meinen, die Welt wird immer gefährlicher. Stimmt der Eindruck?
Joachim Wenning: Pauschal stimmt das so nicht. Kriege waren in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten sicherlich ein größeres Thema. Auch vom Terrorismus ging in der Vergangenheit oftmals Gefahr aus. Anders ist es mit dem Klimawandel.

Weshalb?
Der hat noch gar nicht richtig zugeschlagen. Klar ist: Es wird mehr extreme Wetterphänomene geben. Das können Dürren oder Überschwemmungen sein, Stürme und Brände. Und sie werden in ihren Auswirkungen größer sein als die Naturkatastrophen der Vergangenheit. All das gilt schon, wenn die weltweite Durchschnittstemperatur nur um 1,5 Grad steigt, wie das Pariser Klimaschutzabkommen anstrebt.

Und wenn der Klimawandel ­ungebremst weitergeht?
Dann wird es zu einem Anstieg um 3,5 bis vier Grad kommen. Und die unkontrollierten Klimaphänomene werden überproportional stark zunehmen.

Die USA sind aus dem Pariser Vertrag ausgetreten. Was halten Sie davon?
Ich halte es für verantwortungslos, den Klimawandel zu leugnen. Es sind Anpassungen der Gesellschaften notwendig, um von der fossilen zur nicht fossilen Energieerzeugung zu wechseln. Dieser Übergang ist schon sehr schwierig für jene, die den Klimawandel als Phänomen akzeptieren. Umso schlimmer, wenn er geleugnet wird.

Hätten Sie gern eine andere US-Regierung?
Mir geht es um die Fakten: Der Klimawandel ist da, und entsprechend sollten alle auf der Welt handeln, auch die Vereinigten Staaten. Ohne eine globale Allianz werden wir den Klimawandel nicht aufhalten.

Nützt der Klimawandel Ihrem Geschäft? Immerhin könnte der Wunsch der Menschen wachsen, sich gegen die Folgen abzusichern.
Munich Re hat 1970 als erstes Unternehmen der Welt öffentlich auf einen voraussichtlichen Klimawandel hingewiesen. Diese Warnung haben wir in den folgenden Jahrzehnten immer wieder vorgebracht. Damals sagten manche, wir malten den Teufel an die Wand, nur um unser Geschäft anzukurbeln. Dieser Vorwurf war offensichtlich nicht zutreffend. In dem Zusammenhang ist aber ein ganz anderes Phänomen relevant.

Welches?
Schon heute ist nur ein Bruchteil der Naturkatastrophen versichert. Selbst in dem reichen Land USA sind es lediglich 50 Prozent. In den ärmsten Ländern liegt der Anteil bei null Prozent, im globalen Schnitt sind es 30 Prozent. Eine größere Verbreitung von Versicherungen ist dringend nötig. Auch ohne Klimawandel gibt es noch ein riesiges Potenzial - auch für uns. Katastrophen gehören zu unserem Geschäft, aber auch in anderen Bereichen sehen wir erhebliche Wachstumschancen.

Was meinen Sie damit?
Beispielsweise Cyberkriminalität, also Datenklau und Sabotage in der digitalen Ökonomie. Denken Sie an die unzähligen Einfallstore, die allein durch die Vernetzung von Maschinen, Geräten im Haushalt oder von Fahrzeugen entstehen. Das sind neue Phänomene. Da können teilweise erhebliche Schäden entstehen. Schon heute werden sie weltweit auf 600 Milliarden Dollar geschätzt und nicht einmal ein Prozent davon ist über Cyber-Versicherungen abgedeckt. Schäden und Versicherungen werden stark wachsen, und wir werden mit von der Partie sein.

Bisher gibt es erst wenige Erfahrungen mit solchen Schäden. Könnte es deshalb für Munich Re in diesem neuen Markt nicht sehr schnell sehr teuer werden?
Die Kunst des Risikomanagements liegt darin, das zu verhindern. Der unschätzbare Nutzen von Versicherung ist, Absicherung schon dann zu gewährleisten, wenn die einzelnen Risiken noch gar nicht präzise ermessen werden können. Das geht über ein stark diversifiziertes Portfolio …

… also Verträge über viele Risiken, die unabhängig voneinander sind …
… wo also der Schaden im einen Fall nicht automatisch zum Schaden in allen anderen Fällen wird. Bei der Absicherung weltweit vernetzter globaler Konzerne ist deshalb schon Vorsicht geboten. Und bei ganzen Netzwerken halten wir uns komplett heraus. So werden Sie in der gesamten Branche niemanden finden, der die Folgen eines Ausfalls des Internets versichert. Stattdessen bieten wir vor allem Lösungen für kleine und mittlere Unternehmen sowie Verbraucher. Ich rechne fest damit, dass die im Lauf der Zeit bereit sind, mehr Geld für Versicherungsschutz auszugeben.

