Die Atmosphäre am Frankfurter Flughafen ist fast schon gespenstisch. Terminal 2 ist geschlossen. Auf der Landebahn Nordwest parken verlassene Flugzeuge. Nur wenige Maschinen steigen in den Himmel. Die Zahl der Flugbewegungen lag in der letzten Maiwoche um 83 Prozent unter dem Vorjahresniveau, die der Passagiere sogar um 95 Prozent.

Die Luftfahrt gehört zu den von der Pandemie am schwersten getroffenen Bereichen der Wirtschaft. Der Branchenverband IATA kalkuliert, dass allein den europäischen Fluggesellschaften in diesem Jahr 89 Milliarden Euro Umsatz verloren gehen. Auch Aktionäre haben gelitten: Der vom Datendienst Bloomberg errechnete Airline-Index, der die Wertentwicklung von 28 internationalen Fluggesellschaften abbildet, hatte sich auf dem Tiefpunkt der Krise mehr als halbiert.

Inzwischen geht der Blick nach vorn. Die Airlines bereiten sich auf den Neustart vor. Die Lufthansa erweitert ihren radikal gekürzten Flugplan, vor allem um "Sonnen- und Sommerziele". Ryanair hat angekündigt, den Betrieb ab Juli hochzufahren. Für die Urlaubssaison rechnet der irische Billigflieger aber mit bestenfalls der Hälfte der ursprünglich geplanten Passagierzahl. Die Lufthansa-Gruppe erwartet, für September 40 Prozent der ursprünglich geplanten Kapazität anzubieten. Die Krise ist mit dem Neustart also nicht überwunden. Die Branche wird 2020 tief in den roten Zahlen landen. Allein bei der Lufthansa gehen Analysten von einem Nettoverlust von mehr als drei Milliarden Euro aus.

Die Pandemie legt die strukturellen Schwächen offen: Das Geschäft ist stark zyklisch, die Margen sind selbst in guten Zeiten niedrig. Die großen Verlierer sind die Netzwerk-Airlines, die auch Zubringer- und Anschlussflüge bieten, vor allem Lufthansa und Air France-KLM. Beide müssen hohe Fixkosten bedienen. Um den Zusammenbruch zu verhindern, greift der Staat ein. Allein die Bundesregierung schießt neun Milliarden Euro bei der Lufthansa zu.

Besser geht es den Billigfliegern, weil dort die Kosten niedriger und Strukturen flexibler sind. Ryanair hat den wöchentlichen Verlust von 200 Millionen Euro im März auf 60 Millionen im Mai gedrückt. Dem stehen Cash-Reserven von zuletzt mehr als vier Milliarden Euro entgegen. Damit kann die Airline auch eine lange Krise aushalten.

In Westeuropa weniger bekannt ist Wizz Air. Die Ungarn sind nach Ryanair und Easyjet der drittgrößte europäische Billigflieger. Das Streckennetz deckt vor allem Osteuropa ab. Morgan Stanley kalkuliert, dass die Wizz Air mit ihren Finanzreserven mehr als ein Jahr Stillstand überstehen könnte.

Die Schwäche der großen Netzwerk- Airlines eröffnet den Billigfliegern ganz neue Möglichkeiten: Air France-KLM hat angekündigt, ihren Flugplan zu reduzieren. Die Lufthansa muss als Gegenleistung für Staatshilfen an ihren Hauptstützpunkten Frankfurt und München Kapazitäten abgeben. Bis zu 24 der sogenannten Slots wären frei für die Konkurrenz. Das könnten Ryanair oder auch Easyjet nutzen. An anderen Flughäfen werden plötzlich ebenfalls Kapazitäten frei. Wizz Air bemüht sich offenbar um zusätzliche Slots am Londoner Flughafen Gatwick.

