Wer in diesen Tagen durch Venedig schlendert, fühlt sich in eine längst vergangene Zeit zurückversetzt. Eine Zeit ohne Massentourismus und riesige Kreuzfahrtschiffe, die Tag für Tag Tausende Besucher für ein paar Stunden von Bord lassen, die sich durch die engen Gassen der Lagunenstadt drängen. Sogar auf dem weltberühmten Markusplatz tummeln sich derzeit nur wenige Menschen. In den sonst zum Bersten vollen Cafés bleiben die Tische leer. Über kurz oder lang dürfte sich das - nicht nur in Venedig - wieder ändern.

Anleger schöpfen die Hoffnung, dass die wegen der Corona-Krise komplett zum Erliegen gekommene Tourismusbranche, die in den vergangenen Monaten einige spektakuläre Pleiten oder Beinahe-Pleiten wie bei der Lufthansa verkraften musste, wieder Fahrt aufnimmt.

Schiffe stechen wieder in See

In den Chefetagen der Großreedereien wie Royal Caribbean Cruises, TUI Cruises oder der Aida-Mutter Carnival wird längst am Neustart nach dem Lockdown gefeilt. Nach der monatelangen Zwangspause legt der erste Aida- Dampfer Anfang August in Hamburg ab. Auch Italien-Fahrten sind wieder geplant. Die Kreuzfahrtschiffe werden aber mit deutlich weniger Passagieren als üblich in See stechen. Bei TUI Cruises, einem Gemeinschaftsunternehmen des weltgrößten Reisekonzerns TUI und Royal Caribbean, geht es schon Ende Juli los. Auf Landgänge und diverse Annehmlichkeiten müssen die Kreuzfahrer aber vorerst verzichten.

Auch wenn es noch ein langer Weg zurück zur gewohnten Normalität ist: Der beispiellose Absturz der Aktienkurse der großen Touristikkonzerne ist vorerst gestoppt.

Gestärkt aus der Krise

Nach einem massiven Umsatzeinbruch und einem Verlust von mehr als vier Milliarden Dollar im zweiten Quartal sieht Arnold Donald, Chef des weltgrößten Kreuzfahrtkonzerns Carnival, die Nachfrage für Kreuzfahrten im kommenden Jahr wieder steigen. Zudem trimmt Donald die Flotte im Zuge der Corona-Krise auf Effizienz.

Carnival trennt sich in den kommenden drei Monaten voraussichtlich von 13 Schiffen, das entspricht neun Prozent der Gesamtkapazität. Außerdem wurde die Auslieferung geplanter Schiffe weit ins kommende Jahr hinein verschoben. "Auf Jahresbasis haben wir die Betriebskosten bereits um über sieben Milliarden Dollar und die Investitionsausgaben in den nächsten 18 Monaten um mehr als fünf Milliarden Dollar gesenkt", kommentierte Donald die tiefroten Quartalszahlen. Langfristig könnte die Pandemie in diesem Zusammenhang sogar positive Auswirkungen für den Kreuzfahrtriesen haben, schreibt das Analysehaus Jefferies.

Auch bei Konkurrenten wie Norwegian Cruise Lines setzt ein Umdenken ein. Durch die seit Jahren in der Kritik von Umweltschützern stehende Kreuzfahrtbranche geht ein Ruck mit womöglich weitreichenden positiven Veränderungen. Das Beispiel Venedig zeigt es: Zu alter Normalität mit Massentourismus will hier kaum jemand zurück. Der Trend geht in Richtung umweltbewussteres Reisen.

Schon seit Jahren setzt Donald etwa durch den Einsatz alternativer Antriebstechnologien auf Nachhaltigkeitsstrategien, die den Urlaub auf hoher See attraktiver machen sollen. Für den Carnival-Chef ist die Corona-Krise eine Chance, Ballast über Bord zu werfen und den Konzern wieder in ruhigeres Fahrwasser zu manövrieren.


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Angst vor der zweiten Welle

Eine Pleite des Hannoveraner Touristikriesen TUI, der nur dank eines staatlich garantierten Kreditpakets weiterarbeiten konnte, ist vorerst vom Tisch. TUI-Chef Friedrich Joussen verordnete dem Konzern eine Sparkur, im Zuge derer die Flotte von TUIfly um mehr als die Hälfte schrumpft und 8.000 Jobs wegfallen. Langfristig will Joussen die Verwaltungskosten um ein Drittel senken. Die jüngsten Buchungszahlen machen wieder Mut. So kehrt die Reiselust schneller als erwartet zurück. "Die Aussichten für den Sommer 2021 sind vielversprechend", hieß es zuletzt.