Akzeptiert. Das ist ein neues Geschäftsfeld. Auf der anderen Seite sind Ihnen traditionelle Umsätze verloren gegangen: Als Rückversicherer übernehmen Sie Risiken von Erstversicherern. Gerade die global tätigen Erstversicherer behalten immer mehr Risiken bei sich selbst, weil sie die Gefahren wegen ihrer schieren Größe inzwischen selbst tragen können. Wie können Sie diesen Beitragsschwund kompensieren?
In der Tat landet jetzt viel Geschäft im Selbstbehalt der Erstversicherer, was früher an uns gegangen wäre. Das ist aber in unseren Wachstumserwartungen schon berücksichtigt. Es gibt hin­gegen einen gegenläufigen Effekt dieses sogenannten wachsenden Selbstbehalts. Weil die Erstversicherer mehr Risiken in Eigenregie tragen, schwankt ihr Gewinn stärker. Manche wollen das ­ihren Aktionären nicht zumuten. Und dann kommen wir als Rückversicherer wiederum ins Spiel. Außerdem gibt es heute Nachfragen, die es vor zehn Jahren nicht gegeben hat.

Die Fortsetzung des Interviews mit Joachim Wenning, dem Munich-Re-Chef, lesen Sie auf der nächsten Seite!

Welche?
Beispielsweise Transaktionen, um das Kapital zu entlasten. Hintergrund ist, dass jeder Versicherer für alle seine Risiken ein bestimmtes Maß an Kapital vorhalten muss. Damit liegt es nahe, einen Teil dieses Geschäfts an den Rückversicherer zu übertragen, um das dadurch frei werdende Kapital für andere Zwecke einzusetzen. In der Summe bringt uns das ein paar Milliarden Euro an Beitragseinnahmen pro Jahr - Tendenz steigend.

Das klingt so, als sei profitables Wachstum leicht zu erzielen. Die Geschäftszahlen Ihres Hauses ­sprechen eine andere Sprache. Der Gewinn ist von 2014 bis 2017 kontinuierlich geschrumpft. 2018, dem ersten kompletten Jahr Ihrer Amtszeit, stieg der Wert zwar auf 2,3 Milliarden Euro, lag aber unter dem Niveau von 2014.
Es gibt keine Zauberformel für Wachstum. Wir wollen in allen Geschäftsbereichen sukzessive unsere Attraktivität als Anbieter verbessern, dadurch mehr Geschäft beziehungsweise höhere Margen generieren. Das ist ein sehr disziplinierter, sehr organischer Ansatz. Darauf habe ich seit meinem Amtsantritt vor zwei Jahren Wert gelegt, und das zeigt erste Erfolge. Unser Ziel ist, 2020 einen Gewinn von rund 2,8 Milliarden Euro zu erreichen. Wir werden liefern, da bin ich mir sicher.

Wie ist das erste Quartal 2019 gelaufen?
Ich verstehe Ihr Interesse, bitte Sie aber um Geduld. Zu den Geschäftszahlen des ersten Quartals informieren wir am 8. Mai.

Sie haben erstmals in der Geschichte von Munich Re in der Zen­trale planmäßig Stellen abgebaut. Warum war das nötig?
Wir führen ein Unternehmen. Dazu gehört, die Komplexität, die sich in einer wachsenden Organisation naturgemäß aufbaut, auch wieder aufzulösen. Das Mitarbeiterprogramm war freiwillig und lief sehr geräusch­los. Jetzt machen wir mehr Geschäft mit weniger Aufwand. Das ist übrigens auch im Sinn unserer Mitarbeiter: Für Kunden Lösungen zu entwickeln, macht mehr Spaß, als an internen Prozessen zu arbeiten.

Wachstum wäre auch durch Zukäufe möglich. Ist da aktuell etwas in Aussicht?
Grundsätzlich passen Spezialversicherer strategisch gut, die in aus­gesuchten Nischen aktiv sind. Hier wachsen wir seit zehn Jahren vornehmlich durch Übernahmen und haben weiterhin Appetit. Auch die klassische Erstversicherung kommt infrage. Unser Fokus liegt aber vorläufig auf der erfolgreichen Umsetzung des Ergo-Strategieprogramms. In der Rückversicherung sind Übernahmen sehr unwahrscheinlich. Sie würden keinen Mehrwert für die Aktionäre bieten.

