Sofort geht es abwärts: Nach einer halben Stunde Handel hat der amerikanische Aktienindex S & P 500 sieben Prozent an Wert verloren. An dieser Schwelle greift der Notmechanismus: Für 15 Minuten wird der Handel ausgesetzt. Dadurch soll eine Panik verhindert werden. Der Donnerstag war der zweite brutale Tag der Woche für die Finanzmärkte. Rote Zahlen rund um den Globus, quer durch alle Branchen.

Der erste Schlag kam aus einer völlig unerwarteten Richtung: vom Ölmarkt. Mitten hinein in die nicht abreißenden Corona-­Hiobsbotschaften platzte die Nachricht, dass Saudi-Arabien und Russland einen handfesten Ölpreiskrieg angezettelt haben. Beide Länder planen, ab 1.  April ihre Förderquoten deutlich zu erhöhen, während die Nachfrage aufgrund der Co­rona-Eindämmungs­maß­nahmen schrumpft. Der Ölpreis brach am Montag um 30 Prozent ein und riss die Aktienmärkte mit in die Tiefe.

Der zweite Schlag kam aus Washington: Donald Trump verhängte einen Einreisestopp gegen Europa und sendete damit ein klares Signal, dass die Lage ­eskaliert. EZB-Chefin Christine Lagarde konnte wenige Stunden später am Donnerstag mit ihrem Maßnahmenkatalog - keine Zinssenkung, jedoch Ausweitung der Anleihekäufe und Liquiditätsspritzen für Banken - den von Trump ausgelösten Ausverkauf an den Börsen nicht stoppen. Am Freitag, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe, wollte die deutsche Regierung ihren Hilfsplan für Unternehmen verkünden.

Die Kursverluste der Aktienmärkte sind brutal: Der DAX hat mehr als 4000 Punkte abgegeben. Sollen Anleger jetzt aussteigen? Oder ist das die Gelegenheit, sich mit Aktien einzudecken? Welche Folgen der neuerliche Crash konkret hat, wie Profis die Lage einschätzen und wie es um den sicheren Hafen Gold steht, lesen Sie auf den folgenden Seiten.

Bereits vor vier Jahren, Anfang 2016, ist der Ölpreis einmal unter 30 Dollar pro Barrel gefallen. Das wurde damals wie heute als Vorbote einer globalen Konjunkturschwäche interpretiert und sorgte für sinkende Aktienkurse, schließlich ist die Ölnachfrage eines der Konjunkturbarometer schlechthin. "Tatsächlich wirkte der niedrige Ölpreis damals eher belebend, und ähnlich sehen wir es jetzt auch", sagt Eugen Weinberg, Chef der Rohstoffanalyse der Commerzbank. Er rechnet ohnehin nicht mit dauerhaft billigem Öl, erwartet zum Ende des Jahres sowohl steigende Preise als auch ein Anziehen der Weltkonjunktur. "Wir sehen das als Chance für eine Entlastung, ein niedriger Ölpreis kann eine Konjunkturschwäche dämpfen", so Weinberg.

Ölkonzerne unter Druck


Das gilt natürlich nicht für Öl exportierende Länder wie Mexiko, Kolumbien oder Norwegen, wo die Wirtschaft am Ölbohrgeschäft hängt. Entsprechend leiden auch die Ölkonzerne. Während globale Unternehmen wie Royal Dutch Shell oder BP schon häufig bewiesen ­haben, dass sie solche Phasen mit Sparmaßnahmen und Einbußen aussitzen können, steht für die Unternehmen des amerikanischen Fracking-Sektors mehr auf dem Spiel. Im Durchschnitt liegt die Gewinnschwelle für sie wohl bei einem Ölpreis von rund 40 Dollar, viele Firmen sind hoch verschuldet und können schnell Liquiditätsprobleme bekommen. Anleger trennten sich deshalb schnellstmöglich von Unternehmensanleihen aus der Branche. Die Papiere waren vielen Fondsmanagern bereits vor den Ereignissen zu riskant geworden, selbst im Vergleich zu anderen Hochzins-Bonds.

Doch wie sollen Anleger sich verhalten, abgesehen vom Segment der Fracking-Bonds? Jetzt noch aussteigen, weil alles noch viel schlimmer werden wird? Die Historie spricht eher dagegen: Nach großen Kursverlusten setzen Erholungen oft so plötzlich ein, dass Anleger, die einsteigen wollten, wenn es wieder aufwärts geht, erhebliche Kurssteigerungen verpassen. "Das Coronavirus wird uns in der Realität länger beschäftigen, als es die Märkte beeinflusst", sagt Steven Andrew, Fondsmanager des M & G Income Allocation. Natürlich fällt es aber schwer zuzusehen, wie das Geld im Depot immer weniger wird. Eine Übersicht der Fondsgesellschaft Schroders ermuntert jedoch zum Aussitzen: Jeweils ein Jahr nach den zehn schlechtesten Tagen des S & P 500 lag der breite US-Index in acht Fällen deutlich zweistellig im Plus. Fünf Jahre nach den Kursstürzen war der S & P 500 immer im Plus.

