Als Diplom-Ingenieur mit Fachrichtung Elektrotechnik zählt Arne Sand zu den Quereinsteigern und Querdenkern in der Investmentbranche. Während sich viele seiner Kollegen gern hinter "Wenn, dann"-Formulierungen verschanzen, redet er lieber Klartext. Im Interview erklärt der 53-Jährige, warum die längste Hausse aller Zeiten möglicherweise noch nicht zu Ende ist.

Börse Online: Herr Sand, das Börsenjahr 2019 neigt sich dem Ende zu - und es sieht so aus, als würde es ein sehr gutes werden. Überrascht Sie das?
Arne Sand: Keineswegs. Das weltweite Wirtschaftswachstum verlangsamt sich zwar, aber auch die Inflation geht zurück, was den großen Zentralbanken den Spielraum verschafft, aktiv zu werden. Deshalb sehen wir aktuell keinen Grund, die Aktienquote zurückzufahren. Im Gegenteil: Für uns als Vermögensverwalter wäre es derzeit wohl das größere Risiko, keine Aktien zu haben und zusammen mit unseren Kunden von der Seitenlinie aus zuzusehen, wie die Börse nach oben läuft.

Keine Rezessionsängste?
Wir haben unseren eigenen Rezessionsindikator, den wir vor allem an sechs Punkten festmachen: Einkaufsmanagerindizes, Industrieproduktion, Einzelhandelsumsätze, Arbeitsmarkt, Zahlungsverzögerungen und Gewinnentwicklung im US-Leitindex S & P 500. Die jüngsten Daten signalisieren einen leichten Anstieg, aber nichts Dramatisches. Es gibt also keinen Anlass zu übertriebenem Pessimismus.

Es heißt aber auch, jede Hausse gehe irgendwann zu Ende. Und die aktuelle dauert schon mehr als zehn Jahre.
Mir ist keine Statistik bekannt, die besagt, dass es nach zwei so großen Einschlägen wie in den Jahren 2000 bis 2003 und 2008/09 nicht auch einmal zwölf oder 15 Jahre lang bergauf gehen kann.

Die Bewertungen - vor allem in den USA - sind Ihnen nicht zu hoch?
Sie sind hoch, aber nicht im roten Bereich - und schon gar nicht überall. In Europa sehen wir noch viel Luft nach oben. Außerdem muss man die Bewertung von Aktien immer relativ zu den Zinsen sehen. Wenn BASF-Anleihen mittlerweile negativ rentieren, während BASF-Aktien eine Dividendenrendite von vier Prozent aufweisen, passt da etwas nicht zusammen.

Ein guter Vergleich. Aber viele Investoren treibt die Sorge um, dass die Zinsen steigen könnten und die Blase am Anleihemarkt platzt. Das könnte dann wie ein Flächenbrand auch die Aktienmärkte erfassen?
Natürlich gibt es Negativszenarien. Wir haben das Unternehmen Sand und Schott vor 25 Jahren gegründet. Und ich kann mich nicht an eine einzige Phase ohne Unsicherheiten und Sorgen erinnern. Nur: Wenn man sich davon irritieren lässt, fängt man nie an zu investieren. Im Moment deutet angesichts der Wachstumsschwäche in Europa nichts auf Zinserhöhungen hin. Es sieht eher danach aus, als könnten die Zinsen noch für sehr lange Zeit unten bleiben.

Wie lange?
Es gibt Studien, die den Realzins für langlaufende europäische Anleihen bis 2050 bei nahe oder sogar unter null Prozent sehen. Ich würde jedenfalls nicht darauf wetten, dass die EZB die Zinsen im Fall der Fälle nicht noch weiter senkt. Aber man sollte nie vergessen, dass Rendite und Risiko siamesische Zwillinge sind. Es kann immer auch anders kommen. Deshalb ist es ja so wichtig, sein Portfolio so aufzustellen, dass man mit jedem denkbaren Szenario leben kann.

Wie sieht denn so ein Allwetterportfolio Ihrer Meinung nach aus, nachdem halbwegs sichere Anleihen wegen der negativen Ver­zinsung ja tabu sind?
Zugegeben: Mit dem gesunden Menschenverstand ist kaum zu erklären, warum jemand eine negativ verzinste Staatsanleihe besitzen sollte. Trotzdem bleibt es dabei: Wenn die Aktienmärkte fallen, steigen Bundesanleihen, egal, ob sie nun mit minus 0,2 oder minus zwei Prozent rentieren. Aus Gründen der Risikostreuung gehören Anleihen also durchaus in ein ausgewogenes Portfolio. Ganz davon abgesehen, glauben wir nicht, dass es Menschen gibt, für die eine Aktienquote von 100 Prozent Aktien richtig ist. Das gilt natürlich umgekehrt auch für eine Aktienquote von null Prozent.

Nun ist Aktie nicht gleich Aktie. Wie findet man die richtigen?
Neben der Qualität der Bilanz und des Geschäftsmodells sind die wichtigsten Kriterien für uns Wachstum, Bewertung und natürlich die Dividende. Wer vor 25 Jahren in Dividendenaristokraten - das sind Unternehmen, die ihre Ausschüttungen regelmäßig erhöhen - investiert hat, erhält heute auf den Einstandskurs gerechnet eine Dividendenrendite von rund 30 Prozent. Kurssteigerungen sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.