Die schillernde Welt der Mode ist reich an eigenwilligen und exzentrischen Stars. Einer von ihnen ist Renzo Rosso, der Gründer des Kultlabels Diesel. Er bricht Konventionen und Regeln, er provoziert und schwimmt gegen den Strom. Er erfindet sich immer neu und tut meist all das, wovon vernünftige Menschen ihm abraten. In Zeiten optimierter Karriereplanung setzt er auf das Credo "Herz statt Hirn". Der Patriarch mit den wilden Silberlocken und dem jugendlichen Gebaren ist damit sehr erfolgreich geworden - und sehr reich. Sein Privatleben ist genauso exzentrisch wie seine Businessphilosophie. Er hat mit drei Frauen sieben Kinder, zwischen denen ein Altersunterschied von 35 Jahren liegt. Er trifft sich regelmäßig mit dem Dalai Lama, nennt ihn seinen "zweiten Vater", der ihn sehr inspiriere und ihn dazu bringe, positiv zu denken und Menschen zu unterstützen. Er finanziert die Renovierung der berühmten Rialtobrücke in Venedig und unterstützt Entwicklungsprojekte in Mali - zu seinen Freunden gehören Bono, der Frontmann der irischen Rockband U2, und der Fiat-Erbe Lapo Elkann.

Rosso kam 1955 als drittes Kind einer Bauernfamilie in Brugine, einem Dorf in der italienischen Po-Ebene, zur Welt. Das Leben auf dem Lande war hart: "Im Winter lebten wir im Nebel." Als Teenager interessierte sich Renzo hauptsächlich für Musik - er spielte E-Gitarre in einer Band - und, wie er in seiner Autobiografie zugab, für die Mädchen des Dorfes.

Das erste Paar Jeans erhielt Renzo mit zwölf Jahren. Vorher musste er stets die alten Hosen seines großen Bruders auftragen. Bereits drei Jahre später schneiderte er seine eigenen Jeans. Ein Freund, der in der Textilindustrie arbeitete, hatte ihm zwei Meter echten Denimstoff aus den USA besorgt. Renzo lieh sich die Nähmaschine seiner Mutter und nähte eine Jeans, die oben ganz schmal und tief geschnitten war und - wie damals modisch - einen Schlag von 42 Zentimetern hatte.

Die ersten Jeans

Renzo führte seine Kreation stolz auf den Partys der Dorfjugend vor: "Die Jeans schlugen ein wie eine Bombe. Alle meine Freunde wollten sie. Ich verlangte 3500 Li- re pro Stück, heute weniger als 1,80 Euro." Rund 30 dieser Jeans produzierte er damals auf dem elterlichen Bauernhof.

Seine bodenständige Erziehung als Kind von Kleinbauern sollte ihn für sein ganzes Leben prägen. Über seine Mutter schrieb er: "Sie hat mir vermittelt, wie wertvoll das Leben ist, wie wichtig es ist, anderen zu helfen. Heute werden Werte wie Mitgefühl, Anstand oder Wertschätzung komplett vernachlässigt. Es geht nur noch um Geld, Macht und Erfolg. Für mich zählt ein Handschlag immer noch so viel wie ein schriftlicher Vertrag. Das hat etwas mit Respekt zu tun und auch mit Würde. Wahrscheinlich bin ich einer der wenigen, die noch so denken."

Mit 16 schrieb er sich an einer Textilfachschule in Padua ein. Nach dem Schulabschluss heuerte er bei der Firma Moltex an, deren Besitzer Adriano Goldschmied sein Mentor werden sollte. Moltex brachte damals die avantgardistische Jeanslinie Daily Blue auf den Markt, und Renzo sollte in der Produktion die Arbeit von 18 Näherinnen überwachen. Zweieinhalb Jahre lang machte er diesen Job - dann kündigte er. Aber Goldschmied bat ihn zu bleiben und bot ihm einen 40-Prozent-Anteil an seiner Firma an, die gerade eine neue Marke lancierte: Diesel.

Rosso gefiel der Name Diesel. Er war kurz, international und wurde praktisch auf der ganzen Welt gleich ausgesprochen. "Und es war die Zeit der Ölkrise: Diesel, billiger als Benzin, war damals eine echte Alternative", schrieb er in seinem autobiografischen Wirtschaftsratgeber "Mach doch mal was Verrücktes" (FBV Verlag, München).

Das Unternehmen hatte noch andere Marken, aber Rosso wollte sich ganz auf Diesel konzentrieren und bat 1985 den Firmenboss Goldschmied, ihm seine Anteile an dieser Marke zu verkaufen. Goldschmied willigte ein.

Rosso entschied sich für einen indianischen Punk als Firmenlogo und setzte auf sogenannte Vintage-Jeans, die schon im Neuzustand alt und abgetragen aussahen. Die ersten Kunden hielten diese abgeschabten Jeans für Produktionsfehler, außerdem waren sie teurer als die Konkurrenz. Und seine Vertriebspartner hielten ihn für verrückt, denn diese Art der Stoffbehandlung war sehr teuer und machte höhere Preise notwendig. "Zu meinem Glück gingen die Jeans weg wie warme Semmeln, und die Einkäufer verlangten ständig Nachschub."

Diesel für die Welt

Mitte der Neunzigerjahre war Diesel so gewachsen, dass die Jeans auf der ganzen Welt verkauft wurden. 1996 hatte Rosso sein erstes Diesel-Geschäft in New York eröffnet - direkt gegenüber von Levi’s Flagship-Store an der Lexington Avenue. "Die USA hatten die Träume meiner Jugend geprägt. Amerika war ein Mythos - die Heimat von James Dean, Jeans und Rock ’n’ Roll. Diesel durfte da nicht außen vor bleiben", erinnert er sich.

Diesel stand für einen Lebensstil, der irgendwie ein Abbild von Renzo Rosso war: lässig, rebellisch, einzigartig, urban, dabei nicht zu extrem. Und diesen Lebensstil kommunizierte er nun mit legendären Werbekampagnen. Etwa mit Diesel-Partys, die an 17 verschiedenen Orten, von Tokio bis New York, den Zeitzonen folgend am selben Tag stattfanden und alle live im Internet übertragen wurden. Für seine spektakulären Kampagnen erhielt er viele Preise: "Unternehmer des Jahres" (1997), "Advertiser of the Year" (1998, der begehrteste Preis der Werbebranche). Und das Lifestylemagazin "GQ" ernannte ihn 2005 zum "Mann des Jahres".

1999 kaufte er die kurz vor dem Bankrott stehende Firma Staff International, eine Luxusmodenfirma. Das war der Einstieg in die elitäre Laufstegliga. Seine neu erworbenen Brands - alles ikonische Marken - bündelte er 2002 in der Holding Only The Brave (OTB). Das Hauptquartier liegt im norditalienischen Breganze. Nach den französischen Luxusgruppen LVHM und Kering ist OTB aktuell die Nummer 3 der Fashionbranche.

Zur Ruhe will er sich allerdings noch nicht setzen. Die Modeindustrie halte ihn lebendig und jung. "Aber es fällt mir oft schwer, die in dem Business grassierende Arroganz zu ertragen."