Ebenfalls eine interessante statistische Beobachtung: Phasen, in denen der Volatilitätsindikator VIX, ein Panikbarometer (siehe Grafik rechts), in die Höhe schoss, erwiesen sich mittel- und langfristig in der Regel als gute Kaufgelegenheiten. "Immer wenn der VIX über 32,9 stieg, ist der S & P 500 in den folgenden zwölf Monaten im Durchschnitt um 25 Prozent gestiegen", heißt es bei Schroders. Und eine Strategie, bei der Anleger jedes Mal aus dem S & P 500 aussteigen, wenn der VIX über 32,9 klettert, und wieder einsteigen, wenn der Panikindikator unter diese Marke fällt, hätte seit 1991 schlechter abgeschnitten, als wenn man einfach investiert geblieben wäre. Bereits ohne Berücksichtigung der Kauf- und Verkaufsgebühren beträgt der Renditeabstand zwischen den beiden Strategien 2,5 Prozentpunkte pro Jahr.

Natürlich kann niemand vorhersagen, ob es auch diesmal so kommen wird. Dass es in den nächsten Wochen noch mehrmals an den Märkten abwärts geht, ist durchaus wahrscheinlich. "Ängste und Befürchtungen über die Branchen hinweg werden zu BIP-­Einbrüchen führen und zu entsprechenden Reaktionen der Märkte", sagt Dan Ivascyn, Chief Investment Officer bei Pimco. "Wir müssen ein gesundes Maß an Respekt vor unberechenbaren Situationen am Markt haben."

Es wird nicht zuletzt von den fiskalpolitischen Maßnahmen in der EU und in den USA abhängen, ob und wann sich die Märkte beruhigen. Donald Trumps Vorschlag, die Lohnsteuern zu senken, stieß beispielsweise auf wenig Zustimmung. Denn viel dringender wären Hilfen, die direkt vor allem kleinen und mittleren Unternehmen zugutekommen. Mehr Geld in den Taschen der Verbraucher bringt erst einmal wenig, wenn diese sich aufgrund "sozialer ­Distanzierung" bei Freizeitaktivitäten stark zurückhalten.

Tourismus am härtesten getroffen Im Laufe der Woche gingen die Aktienkurse deutlich nach unten, das Zwischenhoch am Dienstag mit einem Plus von fast fünf Prozent beim amerikanischen Dow Jones zeigte aber auch, wie intensiv eine Erholung ausfallen kann. Unter dem Strich wurden alle Sektoren in Mitleidenschaft gezogen. Selbst eigentlich defensive Branchen wie Pharma und Immobilien riss der breite Ausverkauf nach unten. Für die deutsche Wirtschaft prognostiziert Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) eine "Rezession im Zeitraffer".

Im Zentrum der Sturms bleibt die Tourismusindustrie. Prominentestes Krisenopfer aus Deutschland ist dabei die Lufthansa. Weil Unternehmen ihre Geschäftsreisen auf das Notwendigste reduziert haben, bleiben viele Plätze in der für die Airline wichtigen Business-Klasse leer - jetzt kommt das Embargo der USA für Reisende aus Europa hinzu. Analysten haben ihre Gewinnschätzungen für die Kranich-Airline kräftig gekürzt, kalkulieren aber noch immer mit einem deutlich positiven Jahresergebnis. Am kommenden Donnerstag wird die Fluggesellschaft ihre Geschäfts­ergebnisse für das vergangene Jahr präsentieren, das Interesse der Börsianer wird sich dabei allerdings auf die aktuelle Lage konzentrieren.

Durch den Kurssturz sind die Bewertungskennziffern deutlich gesunken: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des DAX ist von 14 auf rund zehn gefallen und liegt damit mehr als 15 Prozent unter dem langjährigen Durchschnitt. Das Misstrauen in die Gewinnschätzungen der Analysten ist allerdings groß. Niemand kann voraussagen, wie lange die Krise anhalten wird und welche Kettenreaktionen entstehen. Für die Masse der Unternehmen wird es ein brutales Jahr: Die Aktienmarktstrategen von Goldman Sachs kürzten zum zweiten Mal innerhalb eines Monats ihre Gewinnprognose für die Unternehmen des amerikanischen S & P 500 und rechnen jetzt für zwei Quartale mit einem Rückgang um jeweils mindestens zwölf Prozent.

Die DZ Bank geht inzwischen davon aus, dass die Gewinne der DAX-Konzerne im Gesamtjahr um zehn bis 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr einbrechen werden. Der Abschlag vom Höhepunkt des Gewinnzyklus würde dann dem "normalen Verhaltensmuster" in den vergangenen fünf Rezessionen der deutschen Wirtschaft entsprechen.

