DAS IST LOS BEI NOVARTIS:


Novartis-Chef Vas Narasimhan hat seit seinem Amtsantritt 2018 beim schweizerischen Pharmariesen viel bewegt. Das von seinem Vorgänger Joseph Jiminez stramm und fast autokratisch geführte Unternehmen machte er in seinen Managementstrukturen beweglicher und transparenter. Inhaltlich soll sich der Konzern unter Narasimhan ganz auf innovative Medikamente konzentrieren.

Dafür brachte der gebürtige Amerikaner mit indischer Abstammung im April 2019 die vorherige Augenheilkundesparte Alcon an die Börse. Inzwischen stellt Novartis aber auch seine Generikasparte Sandoz zur Disposition, bis Ende 2022 soll über ihr weiteres Schicksal entschieden werden. Viele Beobachter rechnen ebenfalls mit einer Abspaltung über die Börse, möglich ist aber auch ein Verkauf.

Schon jetzt macht Novartis den Löwenanteil an Umsatz und Gewinn mit neuartigen Arzneien etwa gegen Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen und genetisch bedingte Krankheiten. Der Konzern setzt etwa auf Zell- und Gentherapien, um das körpereigene Immunsystem zu stimulieren. Damit agieren die Schweizer ganz im Einklang mit dem Trend von "Big Pharma", denn auch andere große internationale Arzneimittelhersteller setzen zunehmend ihren Fokus auf solche lukrativen Teilbereiche der Medizin.

Von Novartis kommt beispielsweise die Genersatztherapie Zolgensma, die bei der Behandlung der spinalen Muskelatrophie eingesetzt wird - ein genetisch bedingter Muskelschwund, der unbehandelt meist zum frühen Tod schon im Säuglingsalter führt. Mit einem Preis von mehr als zwei Millionen Dollar machte das Mittel bei seiner Zulassung 2019 in den USA als teuerstes Medikament der Welt Schlagzeilen.

Kritiker bemängeln aktuell jedoch vor allem das vergleichsweise schwache Umsatzwachstum des Konzerns. Drei Prozent Plus etwa waren es 2020. Dabei spielt auch eine Rolle, dass Novartis trotz großer Namen wie Zolgensma nur vergleichsweise "kleine" Blockbuster zu bieten hat. Die größten Erlösbringer wie das Herzmittel Entresto, Gilenya bei Multipler Sklerose (MS) und das Schuppenflechtepräparat Cosentyx brachten es zusammen im Jahr 2020 auf einen Umsatz von weniger als zehn Milliarden Dollar. Gleich mehrere Milliarden mehr nahm im selben Jahr der heimische Konkurrent Roche - damals gemessen am Umsatz auch weltweiter Marktführer - mit seinen drei Spitzenprodukten ein.

Auch bei der Forschungspipeline setzt Novartis statt auf einen großen Umsatzbringer auf Masse: Novartis hofft in den nächsten Jahren auf bis zu 20 neue mögliche Kassenschlager, die es jeweils auf ein Umsatzpotenzial von einer Milliarde Dollar bringen könnten - damit soll die Umsatzlücke mehr als aufgefüllt werden, die wegen auslaufender Patente von Nachahmermitteln entstehen dürfte.

Bei Skeptikern lassen solche Zahlen jedoch die Hoffnungen auf einen "transformativen Mega-Deal" blühen, also auf den Zukauf eines Unternehmens, der Novartis nachhaltig verändern würde. Aktuell schließt der Firmenchef einen "ganz großen Deal" aus, stattdessen sieht er den richtigen Weg bei kleineren gezielten Zukäufen.

Seine bisher größte Übernahme stemmte Narasimhan gleich nach seinem Amtsantritt mit dem Kauf des Zolgensma-Entwicklers Avexis aus den USA für 8,7 Milliarden Dollar. Jüngst kündigte Novartis die Übernahme des Genspezialisten Gyroscope für bis zu 1,5 Milliarden Dollar an. Die Einnahmen aus dem langjährigen Novartis-Anteil an Roche, die der Konkurrent Anfang November für 20,7 Milliarden US-Dollar zurückkaufte, flossen dagegen in ein Aktienrückkaufprogramm.

