Seit Montag, dem 25. Februar, richten sich die Augen deutscher Anleger wieder auf einen Gerichtssaal in Kalifornien. Angesetzt ist der zweite Prozess, in dem ein Krebskranker den deutschen Chemie- und Pharmariesen Bayer verklagt. Sein Name: Edwin Hardeman. Sein Vorwurf: Die jahrelange Verwendung des Pflanzenvernichtungsmittels Roundup der frisch übernommenen US-Bayer-Tochter Monsanto habe seinen Krebs verursacht.

Insgesamt erwartet Bayer gut ein halbes Dutzend Fälle im Jahr 2019. Und das ist erst der Anfang. Allein Richter Vince Chhabria, der den Hardeman-Fall in San Francisco verhandelt, hat weitere 620 von insgesamt 9300 Fällen in Sachen Glyphosat auf dem Schirm.

Wie wichtig diese Klagen für die Zukunft von Bayer - und die Aktionäre - sind, zeigt sich daran, dass kleinste Details, etwa welche Art von Dokumenten als Beweismittel zulässig sind, den Kurs steigen oder fallen lassen. So verlor die Bayer-Aktie im vergangenen Jahr mehr als 31 Prozent, nicht zuletzt wegen des ersten Prozesses in Sachen Glyphosat, dem Wirkstoff in Roundup. Im vergangenen Jahr hatte die Jury dem Krebskranken Dewayne Johnson zunächst 289 Millionen Dollar Schadenersatz zuerkannt, die der Richter später auf 78 Millionen senkte. Der Fall ist jetzt in Revision. Wie das Gericht in der nächsten Instanz die Vorwürfe einstuft oder ob gar der Supreme Court, der oberste US-Gerichtshof, eine Grundsatzentscheidung treffen wird, steht in den Sternen. Nur eines steht fest: Es wird Jahre dauern, bis Klarheit herrscht. Statt auf Bayer können Anleger auch auf die Gegenseite setzen. Von den Prozessen profitieren bei Weitem nicht nur die Kläger. Rechtsanwälte vertreten die Opfer in solchen Schadenersatzklagen gegen Großkonzerne kostenlos - gegen einen erheblichen Anteil an den im Erfolgsfall erstrittenen Geldern. Inzwischen werden die Anwälte wiederum von Firmen finanziert, die auf solche Fälle spezialisiert sind. Gegen eine Erfolgsprämie von bis zu einem Viertel der zugesprochenen Urteilssummen spekulieren Prozessfinanzierer und Hedgefonds auf solche Mammutverfahren. Drei davon sind börsennotiert.

Der größte und aussichtsreichste sogenannte Third Party Litigation­Finanzier heißt Burford Capital. Das Unternehmen sitzt in New York und ist an der Londoner Börse notiert. Die Aktie wird auch in Deutschland gehandelt, der Kurs kannte lange nur eine Richtung: steil nach oben. In den vergangenen fünf Jahren kletterte die Notierung um 1300 Prozent, um dann - gemeinsam mit den meisten britischen Aktien - wegen der Sorge vor einem ungeordneten Brexit aus der EU nachzugeben. Aber Burford trägt kaum ein Brexit­Risiko, weil sich das Unternehmen hauptsächlich an Prozessen in den USA beteiligt. Noch ist unklar, ob sich in den Glyphosat­Klagen gegen Bayer bereits große Prozessfinanzierer auf der anderen Seite positioniert haben. Die Branche ist äußerst diskret. Es handelt sich um ein neues Geschäftsmodell, das in Großbritannien und Australien seit Ende der 90er­Jahre rechtlich zugelassen ist und in den USA aktuell großen Zulauf findet. Rund vier Milliarden Dollar Kapital haben Prozessfinanzierer aktuell für Investments in neue Sammelklagen bereitliegen. Allein Branchenprimus Burford Capital sammelte erst gerade 1,6 Milliarden Dollar frische Mittel von institutionellen Investoren ein. Insgesamt ist die Branche allein in den USA zehn Milliarden Dollar schwer. 2017 gab bereits ein Drittel aller Anwaltskanzleien in einer Umfrage an, die Angebote von Prozessfinanzierern zu nutzen - eine Verdreifachung dieser Quote innerhalb von nur vier Jahren.



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Singer dick im Geschäft



Prozessfinanzierung ist Big Business. Einen Teil der Schadenersatzklagen von Anlegern gegen Volkswagen in der Dieselaffäre zum Beispiel finanziert Bentham - eine hundertprozentige Tochter von Paul Singers 28 Milliarden Dollar schwerem Hedgefonds Elliott Management. "Hätten die Kläger die Prozesskosten allein stemmen müssen, hätten sie nie geklagt", ist sich Jeremy Marshall, Benthams Chief Investment Officer, sicher. Die Spekulation von Elliott kann sich lohnen: Sie investieren ein paar Millionen Dollar in die Bezahlung deutscher Rechtsanwälte, die den Prozess über Jahre durchfechten. Gewinnen sie den Prozess und damit den von ihren Klägern geforderten Schadenersatz von zwei Milliarden Euro, könnten Elliott 400 Millionen Euro zustehen - eine mögliche Rendite von 10 000 Prozent.

