Mit 25 Milligramm Psilocybin, dem aktiven Bestandteil halluzinogener Pilze im Blut, schöner Musik über Kopfhörer in einem gemütlichen Bett den halben Tag lang in einem intensiven Rausch verbringen: Das könnte in wenigen Jahren eine ganz normale Therapie für Patienten mit Depressionen, Angststörungen oder posttraumatischem Belastungssyndrom werden.

Denn immer mehr seriöse Studien weisen darauf hin, dass Psilocybin, aber auch andere Halluzinogene wie LSD, MDMA (der Wirkstoff der Partydroge Ecstasy) oder der berüchtigte südamerikanische Pflanzensaft Ayahuasca den psychischen Zustand dieser Patienten verbessern können, wenn sie in einer kontrollierten Umgebung eingenommen werden. Tatsächlich wirken sie dabei womöglich sogar schneller, nachhaltiger und nebenwirkungsärmer als konventionelle Psychopharmaka.

Für die Betroffenen wäre das ein Segen. Denn nur ein Teil von ihnen spricht auf die Behandlung mit den heute erhältlichen Antidepressiva oder Antipsychotika an. Bei Depressionen etwa gilt ein Drittel der Patienten als therapieresistent. Jeder Versuch mit einem neuen Medikament muss mehrere Wochen lang durchgehalten werden, denn so lange dauert es, bis Antidepressiva ihre Wirkung entfalten - oder eben nicht. Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme oder Libidoverlust tragen währenddessen nicht unbedingt zu einem positiven Gemütszustand bei.

Enormes Marktpotenzial

Der Bedarf ist also riesig. "Allein in Nordamerika und Europa gibt es 20 bis 30 Millionen Patienten mit therapieresistenter Depression", sagt Lars Wilde, Chief Business Officer und Mitgründer des britischen Unternehmens Compass Pathways, das Psilocybin-Therapien entwickelt. "Das sind für die Kostenträger sehr teure Patienten. Behandlungen, Krankenhaus- und Reha-Aufenthalte summieren sich auf durchschnittlich 17.000 bis 20.000 Euro pro Jahr." Für eine Behandlungsoption mit größeren Erfolgschancen als die heutigen Standardtherapien könnten daher erhebliche Beträge aufgerufen werden - sie würden trotzdem das Gesundheitssystem entlasten.

Die Kombination aus ermutigenden Studiendaten und dem attraktiven Marktpotenzial hat zahlreiche Investoren angelockt. Ein gutes Dutzend "psychedelische" Medikamentenentwickler sind in den vergangenen Monaten an die Börse gegangen, mehr dürften noch folgen. Nicht zuletzt die Mitwirkung von Promis wie Tech-Milliardär Peter Thiel und dem deutschen Serial Entrepreneur Christian Angermayer hat dabei für reichlich Aufmerksamkeit gesorgt.

Erste Forschungsansätze zu den halluzinogenen Stoffen gab es bereits in den 60er-Jahren. Das Comeback ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. 2019 wurde ein Ketamin-Nasenspray von Johnson & Johnson zur Behandlung von Depressionen zugelassen. Das Beispiel der 90er-Jahre-Modedroge zeigte erstmals, dass Ärzteschaft und Zulassungsbehörden dazu bereit waren, eine solche Substanz als Therapeutikum zu akzeptieren. Parallel dazu generierte die akademische Forschung neue Daten, welche die überraschende Wirkung von Psilocybin und Co besser erklären konnten. Und schließlich ließ die Legalisierung von Medizinal-Cannabis in vielen US-Bundesstaaten auch Investoren ihre Berührungsängste mit dem Drogenthema verlieren, zumal die Neurologie unter Risikokapitalgebern seit einigen Jahren als das nächste große Ding gilt.

