Verunsicherte Investoren zogen in den vergangenen Wochen vermehrt Geld ab: Der MSCI-Index für Schwellenländer-Aktien ohne China fiel zwischen Mitte Januar und Anfang Februar um etwa sieben Prozent. Für viele dieser Staaten ist die Volksrepublik der wichtigste Abnehmer ihrer Rohstoffe wie Sojabohnen, Kohle oder Metallerz. Deren Preise gerieten in den vergangenen Wochen ins Rutschen, was auf die Währungen der Lieferanten durchschlug: So werteten der brasilianische Real, der chilenische Peso oder der südafrikanische Rand deutlich ab.

"Gewiss wird der schwächere Konsum in China die asiatischen Schwellenländer belasten", fassen die Anlagestrategen vom Vermögensverwalter Nikko zusammen. Vor allem südostasiatische Staaten wie Thailand, Vietnam oder Kambodscha bekämen derzeit die Auswirkungen zu spüren, da der Tourismus aus China quasi komplett zum Erliegen gekommen sei. Der Zeitpunkt des Ausbruchs der Krankheit kurz vor dem chinesischen Neujahr war besonders unglücklich. Zu diesem Anlass ist normalerweise das ganze Land in Bewegung, die Menschen fahren in Urlaub, reisen zur Verwandtschaft und konsumieren überdurchschnittlich viel.

EINDÄMMUNGSMASSNAHMEN KÖNNEN CHINAS WACHSTUM BELASTEN


Die weltweite Konjunktur hängt inzwischen viel stärker vom Wohle Chinas ab als noch während der Sars-Epidemie 2002/2003. "Der Anteil Chinas an der globalen Wirtschaftsleistung hat sich seitdem verdreifacht und China ist zu einem wesentlichen Käufer praktisch jedes Rohstoffs geworden", sagt Portfoliomanager Jeroen Blokland vom Vermögensverwalter Robeco. Die schiere Größe der chinesischen Volkswirtschaft führe dazu, dass andere aufstrebende Länder in der Region zumindest zeitweilig ebenfalls eine Wachstumsdelle erleiden werden.

Die Quarantäne für zahlreiche Millionenstädte wie Wuhan, dem Zentrum der Coronavirus-Krise, könnte das chinesische Wirtschaftswachstum 2020 um 0,4 Prozentpunkte schmälern, prognostiziert Anlagestratege Frank Häusler von der Bank Vontobel. Ursprünglich hatten Experten ein Plus von sechs Prozent erwartet. Sollte die chinesische Industrieproduktion länger ins Stocken geraten, werde sich dies wegen der eng verwobenen Lieferketten vor allem auf Taiwan, Malaysia und Südkorea auswirken, warnt Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank.

LATEINAMERIKANISCHE ROHSTOFFLÄNDER SIND BESONDERS ANFÄLLIG


Bei den Schwellenländern außerhalb Asiens gilt Lateinamerika als besonders anfällig. Im vergangenen Jahr trieben Investoren schwere Unruhen in Chile und in Kolumbien um. Die Bemühungen um marktfreundliche Reformen wurden letztlich zunichte gemacht. "Der Coronavirus-Schreck war sicherlich nicht hilfreich", resümieren die Nikko-Experten.

Wegen der Brisanz hat die Regierung in Peking Experten zufolge keine andere Wahl, als mit allen verfügbaren Mitteln die Verbreitung des Virus zu stoppen. Mit massiven fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen müsse zudem der unvermeidbare scharfen Einbruch der Wirtschaft im ersten Quartal aufgefangen und im weiteren Jahresverlauf wieder ausglichen werden, rät Adolf Rosenstock, volkswirtschaftlicher Berater vom Vermögensverwalter MainSky.

Da die chinesische Notenbank bereits mit Geldspritzen und Zinssenkungen reagiert und die Regierung geringere Steuern und Abgaben in Aussicht gestellt hat, setzen viele Experten auf eine rasche Erholung der Konjunktur in China und weltweit. Große Investmenthäuser wie JPMorgan oder die Vermögensverwaltung der Bank UBS halten an ihren positiven Schwellenländer-Prognosen für 2020 fest. "Die Bewertungen sind wirklich überzeugend, und wir haben Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung gesehen", sagt Portfolio-Manager Robert Phipps vom Vermögensverwalter Per Stirling. "Wenn beim Coronavirus erst einmal die Pausetaste gedrückt ist, wird das meiner Meinung nach wieder der Haupttrend sein."

rtr