Die Allianz ist einer der größten ­Vermögensverwalter der Welt. Das Geschäft mit den Investments Dritter wurde seit der Jahrtausendwende aufgebaut. Ist das ein Vorbild für Sie?
Strategisch würde das auch für uns passen. Aber um das erfolgreich zu betreiben, müssten wir einen sehr großen Zukauf machen. Das steht für uns nicht zur Diskussion. Wir ­haben aber die Verantwortung für die gesamte Kapitalanlage im Konzern auf eine einzige Person konzentriert …

… den Briten Nicholas J. Gartside, der von der amerikanischen Bank JP Morgan kommt ...
... und im Konzernvorstand als Chief Investment Officer arbeitet. Ziel ist es, auch in der Vermögensverwaltung höhere Erträge zu erwirtschaften.

Ihre Erstversicherungstochter Ergo steckt im Umbau. 1997 hat Munich Re die Verantwortung übernommen, seitdem wurde die Hoffnung auf nachhaltigen Gewinn regel­mäßig enttäuscht. Warum sollte es ­ausgerechnet jetzt klappen?
Es klappt. Wir haben bei Ergo solch rigorose Umbaumaßnahmen vorgenommen wie noch nie zuvor. Und wir haben mit Markus Rieß …

… dem ehemaligen Chef der Allianz Deutschland …
… und seiner erneuerten Mannschaft ein überzeugendes Management-Team. Die Verbesserung der Performance ist messbar, Ergo hat ihr Gewinnziel auch 2018 übertroffen. Deswegen bin ich zuversichtlich: Wenn der Umbau wie geplant 2021 abgeschlossen ist, werden wir als Gruppe stärker sein, als wir ohne Ergo wären. Dann sind, wie gesagt, auch Akquisitionen bei Ergo vor­stellbar.

Kaum ein Rückversicherer weltweit hat einen großen Erstversicherer in seinem Portfolio. Weshalb gehen Sie diesen Sonderweg?
Er macht uns kompetitiver. Erstens: Für Rückversicherer ist das gut, weil sich durch Ergo die Diversifikation erhöht und Kapital freisetzt. Zweitens: Das Wachstum ist am Anfang der Wertschöpfungskette größer geworden als am anderen Ende. Und dort operieren Erst- und Spezialversicherer. Diese Entwicklung wird in Zeiten der Digitalisierung noch beschleunigt.

Fast so wichtig wie das eigentliche Geschäft ist für Versicherer das Zinsniveau. Die Prämien wollen ­angelegt sein, und das geschieht meist in Form von Anleihen - der ­Sicherheit wegen. Stecken wir schon mitten in der Zinswende?
Meine persönliche Sicht auf die kommenden fünf Jahre ist: Ich erwarte keine Rückkehr zu Zinsniveaus, wie wir sie vor der Finanzkrise hatten - leider! Und ich hoffe, ich liege falsch. Denn es belastet unser Geschäftsmodell. Diese Effekte sind aber bei uns eingepreist. Unsere Prognosen für unser Wachstum gehen davon aus, dass der Status quo fortgeschrieben wird.

Bei Munich Re denken viele Anleger zuerst an die hohe Dividende. Können Sie die aus dem aktuellen Geschäft finanzieren oder zehren Sie vom Reichtum der Vergangenheit?
Das stammt aus den laufenden Gewinnen, wir leben nicht von der Substanz. Bei wachsenden Erträgen kann auch die Dividende zunehmen. So haben wir der kommenden Hauptversammlung einen Anstieg für 2018 von 8,60 auf 9,25 Euro empfohlen. Wir haben auf lange Sicht die Ambition, die Ausschüttung nicht zu senken und - wenn möglich - zu steigern. Das ist uns seit 1969 jedes Jahr gelungen, das gibt es selten.

Kurzvita
Joachim Wenning (54) ist seit April 2017 Vorstandschef von Munich Re und hat sein gesamtes Arbeitsleben dort verbracht. Er wurde in Jerusalem geboren, wo sein Vater als Textil­ingenieur arbeitete. Nach einem Volkswirtschaftsstudium in München trat er 1991 bei der Münchener Rück ein, wie der Konzern damals noch hieß, und promovierte parallel. Nach Karrierestufen im In- und Ausland rückte er 2009 in den Vorstand auf. Wenning ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Zu seinen Hobbys zählen Opern, selbst spielt er Klavier und Westerngitarre.

Munich Re: Weltweit die Nummer 1
Der Münchner DAX-Konzern ist der weltweit führende Rückversicherer. Mit der Tochter Ergo in Düsseldorf ist Munich Re auch in der Erstversicherung präsent. Für 2018 wurden 49,1 Milliarden Euro Bruttobeiträge gebucht. Das Konzernergebnis lag bei knapp 2,3 Milliarden Euro. Für 2020 werden 2,8 Milliarden Euro Ergebnis avisiert. Für die Hauptversammlung am 30. April werden 9,25 Euro Dividende pro Aktie vorgeschlagen, 65 Cent mehr als im Vorjahr. Solides Investment mit nachhaltig hoher Dividendenrendite.