Entscheidende Daten bis Jahresende

Compass Pathways ist in der Entwicklung vergleichsweise weit fortgeschritten. 2018 erhielt die Firma für ihre Psilocybin-Therapie von der US-Zulassungsbehörde FDA den begehrten "Breakthrough"-Status, der ein beschleunigtes Zulassungsverfahren ermöglicht. Im April dieses Jahres veröffentlichte Compass eine Studie, die Psilocybin im Vergleich mit dem häufig eingesetzten Antidepressivum Escitalopram als mindestens gleichwertig einstufte. In vielen Punkten schnitt der Wirkstoff aus den "Magic Mushrooms" deutlich besser ab, obwohl er nur zwei Mal anstatt sechs Wochen lang täglich eingenommen wurde. Grundsätzlich wirken die psychedelischen Stoffe binnen Stunden stimmungsaufhellend. In den Tagen und Wochen nach der Einnahme verändern sie jedoch auch Prozesse im Gehirn, Nervenzellen organisieren und verknüpfen sich anders. Dieser Effekt ist lang anhaltend.

Bis Jahresende will Compass nun die vollständige Auswertung der Phase- 2-Studie vorlegen. "Fällt diese positiv aus, werden wir sofort mit der Phase 3 starten", sagt Chief Business Officer Wilde. Die Finanzierung ist bereits gesichert. Gleichzeitig plant die Firma, die Erforschung von Psilocybin in anderen Indikationen voranzutreiben, etwa gegen Depressionen bei Krebspatienten, Zwangsneurosen oder Magersucht.

Dabei will das Unternehmen, wie auch viele Wettbewerber, kein reiner Pillenverkäufer sein. Die Einnahme des Wirkstoffs muss unter Aufsicht von dafür ausgebildeten Therapeuten stattfinden. Die speziell konzipierte Musikbegleitung gehört zur Behandlung dazu. Sollte die Therapie zugelassen werden, würde Compass mit spezialisierten psychiatrischen Kliniken Partnerschaften schließen, um sie dort anzubieten.

Für Anleger interessant ist außerdem die Berliner Atai Life Sciences, die der Start-up-Investor Christian Angermayer wie ein Rocket Internet für Psychopharmaka-Entwickler konzipiert hat. Atai ist an Compass beteiligt und hat darüber hinaus neun Start-ups unter dem Unternehmensdach, die nicht nur finanziell, sondern auch technologisch und personell unterstützt werden.

Schwer einschätzbare Risiken

Wie immer bei der Medikamentenentwicklung ist die Gefahr eines Misserfolgs auch bei den Psychedelika-Forschern hoch. Atai bietet mit der Diversifizierung über verschiedene Wirkstoffklassen und Indikationen einen gewissen Risikopuffer. Eine Unbekannte bleibt jedoch: Besitz und Gebrauch der halluzinogenen Substanzen sind in den meisten Ländern verboten. Der kommerzielle Erfolg zukünftiger Therapien hängt auch davon ab, wie stark Behörden den Einsatz beschränken werden.
 


INVESTOR-INFO

Compass Pathways

Pilz-Wirkstoff für Patienten

Die britische Firma will bis Ende des Jahres die Auswertung der Phase-2-Studie zur Psilocybin-Behandlung von Patienten mit therapieresistenter Depression vorlegen. Es ist mit über 200 Patienten eine der größten Untersuchungen mit einem psychedelischen Wirkstoff, die Daten sollten beispielsweise auch Aufschluss über Häufigkeit und Abstand der Einnahmen geben. Sehr vielversprechendes, aber auch sehr riskantes Investment.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 60,00 Euro
Stoppkurs: 17,00 Euro

Atai Life Sciences

Psycho-Portfolio

Atai Life Sciences hält knapp 20 Prozent an Compass Pathways und besitzt überdies neun Start-ups. Die meisten entwickeln psychedelische Substanzen, manche aber auch konventionelle Wirkstoffe. Dadurch bietet die Aktie eine gewisse Risikostreuung. Allerdings befinden sich diese Projekte auf einem sehr frühen Entwicklungsstand und verbrennen viel Kapital. Ebenfalls sehr spekulativ.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 27,00 Euro
Stoppkurs: 7,00 Euro