Für Börsianer war es ein Schock: Zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt ist die Zahl der Netflix-Kunden gesunken. Rund 2,5 Millionen zusätzliche Nutzer hatte die Internetvideothek aus Kalifornien für das erste Quartal in Aussicht gestellt. Tatsächlich schrumpfte der Kundenstamm um 200.000. Die für extreme Ausschläge bekannte Aktie von Netflix stürzte nach Veröffentlichung der Quartalsergebnisse um mehr als 35 Prozent ab.

Zum Teil lässt sich die Enttäuschung durch Russland erklären. Auch Netflix hat sein Geschäft dort eingestellt. Das hat 700.000 Kunden gekostet. Bereinigt um diesen Effekt ist Netflix also gewachsen, aber bei Weitem nicht so stark wie geplant. Der schwache Jahresstart dürfte zudem kein einmaliger Ausrutscher sein: Für das zweite Quartal rechnet Netflix jetzt mit einem Kundenschwund von zwei Millionen. Konzernchef Reed Hastings übt Selbstkritik: Das außergewöhnlich starke Wachstum im Corona-Jahr 2020 habe die Sicht auf die Marktentwicklung verschleiert. Die Rückgänge 2021 habe man durch Vorzieheffekte der Pandemie erklärt.

Jetzt glaubt Hastings, andere Faktoren zu erkennen. Einer davon ist der verschärfte Wettbewerb durch Konkurrenten wie Disney. Auch ein weiteres, ebenfalls bekanntes Phänomen wird jetzt als Problem deklariert: die hohe Zahl der Nutzer, die das Programm über das Konto eines Bekannten gratis anschauen. Die knapp 222 Millionen zahlenden Kunden teilen ihre Abos demnach mit 100 Millionen weiteren Haushalten. Diese zu zahlenden Nutzern zu machen, ist die große Herausforderung.

Ein Weg sollen neue Angebote sein. Erstmals plant Netflix ein durch Werbung finanziertes und im Gegenzug für den Kunden billigeres Abo. Das ist ein radikaler Kurswechsel für den Konzern, schließlich hatte Hastings ein solches Modell bislang abgelehnt.

Andere Geschäftszahlen waren gar nicht schlecht. Der Gewinn je Aktie lag im ersten Quartal mit 3,53 Dollar über den von Analysten erwarteten 2,91 Dollar. Der Free Cashflow war mit 802 Millionen Dollar positiv und soll auch für das Gesamtjahr im grünen Bereich liegen. Die kritische Frage ist aber, ob der Konzern die Grenzen seines Wachstums erreicht hat. Börsianer zeigen erfahrungsgemäß keine Gnade mit Wachstumswerten, die nicht mehr wachsen.

Das Potenzial liegt vor allem in den Märkten außerhalb Nordamerikas. Hastings verweist darauf, dass Netflix den Rest der Welt nicht einfach nur als Exportmarkt für in den USA produzierte Inhalte betrachte. In mehr als 50 Ländern produziere man eigene Filme und Serien und bediene damit die regionalen Bedürfnisse. Mit der koreanischen Serie "Squid Games" hat Netflix zudem gezeigt, dass auch solche Produktionen weltweit erfolgreich sein können. Genau das ist ein Trumpf im Kampf gegen die Konkurrenz.

Absturz: Netflix hat als Marktführer weiter Potenzial. Derzeit aber fehlt der Aktie ein Impuls für eine Trendwende. Halteposition.

Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 240,00 Euro
Stoppkurs: 170,00 Euro