Wieder steigende Corona-Fallzahlen in wichtigen Reiseländern wie Italien, Spanien, Griechenland oder Kroatien und mögliche neue Reisebeschränkungen könnten für den TUI-Lenker aber zum Problem werden. Wie sehr sich die Urlauber von den Fallzahlen beeinflussen lassen, verkündet der Touristiker Mitte August. Die Gefahr einer zweiten Corona-Welle ist keineswegs gebannt. Wegen dieser Unsicherheit kam die TUI-Aktie zuletzt wieder unter Druck.

Krisenfester zeigt sich die Aktie des Online-Reisebüros Booking (ehemals Priceline.com), in Deutschland insbesondere bekannt für die Hotelbuchungsplattform Booking.com und die Reisesuchmaschine Kayak. Seit dem Mehrjahrestief im März zum Höhepunkt der Krise legte die Aktie rund 50 Prozent zu.

Für die Amerikaner spielt es keine Rolle, in welche Regionen der Welt die Menschen verreisen - solange sie reisen. Um leerstehende Hotels in besonders vom Virus betroffenen Regionen wie etwa der Türkei, für die nach wie vor eine Reisewarnung der Bundesregierung besteht, muss sich Konzernchef Glenn Fogel nicht sorgen. Als Online-Reisevermittler ohne eigene Hotels, Flugzeuge oder Kreuzfahrtschiffe profitiert Booking in Krisenzeiten von niedrigen Fixkosten.

Auf dem Weg nach oben

Die Pandemie geht natürlich auch an Booking nicht spurlos vorbei. Immerhin kam der weltweite Tourismus zum Höhepunkt der Krise vollständig zum Erliegen. Für 2020 rechnen Analysten im Schnitt daher mit einem deutlichen Umsatz- und Ergebnisrückgang. Ein Jahresverlust bleibt dem Konzern und den erfolgsverwöhnten Aktionären aber wohl erspart. Für 2021 stehen die Zeichen wieder auf Wachstum. Zumindest, solange eine zweite Corona-Welle ausbleibt und Regierungen keinen neuen Lockdown beschließen.

Eine nachhaltige Trendwende im Tourismussektor wird wohl erst ein Corona-Impfstoff oder ein wirksames Medikament gegen das Virus bringen. Wann und ob überhaupt ein Impfstoff oder eine Behandlung zur Verfügung stehen, darüber sind sich Experten nach wie vor uneins. Gelingt der Medizin der Durchbruch, dürfte die stark angeschlagene Tourismusbranche einer der größten Profiteure sein.
 


INVESTOR-INFO

Booking

Im grünen Bereich

Das Online-Reisebüro Booking kommt vermutlich mit einem blauen Auge durch die Corona-Krise. Für 2020 rechnen Analysten mit einem Nettogewinneinbruch von 4,4 Milliarden auf knapp 600 Millionen Dollar. Verschärft sich die Lage nicht weiter, dürften die Amerikaner im kommenden Jahr aber wieder knapp drei Milliarden Dollar verdienen. Risikofreudige Anleger setzen mit der Aktie auf eine Erholung des Sektors.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 1.900,00 Euro
Stoppkurs: 1.150,00 Euro

Carnival

Kreuzfahrer Nummer 1

Der weltgrößte Kreuzfahrtkonzern könnte langfristig mit einer auf Effizienz getrimmten Flotte als Gewinner aus der Krise hervorgehen. Bis dahin dürfte Carnival in unruhigem Fahrwasser bleiben. Im laufenden Geschäftsjahr fährt Carnival voraussichtlich einen Milliardenverlust ein. Für 2021 rechnen Analysten mit einer Erholung. Schwarze Zahlen sind wohl erst 2022 wieder drin. Spekulativ.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 14,00 Euro
Stoppkurs: 8,50 Euro

TUI

Große Unsicherheiten

Der Lockdown verhagelt TUI die Bilanz. Für das laufende Geschäftsjahr per Ende September rechnen Analysten mit einem Fehlbetrag von 1,4 Milliarden Euro. Im kommenden Geschäftsjahr könnte den Hannoveranern wieder der Sprung in die Gewinnzone gelingen, prognostizieren Analysten. Die kommenden Wochen bleiben angesichts der nicht prognostizierbaren Corona-Zahlen aber von Unsicherheit geprägt. Halteposition.

Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 4,50 Euro
Stoppkurs: 3,25 Euro