Jetzt ist Brasilien dran", jubelte Lula da Silva, der ehemalige Präsident Brasiliens, als Rio de Janeiro 2009 den Zuschlag für die Olympischen Spiele erhielt. Sie sollten den Aufstieg Brasiliens in die Riege der führenden Wirtschaftsnationen krönen. Sieben Jahre später, am 5. August 2016, wird das Sportereignis in der zweitgrößten Stadt des Landes eröffnet. Doch statt Optimismus herrscht Tristesse: Die größte Volkswirtschaft Südamerikas steckt in der heftigsten Krise seit 100 Jahren.

Durch den Verfall der Rohstoffpreise seit Mitte 2014 ist die wichtigste Einnahmequelle versiegt. Die Wirtschaft schrumpft das zweite Jahr in Folge um über drei Prozent. Gleichzeitig tobt in der Regierung ein erbitterter Machtkampf, der das Land lähmt. Seit Mai läuft ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff. Ihr ehemaliger Koalitionspartner Michel Temer hat eine Übergangsregierung gebildet. Doch führende Politiker quer durch die Parteien sind in einen riesigen Korruptionsskandal verstrickt.

Fulminante Börsenrally



Allen Widrigkeiten zum Trotz hat der brasilianische Leitindex Ibovespa seit Jahresbeginn eine erstaunliche Entwicklung hingelegt. Seit dem Siebenjahrestief Ende Januar ist er um über 50 Prozent geklettert. In kaum einem anderen Land der Welt sind die Aktienkurse 2016 so stark gestiegen. Auch Anleihen und die Landeswährung Real (BRL) haben dieses Jahr stark zugelegt.

Groß ist die Hoffnung vor allem bei ausländischen Investoren, dass Michel Temer die tiefe Krise beenden und Brasilien wieder auf den Wachstumspfad führen kann. Bereits kurz nach seiner Amtsübernahme hat er angekündigt, er werde den Staatshaushalt sanieren, eine Rentenreform umsetzen und den Arbeitsmarkt liberalisieren. Zudem will der 75-jährige Jurist die Bedingungen für den Privatsektor spürbar verbessern.

"In den kommenden Monaten werden wir deutliche Fortschritte sehen", glaubt Cláudio Gonçalves Couto, Professor bei der einflussreichen Getulio-Vargas-Stiftung (FGV). Viele Investitionsvorhaben hätten bereits auf dem Tisch gelegen, seien jedoch von Rousseff blockiert worden. Tatsächlich scheinen Temers Maßnahmen langsam zu greifen. Die Schweizer Investmentbank UBS rechnet für das zweite Halbjahr mit einer spürbaren Verbesserung der Wirtschaftslage in Brasilien. Doch auch externe Faktoren tragen zu einer Stabilisierung bei. Die Wachstumsschwäche in China, einem der wichtigsten Abnehmer von Rohstoffen aus Brasilien, scheint weniger heftig auszufallen als noch Anfang des Jahres erwartet.





Talsohle erreicht



Der Internationale Währungsfonds rechnet für das kommende Jahr mit einem Miniwachstum von 0,5 Prozent. Viel hängt dabei jedoch von der Entwicklung der Nachfrage aus China und den Rohstoffpreisen ab. Hohe Kursgewinne am Aktienmarkt wie in den vergangenen Monaten sind unwahrscheinlich. Temer muss jetzt erst einmal beweisen, dass er die hohen Erwartungen, die in den Kursen bereits eingepreist sind, erfüllen kann. Für positive Überraschung könnte allerdings eine Erholung der Rohstoffpreise sorgen.

Hohe Bewertungen



Davon würde besonders Vale, das drittgrößte Bergbauunternehmen der Welt, profitieren. Um das Mineralölunternehmen Petrobras sollten Anleger dagegen einen großen Bogen machen. Der halbstaatliche Konzern steht im Zentrum eines milliardenschweren Korruptionsskandals, der Brasilien erschüttert. Auch bei anderen Einzelwerten ist Vorsicht geboten. Indexschwergewicht Ambev, der größte Getränkehersteller Lateinamerikas, hat im ersten Halbjahr die Gewinnerwartungen nicht erfüllt, deshalb ist der Aktienkurs zuletzt deutlich gefallen. Die beiden größten Privatbanken Brasiliens, Banco Bradesco und Itau Unibanco, gelten zwar als solide, doch ihre Bewertungen sind bereits sehr hoch.

Ein interessantes Chance-Risiko-Verhältnis bieten Anleihen aus Brasilien. Die Experten der UBS rechnen mit einer weiteren Aufwertung des Real gegenüber Euro und US-Dollar. Und der Leitzins ist mit 14,25 Prozent so hoch wie in kaum einem anderen Land der Welt. Die UBS-Analysten bezeichnen deshalb brasilianische Anleihen in der Lokalwährung Real, aber auch in US-Dollar derzeit als "eine der interessantesten Investmentmöglichkeiten in Schwellenländern".