Auch beim Neustart dürften die Billigflieger die Nase vorn haben: Die Reisebeschränkungen werden im ersten Schritt vor allem für den inländischen und innereuropäischen Luftverkehr gelockert - also auf jenen Strecken, auf die sich die Billigflieger spezialisiert haben. Interkontinentale Reisen - diese Verbindungen sind für die Netzwerk-Airlines wichtig - werden dagegen wohl für längere Zeit die Ausnahme bleiben. Eine weitere Sorge sind Geschäftskunden: Sollten diese sich an Videokonferenzen gewöhnen, dürften viele Plätze in der für die Airlines wirtschaftlich wichtigen Businessklasse leer bleiben.

Neue Regeln, großer Ärger

Reisende müssen sich auf strenge Auflagen einstellen. Masken sind bereits Standard. Die von den Regierungen propagierten Abstandsregeln sind an Bord dagegen schwer umzusetzen. Freie Mittelplätze würden Distanz schaffen, aber die Kapazität um etwa ein Drittel und damit unter eine kritische Schwelle drücken. Als Faustregel gilt, dass Fluggesellschaften erst ab einer Auslastung von 77 Prozent profitabel operieren. Die IATA rechnet vor, dass die Airlines als Ausgleich die Preise um bis zu 54 Prozent anheben müssten. Die Ära der erschwinglichen Ticketpreise würde dann zu Ende gehen, warnt der Branchenverband. Ryanair-Chef Michael O’Leary sieht die Branche dagegen vor einem Preiskampf: Man erwarte, dass die mit Staatshilfen ausgestatteten Großairlines Tickets deutlich unter Kosten verkaufen. "Der Markt wird massiv verzerrt", poltert O’Leary, der die Geldspritzen für Lufthansa und Air France-KLM mit Doping vergleicht.

Der Weg aus der Krise dürfte in jedem Fall lang sein: Der bislang schwerste Schock waren die Terrorangriffe auf New York und Washington im September 2001. Damals dauerte es, je nach Region, neun bis 23 Monate, ehe die Nachfrage in der Airline-Industrie das alte Niveau erreicht hatte. Die aktuelle Krise könnte sogar noch hartnäckiger werden. Morgan Stanley kalkuliert, dass die wichtigsten europäischen Airlines erst in den Jahren 2023/24 wieder das Gewinnniveau von 2019 erreichen.
 


INVESTOR-INFO

Ryanair

Beste Airline-Aktie

Der Billigflieger ist dank niedriger Kosten und schlanker Strukturen die aus Sicht der Finanzmärkte beste Airline in Europa. Auch in der aktuellen Krise hat sich das Management bewährt. Die Schwäche der großen Gesellschaften dürfte Ryanair nutzen, um Marktanteile zu gewinnen. Analysten gehen davon aus, dass die Iren in dem bis März 2022 laufenden Geschäftsjahr Gewinne einfliegen. Die Aktie bleibt der Favorit in einer riskanten Branche.

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Kursziel: 15,00 Euro
Stoppkurs: 9,50 Euro

Lufthansa

Zusätzlicher Ballast

Dank Staatshilfe wird die Lufthansa die Krise überstehen. Die Rettungsaktion der Bundesregierung hat aber Nebenwirkungen: Die Staatsbeteiligung verwässert den Wert der Papiere der Altaktionäre, Zinsen für Staatskredite drücken das künftige Konzernergebnis, eine Dividende wird es vorerst nicht geben. Die Aktie ist eine Spekulation auf eine schnelle Stabilisierung der Reiseindustrie. Für eine wirkliche Erholung wird der Konzern viele Jahre benötigen.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 11,00 Euro
Stoppkurs: 7,70 EuroHalteposition.

WIZZ Air

Attraktiver Außenseiter

Im Mai 2004 startete die erste Maschine des ungarischen Billigfliegers. Heute stehen über 600 Strecken und 25 Flughäfen, vor allem in Osteuropa, auf dem Flugplan. Seit etwas mehr als fünf Jahren ist Wizz Air in London an der Börse. Analysten heben die niedrigen Kosten und das Wachstumspotenzial der Airline hervor. Die Aktie ist ein chancenreiches Investment, aber riskanter als Ryanair.

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Kursziel: 46,00 Euro
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