Jetzt hat Frau Nahles entnervt aufgegeben. Den großen Volksparteien scheint es schwerzufallen, mit den wichtigen Themen die Wähler zu erreichen. So laufen sie den Zeitgeistthemen hinterher, und niemand weiß, was dabei am Ende für die Wirtschaft herauskommt. Nichts Gutes, glauben offenbar viele Anleger, und so gehen sie auf Nummer sicher. Ablesen lässt sich das an der Realrendite deutscher Staatsanleihen, also der Rendite nach Abzug der Infla­tionsrate. Sie hat gerade wieder den historischen Tiefstand aus dem Jahr 2018 erreicht: minus zwei Prozent. Die Flucht in Qualität findet ihr Spiegelbild in den bröckelnden Aktiennotierungen der vergangenen Tage und den steigen­ den Renditeabständen. So geht sowohl der Spread zu Staatsanleihen aus Ita­lien wie auch zu Unternehmensanleihen wieder auf.

Noch vor den Europawahlen wurden Daten erhoben, deren Ergebnis zu den vorstehenden Überlegungen gar nicht passt. Das Anlegervertrauen ist im Mai gestiegen - zumindest wenn man dem Global Investor Confidence Index von State Street folgt. Er verbesserte sich gegenüber dem April­Wert um knapp zehn Prozent. Im Gegensatz zu anderen Untersuchungen beruht dieser Index nicht auf Umfragen, sondern auf der Analyse des tatsächlichen Kauf­ und Verkaufsverhaltens institutioneller Investoren in der ganzen Welt. Hoffen wir, dass die gestiegene Risikoneigung belohnt wird.

Mit ganz neuen Risiken müssen sich vermeintlich hochmoderne Unternehmen herumschlagen. Seit alles durch die CO2­Brille gesehen wird, muss sich zum Beispiel der Versandhändler Zalando fragen lassen, ob er nicht ein Klimakiller ist: Nicht nur verstopfen immer mehr Zustellfahrzeuge die Straßen, sondern die Retouren in Deutschland nicht abgenommener Ware belasten zudem das Klima wie "täglich 2200 Autofahrten von Hamburg nach Moskau". Das ergab jedenfalls kürzlich eine Studie der Universität Bamberg. Fragt sich, wann Net­flix und Kollegen unter Druck geraten, weil Streaming so viel Strom frisst ...