Brot und Spiele - das wissen mehr oder minder autokratische Herrscher seit der Antike - sind ein probates Mittel, das gemeine Volk zu beruhigen und vor allem die eigene Macht zu sichern. Wladimir Putin, seit 1999 Herrscher in Russlands Regierungssitz Kreml (mal als Ministerpräsident, mal als Präsident) hat mit der jüngsten Regierungsumbildung gezeigt, dass er die Macht auch nach 20 Jahren noch nicht abgeben will. Das mit den Spielen klappt wegen diverser Dopingskandale derzeit nicht so richtig, doch in Sachen Brot soll es den Russen noch vor der nächsten Parlamentswahl 2021 deutlich besser gehen: Ende Januar wies Putin seinen neuen Ministerpräsidenten Michail Mischustin an, ein mehr als eine halbe Billion US-Dollar schweres Investitionsprogramm der Regierung noch in diesem Jahr umzusetzen, mit dem die Binnenwirtschaft angekurbelt werden soll.

Trotz aller Erfolge Putins, der im ersten Jahrzehnt des Jahrtausends den Lebensstandard seiner Bürger enorm nach oben schrauben konnte, hat das Wachstum seit Beginn der Ukraine- und Krimkrise 2014 den Rückwärtsgang eingelegt. Im Schnitt fiel es in den vergangenen fünf Jahren um zwei Prozent. Im Gegensatz dazu sieht der Global Wealth Report der Credit Suisse für das Jahr 2019 beim Pro-Kopf-Vermögen der Russen einen Anstieg um 37 Prozent. Im Schnitt waren es zur Jahresmitte 27 381 US-Dollar, 63 Prozent mehr als 2017. Das sind freilich nur 12,6 Prozent dessen, was ein Deutscher besitzt (216 654 Dollar). Laut der Schätzung der eidgenössischen Banker hat sich 2019 auch die Zahl der russischen Dollarmillionäre sprunghaft erhöht - um 43 Prozent auf 246 000. In Deutschland gab es 2019 laut Credit Suisse sogar 2,2 Millionen Dollarmillionäre. Und russische Dollarmilliardäre zählten die Schweizer 110 nach "nur" 74 im Jahr 2018. Es verteilt sich also ziemlich unausgeglichen, auch innerhalb Russlands.

Der große Rest der Russen musste in den vergangenen Jahren Abstriche beim Lebensstandard hinnehmen. Ursachen waren vor allem die Wirtschaftssanktionen der westlichen Länder, der Rubel-Verfall und gesunkene Reallöhne. Laut dem staatlichen Statistikdienst Rosstat reichte Ende 2019 in 49,4 Prozent der Haushalte das Geld gerade nur für Essen und Kleidung, weitere 32,6 Prozent gaben an, sich zwar Konsumgüter leisten zu können, aber sicher noch kein Auto.

Wenn nach Jahren des Sparens und der zurückgefahrenen staatlichen Investitionen Putin nun das Füllhorn über seinen Bürgern ausschütten lässt, kann er es sich leisten: Mit etwa zehn Prozent des Brutto­inlandsprodukts ist die Staatsverschuldung extrem niedrig, außerdem sind auch für 2020 Haushaltsüberschüsse zu erwarten. Zudem verfügt das einstige Zarenreich über gewaltige Devisenreserven.

Im vergangenen Jahr hat die russische Zentralbank den Leitzins in vier Schritten gesenkt. Das macht die Kredite billiger, die für die dringend notwendigen zusätzlichen Investitionen auch der privaten Wirtschaft gebraucht werden. Helaba-­Ökonom Patrick Heinisch rechnet für 2020 mit einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent. Nikolay Markov von Pictet ist da viel optimistischer und spricht sogar von möglichen 2,5 Prozent.