Eine wichtige, wenn auch extreme Auffanglinie für den DAX liegt bei knapp 8200 Punkten. Dort steht dem Finanzdienst Bloomberg zufolge der Buchwert des Index. Das bedeutet: Auf diesem Niveau wäre der Kurswert durch die Vermögenswerte in den Unternehmensbilanzen gedeckt. Auch wenn Buchwerte durch Abschreibungen schnell schrumpfen können, müssten spätestens dann die Schnäppchenjäger in den Markt drängen.

Optimistisch für das zweite Halbjahr


Die DZ Bank macht Aktionären Hoffnung: In den kommenden Wochen würden zwar die Sorgen um die Folgewirkungen überwiegen, das allerdings könnte den Weg bereiten für "eine der besten Anlagemöglichkeiten für Aktienanleger der vergangenen Jahrzehnte".

Viele Ökonomen rechnen mit einer deutlichen Konjunkturbelebung in der zweiten Jahreshälfte. Bloomberg-Analysten schätzen, dass die chinesische Wirtschaft bereits wieder bei 70 bis 80 Prozent ihres normalen Aktivitätslevels operiert, selbst in der am schlimmsten betroffenen Stadt Wuhan dürfen erste Firmen die Arbeit wieder aufnehmen.

Auch deutsche Unternehmen wie Daimler berichten von langsamer Rückkehr zu Normalität bei chinesischen Partnern. "Es gilt auch zu bedenken, dass das, was wir momentan sehen, eher dem Drücken auf den "Pause-­Knopf" entspricht als einer echten Rezession", meint M & G-Manager Steven Andrew. "Es gibt niedrige Zinsen, billiges Öl und fiskalische Hilfsmaßnahmen - wir können alle durchaus ein kleines bisschen optimistischer sein."

Jörg de Vries-Hippen im Interview: "Natürlich geht das in die Knochen"


Der Investmentchef für europäische Aktien bei Allianz Global Investors über Handeln in turbulenten Zeiten.

€uro am Sonntag: Wie haben Sie den Crash am Montag erlebt?
Jörg de Vries-Hippen: Es war schmerzvoll. Ich war mit den Bewertungen der Aktienmärkte schon länger nicht mehr im Reinen und habe mit einer schwierigen Phase gerechnet, aber nicht mit dem, was wir jetzt sehen. Es geht ja nicht nur um den Montag.

Kann man als Fondsmanager da wirklich ruhig bleiben?
Natürlich geht einem so eine Phase in die Knochen, egal wie erfahren man ist. Dass ich persönlich ruhig bleibe, ist aber nicht entscheidend. Wir müssen alles tun, damit die Kunden es auch bleiben und nicht unüberlegt handeln.

Nach welchen Kriterien verkaufen Sie an solchen Tagen?
Maximal verkauft man das, was für einen selbst die schwächste Position im Portfolio ist. Aber man hat eine Strategie, die man weiter verfolgt. Wenn Sie plötzlich etwas ganz Neues versuchen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Sie viele Fehler ­machen.

Wie geht es weiter?
Wie es aussieht, haben wir in Europa noch lange nicht den Höhepunkt der Epidemie erreicht. Die Amerikaner stehen erst am Anfang. Die Unsicherheit wird also noch einige Zeit hoch bleiben. Erst wenn Corona mit einem normalen Grippevirus vergleichbar wird, kann sich die Börse beruhigen. Die Frage ist, was bis dahin in der Realwirtschaft passiert ist.

Sind weitreichende Quarantäne-­Maßnahmen wirklich angemessen angesichts der enormen wirtschaftlichen Schäden?
Es läuft eine Grippewelle über Europa, jetzt kommt das Corona­virus dazu. Was getan wird, ist, dass man Menschenleben vor wirtschaftliche Leistung stellt. Wenn ich Gesundheitsminister wäre, ich würde wahrscheinlich nicht anders handeln als Herr Spahn.

Müssen wir uns darauf einstellen, dass die Weltwirtschaft künftig alle paar Jahre in eine Virus-Rezession gerissen wird?
SARS war extrem gefährlich, aber regional begrenzt. Corona ist ein globales Phänomen und darum etwas völlig Neues. Beim ersten Mal reagieren die Börsen heftig, bis sie das Schema gelernt haben. Wenn das Wirtschaftssystem Corona überstanden hat, wird die Reaktion der Finanzmärkte auf ein ähnliches Szenario beim nächsten Mal wahrscheinlich nicht so extrem ausfallen.

Welche Aktien-Investments machen jetzt am ehesten Sinn?
Wenn Sie langfristige Dividende und ein vernünftiges Bewertungsniveau suchen, landen Sie bei den Versicherungen. Die Branche gefällt mir weiterhin sehr gut, weil die Unternehmen dort ein relativ stabiles Geschäft haben und vernünftige Möglichkeiten, ihre Preise im Markt durchzusetzen.

Sollte man jetzt schon auf ein Comeback der Zykliker setzen?
Im Moment würde ich bei den stabilen Sektoren bleiben. Bei Zyklikern würde ich warten, bis erste Zeichen der Besserung zu erkennen sind, und dann am ehesten Industriewerte kaufen.