Auch die bislang eher untergeordnete Rolle von Novartis in der Pandemie steht bei Kritikern ganz oben auf der Liste, bisher traten die Schweizer lediglich als Produzent für den mRNA-Impfstoff des Duos Biontech/Pfizer auf. Doch nun könnte Novartis immerhin mit einem Medikament mitmischen, das der Konzern vom Forschungspartner Molecular Partners einlizensieren will. Narasimhan will für das synthetische Protein Ensovibep, das die Viruslast im frühen Krankheitsstadium deutlich mindert, bald eine Notfallzulassung in den USA beantragen.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:


Unter den 14 bei dpa-AFX seit Oktober erfassten Analysten gibt es kein ganz eindeutiges Stimmungsbild: Fünf Branchenkenner empfehlen den Kauf der Aktie, sechs sind aktuell lieber neutral an der Seitenlinie und die restlichen drei Experten votieren für den Verkauf. Auffallend viele kürzten zuletzt aber ihre Kursziele. Im Schnitt sehen sie die Aktie nunmehr bei 87 Euro und damit rund 5 Euro über dem aktuellen Kurs.

Wie viele Experten bemängelt auch Analystin Laura Sutcliffe von der schweizerischen Bank UBS an Novartis das eher bescheidene Wachstum, das mit Wettbewerbern nicht Schritt halten könne. So dürfte es auch im laufenden Jahr weitergehen, glaubt sie.

Mark Purcell von der US-Investmentbank Morgan Stanley sieht für die Aktie der Schweizer im ersten Halbjahr kaum Kursimpulse, erst im zweiten Halbjahr dürften Studienresultate zu Medikamentenkandidaten die Papier wieder interessanter machen. Er strich daher soeben seine Kaufempfehlung.

Goldman-Analyst Keyur Parekh lobte unterdessen den geplanten Aktienrückkauf. Damit unterstreiche der Konzern sein Vertrauen, aus eigener Kraft zu wachsen. Für Emmanuel Papadakis von der Deutschen Bank kam der Schritt zwar überraschend, wichtig sei jedoch die Signalwirkung: Viele am Markt hätten eine größere Übernahme erwartet, könnten sich aber jetzt von dieser Perspektive lösen.

Papadakis ist der Aktie gegenüber besonders skeptisch eingestellt - mit 70 Franken ruft er das niedrigste Kursziel auf, im vergangenen September stufte er das Papier auf Verkaufen ab. Goldman-Experte Parekh ging in einer Studie kurz vor Weihnachten dagegen davon aus, dass mittel- bis langfristig die Markterwartungen unter anderem angesichts des Gyroscope-Kaufs und der US-Zulassung des Cholesterinsenkers Leqvio anziehen werden. Der Experte der US-Bank ist mit einem Kursziel von 106 Franken zugleich der optimistischste, das Papier steht auf seiner Liste der besonders empfehlenswerten Papiere (Conviction Buy List).

DAS MACHT DIE AKTIE (Stand: 14.1., 17.30 Uhr)


An der Börse hat die Novartis-Aktie schon bessere Zeiten erlebt - die sind allerdings noch gar nicht so lange her: Im Februar 2020 war das Papier bei etwas mehr als 96 Franken auf ein Hoch gestiegen, beim anschließenden Corona-Schock an den Aktienmärkten ging es jedoch um rund ein Drittel abwärts. Während Roche-Papiere es inzwischen weit über das Vorcrash-Niveau geschafft haben, fährt der Novartis-Kurs Achterbahn. Nicht einmal die Marke von 90 Franken wurde seitdem erreicht.

Nach einem weiteren Durchhänger zwischen August bis Anfang Dezember 2021 verschaffte der Aktienrückkauf dem Papier zuletzt tatsächlich Rückenwind. Aktuell notiert der Kurs bei gut 82 Franken. Im Vergleich schneidet Novartis damit an der Börse aber blass ab: Auf Jahressicht steht aktuell sogar ein kleines Minus zu Buche, während Roche-Anteile auf einen Kurszuwachs von fast 17 Prozent kommen. Auch längerfristig haben Novartis-Anleger das Nachsehen. Binnen fünf Jahren verbuchten sie zwar einen Wertzuwachs von knapp einem Viertel in ihrem Depot, doch der europäische Pharmaindex Stoxx Europe 600 Healthcare hat in dieser Zeit mehr als 40 Prozent zugelegt - und bei Roche liegt das Plus sogar bei fast 60 Prozent.

Auch in puncto Marktkapitalisierung kann Novartis mit gut 200 Milliarden Franken Roche (rund 320 Mrd. Franken) nicht das Wasser reichen. Doch auch die US-Pharmariesen Pfizer und Merck &Co kommen umgerechnet lediglich auf einen Börsenwert von 280 Milliarden beziehungsweise knapp 188 Milliarden Franken.

dpa-AFX