Solide ökonomische Basis


Das könnte gelingen, wenn die Bürger des Riesenreichs die zusätzlichen Leistungen des Kremls in den Binnenkonsum umsetzen - und davon ist auszugehen. Die Fördermaßnahmen werden von etlichen Reformen begleitet, etwa der Heraufsetzung des Rentenalters auf 65 Jahre für Männer und 60 Jahre für Frauen. Noch liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei mehr als 15 Prozent, doch schon rein aus der negativen demografischen Entwicklung heraus sollte sie sich in den kommenden Jahren stark reduzieren. Entsprechend haben die Ratingagenturen Fitch und Moody’s jüngst ihre Einschätzungen für Russland angehoben. Sie sehen für das Land zunehmend eine solide ökonomische Basis. Der russische Aktienmarkt ist in erster Linie durch den Rohstoffreichtum des flächenmäßig größten Landes der Erde geprägt. Es verfügt über große Energiereserven, vor allem bei Öl und Gas sowie anderen Rohstoffen wie Kupfer oder Diamanten. Ein Favorit der Analysten ist derzeit die Mining and Metallurgical Company (MMC) Norilsk Nickel, die vor allem von der gestiegenen Palladiumnachfrage profitiert. Der Aktienkurs schaffte 2019 ein Plus von 60 Prozent. Aber auch Einzelhandels- und Telekomaktien bieten Investoren zunehmend Chancen.

Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis unter fünf ist bei Aktien von russischen Großkonzernen keine Seltenheit - und das auch noch nach dem sensationellen Anstieg der Kurse vergangenes Jahr. Was russische Aktien zusätzlich attraktiv macht: die Dividendenrenditen, die oft mehr als zehn Prozent betragen. Selbst ein Einzelhandelswert wie Magnit kam 2019 auf gut sechs Prozent.

Eine Besonderheit ist die Sberbank. Sie wird zusammen mit Mail.Ru und Yandex inzwischen zu den Top-3-Unternehmen der russischen Techszene gezählt. Das halbstaatliche Geldhaus ist durch zahlreiche Beteiligungen einer der wichtigsten Technologiekonzerne des Landes. Weitere Geschäftsfelder reichen von innovativen Konzepten im Bereich der Lebensmittellogistik bis zur digitalen Gesundheitsfürsorge und zur künstlichen Intelligenz. Befördert wird die russische Tech­szene auch durch den ehrgeizigen Plan Putins, noch in diesem Jahr allen Bürgern von Sankt Petersburg bis Murmansk einen Internetzugang zu ermöglichen.

Die einfachste Möglichkeit, in den russischen Aktienmarkt zu investieren, ist über Indexfonds, etwa ETF auf den RTX der Börse Wien oder auf den deutlich breiteren Index RTS der Moskauer Börse. Bei den klassischen Aktienfonds für Russland ist die Auswahl zufriedenstellend, vergangenes Jahr übertrafen viele Fondsmanager die Benchmark, allerdings bei erhöhtem Risiko. Bei einzelnen Titeln sind die sogenannten ADR oder GDR - Hinterlegungsscheine - zu bevorzugen, weil ein direkter Handel über Moskau schwer und teuer wäre. ADR/GDR notieren in US-Dollar oder anderen (West-)Währungen, sind in New York oder London liquide Papiere und schütten auch die Dividenden der Aktien aus, obgleich oft mit deutlicher Verzögerung.

Auch Anleihen der Russischen Föderation sind durchaus attraktiv. Sie notieren in Rubel und haben oft mehr Potenzial durch die Devisenkurse als durch die dem Risiko angemessenen hohen Zinskupons. Ebenfalls satte Zinsen bieten die Anleihen der deutschen Ekosem Holding. Ihr Chef Stefan Dürr ist einer der größten Landwirte in Russland mit Schwerpunkt auf der Milchproduktion und dürfte besonders von Putins Binnenmarktinitiative profitieren. Die Kurse der drei bestehenden Ekosem-Anleihen erlitten Ende Januar allerdings einen unerklärlichen Einbruch. Dabei hatte der Agrarkonzern erst Mitte Dezember Rekordgeschäftszahlen gemeldet, die Notierungen haben sich entsprechend wieder erholt.

Donald Trump ist kein Risiko für Putin


Die steigende Binnenmarktnachfrage sichert Russland-Investments also ab und der weltweite Hunger nach Energie wird selbst bei einer globalen Rezession nicht zum Erliegen kommen. Vor allem China und andere Staaten Asiens sind sichere Abnehmer fossiler Energien.

Trotz der insgesamt guten Aussichten bleiben für Investitionen in Russland dennoch makroökonomische Risiken bestehen, derzeit etwa das Pandemieproblem mit dem Coronavirus. Weit weniger, als viele glauben, hat Wladimir Putin aus Washington zu befürchten. Denn auch wenn US-Präsident Donald Trump gern gegen Russland twittert und die Nordstream-II-Pipeline blockieren will - nicht nur den Trump Tower in New York haben russische Investoren finanziert. So bleibt Russland eine Weltmacht - und Wladimir Putin wohl noch lange deren Herrscher.