Beobachter des amerikanischen Rechtssystems sorgen sich, dass dieser Zufluss von Geldern für eine Vervielfachung von spekulativen Klagen sorgen könnte - denn weder der Kläger noch der an dem Fall arbeitende Anwalt muss persönlich ein finanzielles Risiko eingehen, um vor Gericht für sein Recht zu kämpfen. Andererseits hilft es mittellosen Klägern, ihr Recht gegenüber Großkonzernen einzuklagen, ohne Haus und Hof aufs Spiel zu setzen.

"Ich bin aus Prinzip gegen den Einsatz von Mitteln Dritter in Prozessen eingestellt", sagt ein bekannter New Yorker Anwalt, der Unternehmen berät, die von Sammelklagen betroffen sind, und lieber ungenannt bleiben möchte: "Aber wenn ich mir den Kursverlauf von Burford Capital ansehe, ärgere ich mich doch, dass ich die Aktie nicht gekauft habe."


Für institutionelle Investoren tut sich eine attraktive neue Anlagemöglichkeit auf, die keinerlei Korrelation mit der konjunkturellen Entwicklung einer Volkswirtschaft zeigt. Kurz: ein idealer Weg, Risiken vom Aktien- und Anleihemarkt weg zu diversifizieren. Auch wenn längst nicht jeder Prozess für den Kläger entschieden wird, sind die Renditen im Erfolgsfall mit einer Sammelklage gigantisch.



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Anleger kaufen die Katze im Sack



Für Privatanleger ist die Sache indes heikel. Prozessfinanzierer sind Geheimniskrämer - es ist fast unmöglich, Details zu den Prozessen herauszufinden und zu analysieren. Hinzu kommt die schwierige Bewertung der Erfolgsaussichten. Juridica dient als Schreckensbeispiel. Das Unternehmen verlor 2015 bei einem Prozess vor dem U.S. Supreme Court 34,2 Millionen Dollar und ist seitdem nicht mehr börsennotiert. Vannin Capital sagte 2018 den geplanten Börsengang ab, nachdem das Unternehmen 6,6 Millionen Dollar in einem Vergleich verloren hatte. Sowohl der auf Insolvenzverfahren fokussierte Prozessfinanzierer Manolete Partners als auch die australische Litigation Capital Management sind erst seit Dezember 2018 an der Börse in London notiert. Beide Aktien sind jedoch bedenklich illiquide.

Burford Capital ist die große Ausnahme. Das Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von knapp vier Milliarden britischen Pfund gilt als extrem gut gemanagt - dank Christopher Bogart, dem Gründer, Großaktionär und Vorstandschef. Burford gilt als äußerst selektiv: 2017 prüfte die Firma 1500 Fälle, investierte aber nur in 56. "Wir sind in gewisser Weise Buy-and- Hold-Anleger", erklärt Bogart die Vorsicht, "wenn wir ein Investment getätigt haben, kommen wir nicht mehr heraus." Inzwischen bietet Burford nicht mehr nur Prozessfinanzierung an, sondern versichert auch Prozessrisiken und vergibt Kredite an Anwaltskanzleien. Auch das Eintreiben von erstrittenen Schadenersatzsummen ist Teil des Geschäftsmodells. Neuerdings bietet Burford sogar an, die Verteidigung von Großunternehmen in Prozessen zu finanzieren - gegen eine Prämie, die sich anhand der eingesparten Kosten durch eine erfolgreiche Verteidigung berechnet.

Einer der Mandanten ist der britische Telekommunikationskonzern BT Group. Gerade hat Burford Capital eine Niederlassung in Australien eröffnet, um sich dort an den Sammelklagen gegen den Vermögensverwalter AMP zu beteiligen. Beobachter erwarten, dass das Unternehmen in Kürze bei der Entscheidung einiger Prozesse gegen den argentinischen Staat größere Schadenersatzsummen zugesprochen bekommt, die den Kurs weiter beflügeln sollten.


Für schwache Nerven eignet sich die Burford-Aktie allerdings nicht: "Man weiß nicht, wie viel die Assets wert sind und was die Verbindlichkeiten wert sind", sagt Malcolm Stewart, ein britischer Experte für Litigation Finance. Nervöse Menschen, so sein Ratschlag, "sollten die Finger davon lassen".