Nach jahrzehntelangem Siechtum unter der Herrschaft von General Motors hat Opel seit der Übernahme durch die französische Groupe PSA einen erstaunlichen Turnaround hingelegt. Wir sprachen mit Markenchef Michael Lohscheller, der seit Juli auch eines von vier Vorstandsmitgliedern des PSA-Gesamtkonzerns ist. Dort verantwortet der 51-Jährige das Geschäft in der Region Eurasien für alle Marken der Gruppe, also auch für Peugeot, Citroën und DS.


Börse Online: Herr Lohscheller, wie bewerten Sie die angestrebte Fusion der Groupe PSA mit Fiat Chrysler (FCA)?
Michael Lohscheller: Durch den Zusammenschluss würde der viertgrößte Automobilkonzern der Welt entstehen - mit einem Jahresabsatz von 8,7 Millionen Fahrzeugen. Die Stärken der verschiedenen Marken der Groupe PSA und von FCA würden noch besser zur Geltung kommen können - sowohl was die Märkte angeht als auch die verschiedenen Marktsegmente. Im aktuell enorm disruptiven Umfeld mit großen Herausforderungen - Elektromobilität, Konnektivität, alternative Mobilitätskonzepte und autonome Mobilität - wäre ein fusioniertes Unternehmen für die Zukunft noch stärker aufgestellt.

Sie sind seit Juni 2017 als Geschäftsführer für Opel verantwortlich und haben in Ihrer Amtszeit den Turnaround geschafft. Wurden die Weichen schon vorher gestellt oder ist dies alles in zwei Jahren geschehen?
Wir haben Opel in den vergangenen zwei Jahren wirklich komplett neu aufgestellt. Opel hatte unter dem ehemaligen Eigentümer fast 20 Jahre in Folge hohe Verluste eingefahren. Am 1. August 2017 sind wir Teil der Groupe  PSA geworden und haben innerhalb von 100 Tagen unseren Unternehmensplan "Pace!" entwickelt - mit drei klaren Zielen: Opel wird nachhaltig profitabel, global und elektrisch.

Mit welchem Ergebnis?
Wir haben bereits 2018, im ersten vollen Jahr als Teil der Groupe PSA, einen Gewinn von 859 Millionen Euro erzielt und im ersten Halbjahr 2019 sogar noch eins draufgelegt: Rund 700 Millionen Euro Betriebsgewinn sind ein neuer Rekord in unserer 157-jährigen Geschichte. Wir sind auf einem guten Weg, schon dieses Jahr eine Umsatzrendite von sechs Prozent zu erreichen. Geplant war dies ursprünglich erst für das Jahr 2026!

Wie entstand "Pace!" und wer steckt hinter dem Programm?
In der Vergangenheit haben viele kluge Menschen Opel unterstützt, am Ende gab es aber doch immer Verluste. Bei "Pace!" war das anders; es ist ein Plan von Opelanern für Opel. Wir haben eigene Arbeitsgruppen gebildet, die in allen Abteilungen von Opel sämtliche Abläufe auf den Prüfstand gestellt haben. Zudem haben wir in internen Vergleichen mit der Groupe PSA viel gelernt und einiges an Potenzial freigesetzt.

Können Sie einige Beispiele nennen?
Insbesondere haben wir die Komplexität reduziert. Beispielsweise hatten wir bei einem Modell mehr als 20 verschiedene Lenkräder angeboten. Dieses Angebot haben wir auf sieben reduziert. Wir erreichen generell mehr mit weniger Ressourcen. Wir haben Flächen in den Werken und Logistikprozesse optimiert. Ein weiteres Beispiel sind Abschlepp­ösen. Früher haben wir beim Corsa Ösen verwendet, die einen schweren Pick-up aus dem Schlamm hätten ziehen können. Heute haben wir Ösen, die erstens mehrere Hundert Gramm leichter sind und zweitens einen Euro weniger kosten.

Und das soll gereicht haben, um wieder schwarze Zahlen zu schreiben?
Das sind nur Beispiele, aber eben Sinnbilder dafür, dass wir jeden Stein umgedreht haben, um Opel wieder nachhaltig erfolgreich zu machen. Und zwar ohne dass sich für den Kunden irgendetwas verschlechtert. Im Gegenteil: Das Angebot wurde übersichtlicher, die Qualität ist gestiegen. Entscheidend ist, dass wir heute mehr Umsatz pro Fahrzeug machen, weil die Kunden hochwertigere und besser ausgestattete Autos kaufen.

Welche Modelle sind maßgeblich entscheidend für Wohl und Wehe von Opel?
Wir haben klar entschieden, uns auf die wichtigen und profitablen Segmente zu konzen­trieren, in denen wir auch Wachstum erzielen können. Unter anderem wollen wir den SUV-Anteil deutlich erhöhen und sind hier mit unseren Erfolgsmodellen Mokka X, Crossland X und Grandland X hervorragend aufgestellt. Ganz wichtig ist für uns in diesen Wochen natürlich der neue Corsa, der als Benziner, als Diesel und auch rein elektrisch angeboten wird. Das erste Feedback der Fachpresse ist hervorragend. Sowohl das Design als auch die Opel-typischen Fahreigenschaften werden gelobt.

Die Elektrifizierung der Fahrzeuge steht für viele Unternehmen an erster Stelle. Wie aber sieht es mit Antriebsarten wie Erdgas und umweltfreundlicheren Kraftstoffen aus? Und wie stehen Sie zur Brennstoffzelle?
Wir konzentrieren uns jetzt sehr auf die Elektrifizierung, vor allem auch bei leichten Nutzfahrzeugen - vom Combo über den Vivaro bis zum Movano. Die Elektrifizierung der Nutzfahrzeuge ist für die Logistikbranche enorm wichtig, damit die Lieferdienste in den Innenstädten weiterhin problemlos ihre Aufträge erfüllen können. Auch wir liefern hier und elektrifizieren schrittweise das komplette Angebot. Aber alternative Kraftstoffe und Wasserstoff sind auch wichtig für uns.

Was ist hier zu erwarten?
Unsere Ingenieure im Entwicklungszentrum in Rüsselsheim forschen federführend für den gesamten PSA-Konzern an diesen Zukunftsthemen. Wasserstoff kann sich meines Erachtens insbesondere für leichte Nutzfahrzeuge rentieren. Wir bei Opel verfügen ja über langjährige Erfahrung bei dieser Technologie, und in nicht allzu ferner Zukunft wird ein Zafira Life mit Brennstoffzelle als Prototyp in die Testphase gehen.

Arbeiten Sie trotzdem weiter an effizienteren Benzinern und Diesel-Fahrzeugen?
Absolut. Wir haben ja die Aufgabe, die Hürde von 95 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilometer zu erreichen. Wir bringen jetzt neue Drei­zylinder, die beim Diesel nur noch bis zu 90 Gramm ausstoßen. Bei den Benzinern haben wir schon weniger als 100 Gramm erzielt. Da wird deutlich, wie effizient hochmoderne Verbrennungsmotoren sein können.

Der "Pace!"-Plan beinhaltet das Motto "Opel goes global". Geht das über die Region ­Eur­asien hinaus, die Sie im PSA-Vorstand für alle Konzernmarken verantworten?
Ja, sicher. Mit der Zugehörigkeit zu PSA haben wir nun die Möglichkeit, tatsächlich weltweit zu agieren. Russland ist dafür ein strategisch wichtiger Markt, auch die Ukraine bietet starkes Wachstumspotenzial. Wir gehen aber auch nach Kolumbien, nach Ecuador und sind bereits in Chile aktiv. Bis 2022 werden wir auf mehr als 20 neuen Exportmärkten vertreten sein. Das sind Möglichkeiten, die wir früher nicht hatten.

Wie sehen Sie die Zukunft des Autohandels im Zeitalter des Internets?
Für uns hat der Autohandel eine große Bedeutung. Der Händler ist das Gesicht unserer Marke und der wichtigste Kontakt zu unseren Kunden. Die Elektromobilität erfordert zudem eine höhere Beratungsintensität, die in dieser Form nur der Handel leisten kann. Der Kunde will wissen, wie und wo er sein Auto laden kann, ob er eine Wallbox benötigt und wie er möglichst effizient unterwegs sein kann.